Perlmuttfarben wie Erdöl: Monira Al Qadiris Kunst zur „Petrokultur‟
Es liegt eine gewisse Ironie in diesen kleinen Dinosaurierfiguren, denn das Plastik, aus dem sie bestehen, enthält zum Teil auch die Überreste der antiken Kreaturen, die sie darstellen. Die in Berlin lebende kuwaitische Künstlerin Monira Al Qadiri übertrifft diese Ironie noch mit ihrer Installation "Seismic Songs" (2022). Diese und andere Arbeiten zeigte die Galerie König im Sommer in einer Einzelausstellung der Künstlerin.
Wir sehen einen riesigen lila Dinosaurier, der vor einem Mikrofon sitzt und mit einer automatisch intonierten Stimme Karaoke singt. Mit dieser Arbeit bezieht sich Al Qadiri auf die seismischen Untersuchungen, mit denen die Ölindustrie Schallwellen in die Tiefen der Erde schickt, um Ölvorkommen zu finden. Später wurde diese Technologie der seismischen Messung zu dem berühmten „Auto-Tune‟ weiterentwickelt, das heute in der Musikindustrie weit verbreitet ist. Qadiri vereint die automatische Tonhöhenkorrektur wieder mit der seismischen Kurvengraphik, indem sie die Worte „Finde mich!‟ „Bitte finde mich!‟ „Ich brauche deine Liebe!‟ auf dem Bildschirm erscheinen lässt. Der einsame Dinosaurier appelliert an uns und damit an die Ölindustrie, sich auf die Suche nach ihm zu machen. Das macht die Arbeit zu einem humorvollen, gleichzeitig aber doch auch tragischen Kunstwerk, wie eine Droge, die nach dem Süchtigen ruft.
In ihrem Werk spielt Al Qadiri mit dem Spannungsfeld um die Thematik des Öls. Wir alle wissen, dass fossile Brennstoffe unseren Planeten in rasantem Tempo zerstören, und doch ist das Öl so sehr in unser modernes Leben verwoben, dass es kaum möglich scheint, sich davon zu lösen. Inspiration findet sie in der „Petrokultur‟ in ihrem Heimatland Kuwait. Die größte Industrie liegt sicher vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen, bescherte dem Land und seinen Bürgern jedoch extremen Reichtum. In einigen ihrer Arbeiten stellt Al Qadiri eine Verbindung zwischen der Ölindustrie und der Industrie her, von der die Golfregion zu früheren Zeiten abhängig war, dem Perlenhandel, indem sie auf die Ähnlichkeit der schillernden Farbe der beiden Rohstoffe verweist. Die perlmuttartige Farbe von Öl ist hübsch für das Auge anzusehen, die eigentliche Substanz jedoch ist hoch toxisch. Al Qadiri schuf mehrere Skulpturen, perlmuttfarben wie das Öl, die für die neue Generation in ihrem Land stehen, einer Generation, die von der Ölindustrie abhängig ist.
Das Werk Spectrum (2006) beispielsweise besteht aus sechs skulpturalen Objekten, die den Köpfen von Ölbohrern nachempfunden und wie diese gefärbt sind. Wegen ihrer seltsamen, fremdartigen Formen sind sie kaum als Bohrköpfe zu erkennen. Die Erdölindustrie hat einen gigantischen Umfang und hat tausende der unterschiedlichsten Ölbohrköpfe für jede erdenkliche Art von Einsatzort entwickelt. Sie erinnern gar an die Meereswesen, die man auf dem Grund des Meeres entdecken kann. Auch hier findet sich eine tragische Ironie: Die Kreaturen haben eine starke Ähnlichkeit mit den Werkzeugen, mit denen wir ihre empfindlichen Ökosysteme zerstören.
In der Videoarbeit Crude Eye (2022) beschäftigt sich Al Qadiri mit einem der Schauplätze im Kuwait ihrer Kindheit, einer Ölraffinerie. Da die Ölraffinerien streng bewacht werden und jegliches Fotografieren verboten ist, baute Al Qadiri ein Modell in ihrem Atelier nach. Wir werden durch ihre Installation geführt, die diesen mysteriösen Ort voller Rohre, Schornsteine und Scheinwerfer zeigt. Einerseits wirkt die Miniatur-Raffinerie wie ein magischer Rummelplatz, auf dem jeden Moment der Startschuss für die Show fällt, andererseits ist sie eine gespenstische, desolate Konstruktion mitten im Nirgendwo. Wieder richtet Al Qadiri unseren Blick auf unsere zwiespältigen Gefühle; das Konstrukt ist faszinierend, auch wenn wir genau wissen, dass es unsere Erde verschmutzt.
Al Qadiri scheut sich jedoch auch nicht davor, die Betrachter*innen mit der wahrhaft zerstörerischen Kraft der Ölindustrie zu konfrontieren. In ihrer Arbeit Onus (2023) finden sich in Öl getränkte Vögel leblos auf dem Boden des Ausstellungsraums verteilt. Dies ist ein weiteres Bild aus Al Qadiris Kindheitserinnerungen an Kuwait: Nach einer der schlimmsten von Menschen verursachten Umweltkatastrophen während des Golfkriegs (1990 - 1991) waren die Küste und die Wüste übersät mit Kadavern von in Öl getränkten Tieren. Später, als sie in Japan studierte, erfuhr Al Qadiri, dass die apokalyptischen Abbildungen der in Öl getränkten Vögel, die in der ganzen Welt veröffentlicht wurden, als fragwürdig erachtet wurden. Einer ihrer Lehrer behauptete, die Fotos der ölverschmierten Vögel seien reine Propaganda. Diese Reaktion brachte sie dazu, ihre eigenen Erfahrungen in Frage zu stellen und an ihren eigenen Kindheitserinnerungen zu zweifeln.
Mit dem Kunstwerk Onus stellt Al Qadiri die grauenvolle Szenerie wieder her und bringt die Bilder der Katastrophe zurück, indem sie ihnen eine kalte Schönheit verleiht. Die Vögel sind in Glas gegossen, ein Material, das zugleich transparent und robust ist. Doch durch das nachträgliche Tränken in schwarzer öliger Flüssigkeit verlieren sie ihre Transparenz, ebenso wie beim Versuch der Ölindustrie, die Wahrheit zu kaschieren. Glas ist zudem sehr fragil, es kann leicht zu Bruch gehen, ebenso wie die Natur durch Menschenhand einfach zugrunde gerichtet werden kann. Die Ohnmacht, die wir beim Anblick dieser schrecklichen Bilder empfinden, mag uns dazu verleiten, an Verschwörungstheorien zu glauben, doch mit ihren Werken führt uns Al Qadiri die verheerenden Folgen unseres Ölkonsums vor Augen, ohne jegliche Beschönigung.