Fließende Formen aus Seilen, Stoffen und Fäden – die Weberin Tapta
1997 starb die polnisch-belgische Künstlerin Maria Irena Boyé. Als kleines Mädchen ordnete sie ihre Spielsachen oft in einem Kreis an, tanzte dazwischen und sang: „Ich bin Tapta, Tapta, Tapta.“ Ihrer Familie gefiel es. Aus Maria Irena wurde Tapta. Sie blieb es für immer.
1926 geboren, flüchtete sie nach der Teilnahme am Aufstand im Warschauer Ghetto 1944 gemeinsam mit ihrem Mann nach Belgien. Sie studierte Weberei an der Nationalen Hochschule für Bildende Künste „La Cambre“ in Brüssel. Bis 1990 war sie dort Professorin. Tapta ging es um die Grenzen der Weberei und vor allem darum, diese auszuloten oder zu überschreiten. „Um meine Arbeiten müssen die Betrachter herumlaufen oder in sie eintauchen“, sagte sie einmal. Sie drehte bereits gewebte Stoffbahnen, trennte sie auseinander, verschnürte sie wieder oder band sie mit Metallelementen zu einem Ganzen zusammen und sie verknotete dicke Taue aus gebündelten Seilen oder dünnen Fäden aus Garn zu organischen Körpern. Ihre reliefartigen, an Arbeiten der kinetischen Kunst der 1960er Jahre erinnernden Objekte ragten aus der Wand heraus oder hingen wie grob gewebte Säcke und filigrane Tragetaschen scheinbar schwebend von der Decke. Die Reliefs an den Wänden warfen Schatten, die sich mit den Betrachtern bewegten. Die Umrisse der pilzartigen Gebilde aus Seilen schwangen über den Boden und markierten dort einen eigenen Raum im Raum.
Die Installationen der Kunstweberin Tapta sollten die Blicke der Menschen auf die Welt erweitern, sie zu anderen Möglichkeiten führen und ihre Aufmerksamkeit für die Umgebung schärfen. Neue, überraschende und unbekannte Räume sollten entstehen; Reales und Imaginäres, die Vergangenheit und die Zukunft verschmelzen.
Mit den traditionellen Arbeiten der belgischen Wandteppichweberei aus Mechelen, Oudenaarde oder Tournai hatte dies nur noch wenig zu tun. Bei Tapta standen andere, experimentelle Techniken im Mittelpunkt. Die Webereien indigener Völker in Neuguinea oder Australien waren ihr Vorbild.
Tapta wollte mit ihren dreidimensionalen Stoffgebilden „fließende Räume“ schaffen, wollte mit ihnen, wie sie selbst einmal sagte, „dynamische Interaktionen“ entfesseln. Ihr Traum war es, mit textilen Stoffen Objekte zu entwerfen, die Menschen nicht nur umhüllten, sondern sie vor der Außenwelt bewahrten und schützten. Sie wollte den Blick nach Außen erweitern und auf Neues lenken. Ihre flexiblen Formen sollten mit den Betrachter:innen interagieren und Zonen des Friedens und der Freundschaft schaffen. Warum sich nicht versöhnen? Diese Sehnsucht stand und steht über ihren Arbeiten. Tapta starb 1997. Ihre gewebten Installationen waren und sind nicht nur visuell, sondern auch taktil und physisch zu erleben. Sie überschreiten traditionelle Grenzen und fordern auf, Räume neu zu entdecken und Interaktionen zu ermöglichen. Sie sind heute so aktuell wie vor 40 Jahren.
Dieser Artikel wurde von Willy Hafner auf Deutsch verfasst.