Wir sind der AtmosphÀre dieses Planeten ausgesetzt und bewegen uns - mehr oder weniger
bewusst - zwischen Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit. Wir unterliegen der Schwerkraft und
durch unseren, in Jahrtausenden erworbenen aufrechten Gang hinterlassen wir ganz spezifische
Spuren auf dem Boden, den wir mit unseren FĂŒĂen berĂŒhren. AbhĂ€ngig vom Untergrund vermag
unser FuĂabdruck eine Zeitlang zu ĂŒberdauern, bis er von den Elementen wieder verwischt oder
unkenntlich gemacht wird. Doch ab und zu konserviert eine bestimmte chemische
Zusammensetzung unsere Spuren, die wir hinterlassen und zeigt uns wie in einem Zeitspiegel der
Morphologie das, was uns antrieb, bewegte, bzw. unsere Bewegung charakterisiert(e).
KĂŒnstler sind stets auf der Suche nach dem geeigneten Material, um ihr ganz persönliches
VerhÀltnis zur Welt und ihren Fragen an diese zu klÀren. Oft nimmt es Jahre, Jahrzehnte in
Anspruch, bis die Suche nach der einfachsten und zugleich fĂŒr den KĂŒnstler komplexen Lösung
glĂŒckt und das geeignete Material fĂŒr die groĂen Fragen an das Leben gefunden ist.
Ann-Margreth Bohl ist fasziniert von der Kraft und KreativitÀt der Natur. Diesem Faszinosum eine
Form geben, den eigenen Gedanken zu Materie und Raum passende Materialien an die Seite zu
stellen ist fĂŒr einen KĂŒnstler kein leichtes Unterfangen. Wind und Wellen sowie
Temperaturunterschiede bearbeiten unablÀssig bereits geformte, harte Materie. Und selbst diese
harte Materie hat extreme Verwandlungen von einem flĂŒssigen in einen harten Zustand hinter sich.
Starre Formen existieren im Grunde nicht. Auch wenn bestimmte Materialzusammensetzungen nur
zögerlich in einen anderen Zustand ĂŒbergehen, ist doch das irdene Material, mit dem wir als
Menschen leben, stetiger Verwandlung unterworfen. Auch wenn die temporÀren VerÀnderungen
einem einigen Menschen in seiner begrenzten Lebenszeit verborgen bleiben, ist Material als
solches unablÀssiger Transformation in einen anderen Zustand des Seins unterworfen.
Um dieser unablĂ€ssigen Metamorphose materiell zu entsprechen, hat sich Ann-Margreth Bohl fĂŒr
zwei Materialien entschieden, die unterschiedlicher nicht sein können â und daher den stetigen
Wechsel, die stetige VerÀnderung symbolisieren: Stein und Bienenwachs. Beide Materialien sind
Baumaterialien und verkörpern â im Vergleich miteinander â auf den ersten Blick diametrale
Eigenschaften. Stein ist hart, undurchsichtig und widersetzt sich zunÀchst der Bearbeitung.
Bienenwachs ist weich, zum Teil lichtdurchlÀssig und recht schnell im erkalteten Zustand in die
gewĂŒnschte Form zu bringen. Auf den ersten Blick verbindet beide Materialien nichts. Auf den
zweiten Blick besitzt Stein/Gestein einige der in situ nicht mehr erkennbaren Eigenschaften des
Bienenwachses. Beide Materialien sind im Grund genommen Energiespeicher. Enorme Hitze oder
Druck formte die Materie âSteinâ. Die Zusammensetzung von Fauna und/oder
Energiespeicher - Original text
Flora vor der âMetamorphoseâ des Ausgangsmaterials bestimmt den HĂ€rte- und Dichtegrad der
verschiedenen Gesteinsformen. Bienenwachs, erzeugt durch Transformation von floraler mittels
tierischer Energie,
ist ein Energiespeicher, der die Umwandlung weicher, duftender Stoffe zum Ausdruck bringt.
Stein und Bienenwachs beinhalten â auch wenn beide Materialien unĂ€hnlich erscheinen - Gestalt
gewordenen Energiefluss und beherbergen beide eines, das im Werk von Ann-Margreth Bohl ein
auĂerordentlich wichtiger Faktor ist: Zeit. Zeit hinterlĂ€sst Spuren. Den Gedanken eine Form geben,
der eigenen Philosophie adĂ€quate MaterialitĂ€t verschaffen â dies ist eine groĂe Herausforderung.
Ann-Margreth Bohl hat diese Herausforderung angenommen und arbeitet mit zwei Antipoden, die
allerdings beides gemeinsam haben: einen Zeitspeicher auch fĂŒr Energie. Das macht ihre Arbeiten
auf den ersten Blick so schnell entschlĂŒsselbar. Auf den zweiten Blick ist der Betrachter dazu
aufgerufen, die WidersprĂŒche innerhalb der Materialien zu entschlĂŒsseln, um sich dann einen
eigenen Blick zu verschaffen. Das VerhÀltnis von Zeit zu Material, von prÀgen und geprÀgt werden,
von langsamer bis schneller Einwirkung auf OberflĂ€chen, von Reflektion ĂŒber Gewesenes, das
AbrĂŒcke hinterlassen hat, die man nun gleichsam selbst wieder bearbeitet ... all Ì das sind mögliche
Blicke auf ein klares, konzeptuelles Werk. Der Àsthetische Reiz der OberflÀche ist nur die erste
HĂŒlle, die es zu entschlĂŒsseln gilt. Das Betrachten der Stein-Wachs-Formationen gerĂ€t zu einem
Eintauchen in Energiespeicher. Ann-Margreth Bohl bietet Formen an, die durch Betreten,
Betrachten, Beatmen sich in einem unaufhörlichen Prozess der VerÀnderung befinden.