The Online Club: Reinventing Oneself & Redefining Sculpture
Was bringt KünstlerInnen mit einer klassischen Ausbildung in Bildhauerei dazu, zeitgenössische Installationen zu kreieren? Das war die zentrale Frage, die Gastgeberin und Kunstberaterin Natalia Bergmann während des Online Clubs von Sculpture Network am 23. September 2024 stellte. Natalia hatte zu der Veranstaltung drei junge KünstlerInnen eingeladen, alles ehemalige AbsolventInnen der renommierten Staatlichen Stieglitz-Akademie für Kunst und Design in St. Petersburg. Deren Präsentationen sowie die darauffolgende Diskussion machten klar, wie prägend es für die KünstlerInnen war, ihre Heimat zu verlassen für ein neues Lebens- und Arbeitsumfeld im Ausland, auferzwungen durch den anhaltenden Krieg.
Der in Rostow am Don geborene Bildhauer Vitaliy Datchenko (1986) bekam seine erste Ausbildung in der Fachrichtung “Technologie der künstlerischen Bearbeitung von Materialien” an der Staatlichen Don Universität in seiner Geburtsstadt. Aber er wollte nicht nur die Aushilfskraft, sondern der Künstler sein, und so machte er einen Abschluss in “Monumentaler und dekorativer Kunst” an der Staatlichen Stieglitz-Akademie für Kunst und Design in St. Petersburg. Bereits seine Abschlussarbeit, für die er die Ikone der Hl. Xenia verwendete, zeigte seine Neigung zum Abstrakten. Nach seinem Abschluss experimentierte er weiter, was in seiner Arbeit Monday Morning sichtbar ist: mit Zeitungspapier bedeckte Figuren aus Pappkarton stehen, aneinander angeseilt, als Gruppe zusammen. Bis ein Moskauer Kurator anmerkte, dass das nur seine persönliche Vorstellung von zeitgenössischer Kunst war.
Während der Corona-Zeit begann Datchenko über unsichere Räume und politische Instabilität zu reflektieren, und auch darüber, wie er diese Gedanken in seine Skulpturen einbringen könnte, wissend, dass ein Bild unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Und so erinnert eine seiner Arbeiten aus der Skulpturen-Serie Imaginary Oecumene an eine Koralle aber auch an eine Handgeste, die je nach Kulturkontext unterschiedlich interpretiert werden kann. Datchenko wurde später Artist-in-Residence in Frankreich – in Souillac und Saint Etienne, wo er eine Assistenzprofessur an der Kunstschule angeboten bekam. Vor kurzem entwickelte er seine Skulpturenserie mit dem Titel Hic Sunt Leones, wörtlich übersetzt: “Hier leben Löwen”, aber zu verstehen als “Unbekannte Welten/Terra Incognita”, bei der er eine überdimensionierte Mulde und Laub formte.
Als nächstes beschrieb die aus Weissrussland stammende Künstlerin Alesya Murlina ihre Entwicklung von einer klassischen zu einer multidisziplinären Künstlerin. Sie hat einen ähnlichen Hintergrund wie Datchenko, und genauso wie er studierte sie Bildhauerei an der Staatlichen Stieglitz-Akademie in St. Peterburg. Als Studentin begann sie, heitere Holz-Skulpturen zu gestalten wie etwa die Arbeiten Jump oder Big Bather, die füllige Damen in Badeanzügen und Badehauben darstellen. Sie musste lernen, Künstlerin und nicht Studentin zu sein, und dass es bei einem Werk nicht nur um abstrakte Formen geht.
Während ihrer Zeit an der St. Petersburger PRO ARTE Foundation for Culture and Arts begann Murlina, mit Elementen aus Architektur, Interieur und Licht zu experimentieren. Ihre künstlerische Praxis setzte sie im Ausland fort – in Frankreich, an der Oper in Lyon und als Artist-in-Residence in Saint Etienne mit seinen renommierten Kunstschulen. In ihren gegenwärtigen Arbeiten experimentiert sie mit Innenräumen, wobei sie versucht, das Zuhause mit seinem sicheren Innenbereich nach außen zu kehren und so dessen Fragilität zu offenbaren.
Als letzter stellte sich Nikita Seleznev aus Jekaterinenburg in Russland vor. Für ihn war Freundschaft der zentrale Aspekt bei seiner Entwicklung vom Bildhauer mit klassischen Qualifikationen und Fertigkeiten hin zu einem zeitgenössischen Künstler. Er beschrieb, wie mehrere seiner Projekte mit Hilfe von Freunden zustande kamen, die zu seinen Arbeiten die Animation erstellten oder die Musik komponierten. Und er zeigte, wie er in seiner Heimatstadt eine umfangreiche Videoinstallation mit Hilfe von Animation und Klang verwirklichen konnte. Die Idee für die Installation Karate Poetry, eine Poesieart, in der Texte aus bekannten Songs in die Muttersprache übertragen werden, wurde durch die Unterhaltung mit einem Freund inspiriert. Und später schrieb ein befreundeter Kurator den Begleittext für die Ausstellung.
Der Krieg in der Ukraine führte dazu, dass Seleznev jetzt in New York lebt, während er immer noch an Ausstellungen in St. Petersburg arbeitet. Zur Zeit kann er nicht in seine Heimat zurück, auch kann er nicht in großen Museen ausstellen. Aber er räumt ein, dass New York City mit seiner vielfältigen Kunstszene gut für ihn geeignet ist, da man nicht Teil nur eines bestimmten Künstlerkreises sein muss. In den letzten Jahren wuchs sein Interesse an Animation, vor allem an Stop-Motion-Animation – für ihn eine Möglichkeit, sich als Bildhauer weiter zu entwickeln.
Im anschließenden Gespräch erklärten die Künstler, dass die klassische Ausbildung ihre Kunst immer noch beeinflusst, da sie ihnen hilft, den Produktionsprozess einer Arbeit zu verstehen. Auch andere Themen kamen zur Sprache, etwa wie es ist, sich in einer neuen Umgebung einzuleben, oder die Zeit, die es braucht, um die Kunst-Infrastruktur am neuen Ort, im neuen Land kennenzulernen. Am Ende des Abends blieb als Resümee noch die Anmerkung, dass eine klassische künstlerische Ausbildung durchaus von Vorteil sein kann, da viele in westlichen Ländern arbeitende Künstler diesen Wissenshintergrund nicht mehr haben.
Der Text wurde von Sietske Roorda in englischer Sprache verfasst.