Ali Cherri, The Titan 2, Courtesy Imane Farès und Ali Cherri

Vereinigung bildender KĂĽnstler*innen Wiener Secession
FriedrichstraĂźe 12
1010 Wien
Austria

Ali Cherri: How I Am Monument

Curated by Jeanette Pacher

Wie kann man über die Gewalt gegen Körper, Dinge oder die Natur in Konfliktregionen sprechen? Welche Akte der Brutalität sind diesen Landschaften eingeschrieben? Und wie lässt sich auf die Wissensproduktion und Glaubenssysteme des Westens als eine Geschichte der Gewalt reflektieren?

In den Filmen, Skulpturen, Installationen und Zeichnungen von Ali Cherri zeigt sich, dass Geschichte und kultureller Wert weder neutral noch universell sind, sondern konstruierte Erzählungen, die zutiefst durch Kolonialismus, Nationalismus und Geopolitik geprägt sind. Cherri wurde 1976 in Beirut geboren – ein Jahr nach Ausbruch des Libanesischen Bürgerkriegs (1975–1990), der noch 14 weitere Jahre andauern würde. 120.000 Menschen starben und beinahe eine Million musste fliehen. Andererseits erlebte Cherri, der zunächst eine Ausbildung zum Grafikdesigner absolvierte, die vitale Kunstszene, die in den 1990er-Jahren in Beirut aufblühte. So ist nicht nur die konzeptuelle und materielle Auseinandersetzung mit Gewalt, sondern auch der Glaube an die Vorstellungskraft als Quelle politischer Veränderung zentral für sein Werk. Dementsprechend steht die Skulptur Tree of Life (2024) nun im Foyer der Secession. Sie ist Cherris erste Arbeit in Bronze und einem mesopotamischen Relief aus der Zeit Sargons (24.–23. Jh. v.u.Z.) im Pariser Louvre nachempfunden. Der Baum des Lebens, der in der Bibel, im Koran und im Gilgamesch-Epos vorkommt, fungiert als hoffnungsvolles Symbol für Lebendigkeit und Schöpfung, und als Auftakt für die Ausstellung im Untergeschoss.

Mythologie und Frühgeschichte sowie das Nachleben kultureller Artefakte spielen eine Schlüsselrolle in der Praxis des Künstlers, der in Auktionshäusern und auf Antiquitätenmärkten nach archäologischen Fundstücken sucht. „Viele dieser Objekte“, erklärt Cherri, „sind buchstäblich zerbrochen, und ich sehe darin eine Möglichkeit, auf poetische Art und Weise Solidarität mit anderen gebrochenen Körpern herzustellen. Wir leben heute alle mit inneren Brüchen und suchen deshalb den Kontakt zu anderen Menschen und Gemeinschaften, die Ähnliches erlebt haben, um von ihnen zu lernen und uns in sie einzufühlen.“ Durch die Einbettung dieser Fragmente in hybride kreatürliche Skulpturen, die eine surreale Energie ausstrahlen, konfrontiert Cherri westliche Sammlungen mit dem Vergessenen, Ausgeschlossenen oder Verdrängten. Indem seine Arbeiten hinterfragen, was sichtbar ist und was im Verborgenen bleibt, rühren sie an den Grundfesten westlicher Museumspraktiken und ihrer Macht, den offiziellen Kanon und Diskurs durch koloniale Politiken des Sammelns und Kontextualisierens zu formen.

Politische Implikationen zeigen sich in Cherris Werk nicht nur auf symbolischer Ebene, sondern auch in der Wahl der künstlerischen Materialien selbst. Sein besonderes Interesse gilt dem Lehm, der als Urmaterial der Zivilisation seit jeher zur Produktion von Waren sowie von Kunst- und Kultgegenständen verwendet wird. Erst in jüngster Zeit arbeitet er außerdem in Bronze. Diese wird in erster Linie von herrschenden Klassen für „Heldendenkmäler“ verwendet, die die Stärke und Überlegenheit der Machthabenden verkörpern sollen. Indem er diese gegensätzlichen Materialien in einer neuen Werkserie verbindet, stellt der Künstler die traditionelle Machtdynamik auf den Kopf: Die vom fragilen, „niederen“ Lehm abgesonderte Feuchtigkeit greift die „hegemoniale“, beständige Bronze an und schwächt sie – eine Form der Rückforderung von Macht.

Mit der Installation zweier holzgetäfelter Schaukästen im ersten Raum der Ausstellung eignet sich Cherri bewusst museales Vokabular an. Typische Spots archäologischer Museumsgalerien beleuchten verkleinerte Podeste von Denkmälern, die beispielsweise während des Arabischen Frühlings 2011, in Ländern der ehemaligen Sowjetunion oder während der Black-Lives-Matter-Bewegung mutwillig beschädigt wurden. Die Leerstellen auf den nun verlassenen Podesten stehen durch den Umsturz ihrer Monumente symbolisch für die Entmachtung brutaler Regime, aber auch für die Möglichkeit, sich eine bessere Zukunft vorzustellen.

Die neue Diaprojektion A Monument to Subtle Rot (2024) bildet eine Art Soundtrack zur Ausstellung. Poetische Reflexionen des palästinensischen Schriftstellers Karim Kattan über das Wesen von Denkmälern werden in Form von Text-Bildern zusammen mit Bildern der Demontage von Denkmälern gezeigt. Manchmal wirkt es so, als würden diese selbst sprechen; dann wieder scheint es die Stimme einer Zeugin oder eines Zeugen zu sein – oder unsere eigene. 

Im letzten Raum ist Cherris gefeierte Dreikanal-Videoinstallation Of Men and Gods and Mud (2022) zu sehen, für die er bei der 59. Biennale von Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet wurde. Gedreht wurde der Film am Merowe-Damm, der den Nil im Nordsudan aufstaut. Durch die Errichtung des größten Wasserkraftwerks Afrikas wurden Anfang der 2000er-Jahre 50.000 Menschen vertrieben; es kam zu sozialen Unruhen, Ökosysteme wurden zerstört und Kulturstätten und Artefakte versanken in den Fluten. Der Film folgt einer Gruppe von Ziegelmachern, die dieses elementare Baumaterial in manueller Arbeit aus Lehm herstellen. Auch hier gehen Zerstörung und Schöpfung Hand in Hand und werfen die Frage auf, wie aus dem Schlamm der Vergangenheit eine neue Welt entstehen kann.

Die begleitende Publikation enthält neben einem Essay von Tom Houlton, Dozent für Film und Literatur und Autor des Buchs Monuments as Cultural and Critical Objects, und einem Gespräch zwischen Ali Cherri und den Kuratorinnen Emma Dean und Jeanette Pacher eine ausgedehnte Bildstrecke mit Blow-ups der Dias der neuen Arbeit A Monument to Subtle Rot. Jeder Schutzumschlag wurde vom Künstler individuell bearbeitet und enthält eine Materialprobe des für ihn so wichtigen Werkstoffs Lehm. Das zentral platzierte, kleine Quadrat zeigt die sichtbaren Spuren dieser Handarbeit.

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