Edwin Scharff Museum
Hermann-Köhl-Straße 12
89231 Neu-Ulm
Germany

„Jeder Mensch ist ein Tänzer“

Während der großen gesellschaftlichen und künstlerischen Aufbrüche um 1900 erhält eine Gattung einen ganz neuen Stellenwert: Der moderne Tanz, der sich zu einer selbstständigen Kunst-Disziplin entwickelt. Er befreit den Körper nicht nur vom Korsett und von den klassisch-traditionellen Schrittkombinationen des Balletts. Bewegung darf jetzt mehr sein als höchste technische Köperbeherrschung, nämlich subjektiv, emotional und frei. 

Unter dem Übertitel „Tanz wird Kunst“ beleuchtet das Edwin Scharff Museum in zwei Ausstellungen die vielfältigen Facetten des künstlerischen Tanzes.
Die erste beschäftigt sich mit den Voraussetzungen und Anfängen in der Zeit von 1892 bis etwa 1914. 

Georg Kolbe, Tänzer (Nijinsky), 1919, Sammlung Karl H. Knauf

Vor allem waren es Frauen, die ihre eigenen Choreografien entwickelten, ihre Gefühle auf die Bühne brachten und selbständige Unternehmerinnen wurden. Für sie war es zugleich ein Kampf um Unabhängigkeit und gesellschaftliche Teilhabe. Die spektakulären Tanzauftritte von Loïe Fuller 1892 in Paris mit ihrer Synthese aus Kunst und Wissenschaft und ihrer Nähe zum Symbolismus und Jugendstil bildeten den Auftakt
der neuen Tanzströmung. Bald darauf brach Isadora Duncans Rückkehr zur Natürlichkeit mit den gesellschaftlichen Konventionen. Grete Wiesenthal dagegen nahm bei der Neufindung der tänzerischen Pantomime eine zentrale Rolle ein. Wie alle Bereiche der Kunst inspirierten auch den Tanz außereuropäische Kulturen und ließen neue Gestaltungsformen entstehen, wie etwa Ruth St. Denisʼ und Sent M’Ahesas exotisch anmutenden Interpretationen oder die expressiven Maskentänze Gertrud Leistikows. „Jeder Mensch ist ein Tänzer“ so lautete der Leitspruch, der Rudolf von Labans Tanz-
lehre zusammenfasst. Wie sein Kollege Émile Jaques-Dalcroze wollte er mit dem freien Tanz zugleich die Gesellschaft als Ganzes reformieren. In welchem Maße der moderne Tanz antiakademisch agierte, zeigen die Positionen von Vaslav Nijinsky, der auf Grund seiner androgynen Ausstrahlung faszinierte, oder die Selbstverständlichkeit mit der Alexander Sacharoff und Clotilde von Derp die Geschlechterrollen tauschten. 

Johann Adam Meisenbach, Suzanne Perrottet und Tanzende am Lago Maggiore bei Ascona, 1914, Kunsthaus Zürich, Nachlass Perrottet © Erben Johann Adam Meisenbach, Kunsthaus Zürich, Nachlass Suzanne Perrottet, 1990

Zwischen dem neuen Tanz und der bildenden Kunst herrschte ein sich gegenseitig befruchtender Dialog. Das neue Körpergefühl, das sich im Spannungsfeld unterschiedlichster Reformbewegungen entwickelte, spiegelt sich in Fotografie, Film, Grafik, Malerei, Bildhauerei und Mode durch eine radikal andersartige Formensprache.
Das Edwin Scharff Museum spürt in über 140 Exponaten aller Sparten und der begleitenden Publikation dem neuen Körperausdruck nach und damit dem Ereignis: Tanz wird Kunst. 

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