Gefühle – welche Gefühle?
Ende Januar stellte Sietske Roorda Plastiken und Skulpturen vor, die Gefühle formen – Sculpting Emotions. In ihrem Beitrag beschrieb sie das Leiden, den Schmerz, die Trauer und die Freude, die in Kunst zum Ausdruck kommen. Skulpturen rühren Menschen zu Tränen, Bilder versetzen sie ins Staunen, Installationen bringen sie zum Lachen. Wie einzigartig dies sein kann, ist in der Ausstellung „Eccentric. Ästhetik der Freiheit“ in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen.
Zurzeit zeigen 50 internationale Künstlerinnen und Künstler mit rund 100 Werken dort gestaltete Emotionen aus überraschenden Perspektiven. Sie spielen mit menschlichen Gefühlen, verzerren und deformieren sie, fügen Unterschiedliches zu neuen Kompositionen zusammen und stellen Gewohntes mit allen Medien, die heute zur Verfügung stehen – Malerei, Skulptur, Installation, Performance und Medienkunst – auf den Kopf. Das Unkonventionelle steht hier im Mittelpunkt. Die beiden Kurator:innen Eva Karcher und Bernhart Schwenk wagen mit dieser Ausstellung einen Blick „ex centro“ – raus aus einer fiktiven Mitte, raus aus starren Normen und Schubladen. Sie zeigen, dass es lohnt, für etwas Eigenes einzustehen – in der Kunst, in der Mode und im Design.
Vier Themen in vier Kapiteln
In den vier Kapiteln „Creatures“, „Exalted Cosmos“, „Hybrid Beauty“ und „Fluid Bodies“ lassen sich Überschreitungen der Normen, Offenheit gegenüber anderen Perspektiven und die Unabhängigkeit des Exzentrischen beobachten. Die Diversität und Vielschichtigkeit individueller Wesen, der schöpferische Umgang mit Technik und Materialien sowie schlussendlich der Begriff der Schönheit und damit die Wandelbarkeit und das Selbstverständnis des Körperlichen stehen im Mittelpunkt.
Ja zu allem?
„Yes to all“ steht am Eingang der Ausstellung. Der Neon-Schriftzug von Sylvie Fleury weist den Weg. Jeder macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt. Reicht das? Ohne Punkt, Ruf- oder Fragezeichen lassen Feurys Worte verschiedene Deutungen zu. Wie sie zu deuten sind, entscheiden die Betrachter:innen. Eine moralische Botschaft hat diese Leuchtschrift und mit ihr die ganze Ausstellung nicht. „Flamboyant genannt zu werden, ist immer noch besser, als langweilig zu sein.“ Liberace, eine klavierspielende Kunstfigur in Über-Kitsch lässt grüßen – aber nur auf den ersten Blick!
Exzentrisch sein heißt mehr als Überspanntheit oder Dekadenz. Exzentrik basiert auf der Freiheit des Denkens und Gestaltens: „Yes to all“ verweigert sich jeder Ideologie. Dahinter steckt eine Haltung, die sich jeder Kontrolle und Berechenbarkeit entzieht; eine Aufforderung, auch in starren Zeiten freier, mutiger und offener zu denken. Den beiden Ausstellungsmacher:innen geht es um den Mut der Unangepasstheit. Ihnen geht es darum, zu zeigen, dass es lohnt, gegen jede Konvention für etwas Eigenes einzustehen, und zu zeigen, dass Exzentrik mehr ist als Eigensinn. Exzentrik verweigert sich jeder Ideologie, ist ein gesellschaftlicher Motor für Freiheit und Toleranz, mutig und frei, humorvoll, berührend, traurig oder verstörend – geformte Gefühle.
Die beteiligten Künstler:innen: Jean-Marie Appriou, Yael Bartana, Christian Bérard, Joseph Beuys, John Bock, Shannon Cartier Lucy, Maurizio Cattelan, Julian Charrière, Barbara Chase-Riboud, Judy Chicago, Salvador Dalí, James Sidney, Ensor, Max Ernst, Jana Euler, EVA & ADELE, Sylvie Fleury, Philipp Fürhofer, Simon Fujiwara, Gelitin, Isa Genzken, Alberto Giacometti, Gilbert & George, Andreas Greiner, Andy Hope 1930, Klará Hosnedlová, Melli Ink, Rashid Johnson, Mike Kelley, Martin Kippenberger, Jeff Koons, Paul McCarthy, Jonathan Meese, Orlan, Grayson Perry, Francis Picabia, Paola Pivi, Christina Quarles, Monty Richthofen, Pipilotti Rist, Bunny Rogers, Raqib Shaw, Cindy Sherman, Santiago Sierra, Sophia Süßmilch, Mickalene Thomas, Anna Uddenberg, Andy Warhol, Ambera Wellmann, Issy Wood, Zadie Xa, Lu Yang, Heimo Zobernig.
Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag eine umfangreiche Publikation in Deutsch und Englisch mit Essays der Kurator:innen, Texten zu den Künstler:innen und ihren Arbeiten mit Statements sowie Abbildungen der Werke.
Dieser Text wurde von Willy Hafner auf Deutsch verfasst.
Die Ausstellung „Eccentric. Ästhetik der Freiheit“ ist noch bis zum 27. April 2025 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen. Weitere Infos: https://www.pinakothek-der-moderne.de/ausstellungen/eccentric-aesthetik-der-freiheit/