Aleksandar Srnec, Object 010571 (1971), electric motor, wood, bulbs, aluminium, 39 x 32,5 x 14,5 cm, MSU collection, image courtesy MSU
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Aleksandar Srnec: Pionier der abstrakten und lichtkinetischen Kunst in Kroatien

In diesem Jahr feiert das Museum für Zeitgenössische Kunst in Zagreb zwei Jubiläen: das 70-jährige Bestehen des Museums und den 100. Jahrestag der Geburt von vier außergewöhnlichen Künstlern: Julije Knifer, Ivan Picelj, Aleksandar Srnec und Josip Vaništa. Während des Jahres finden Ausstellungen des Zyklus „70/100“ statt, die an die Bedeutung der großen Vier erinnern, die seit der Gründung im Jahr 1954 die Aktivitäten des Museums maßgeblich geprägt haben.

In den 1960er Jahren wurde Aleksandar Srnec zum Vorreiter für Innovationen im Bereich der Objekt- und Programmkunst, indem er nichtplastische Materialien, Raum, Bewegung und Licht in das bis dahin statische Medium der Skulptur einführte. Er nutzte Ergebnisse der kinetischen Lichtforschung und neue Technologien, um in Kroatien (damals Teil Jugoslawiens) einzigartige Lichtwelten und Lichtplastiken mit fantastischen kinetischen Lichtbildern und linearen Arabesken zu schaffen, und erweiterte so durch den Einsatz von Technologie die gebräuchliche Vorstellung von einem Kunstwerk. Daneben schuf er Zeichnungen, Gemälde, Collagen, Drucke und Skulpturen. Er befasste sich mit Grafikdesign, der Konzeption von Ausstellungspavillons und internationalen Ausstellungen sowie mit Experimental- und Zeichentrickfilmen. Abstraktes Denken, Innovationskraft, Experimentierfreude und die Suche nach neuen Formen der Gestaltung durchziehen alle diese Medien.

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Aleksandar Srnec, Object 180776 (1976), aluminium, electric motor, 42,2 x 34 x 34 cm, MSU collection, photo: Nenad Glavan, image courtesy MSU

Die Ausstellung, die vom 26. Juni bis 25. August 2024 im Museum für Zeitgenössische Kunst zu sehen war, zeigte den künstlerischen Reichtum und die Vielfalt des Werks von Aleksandar Srnec, welches das Museum im Laufe der Jahre zusammengetragen hat. Die Kuratorin der Ausstellung war Nataša Ivančević, PhD. Verantwortlich für das Ausstellungsdisplay war Lada Sega.

Die 1950er Jahre: Die Anfänge von Aleksandar Srnecs künstlerischer Forschung und seinen Innovationen

Die Anfänge der künstlerischen Forschung und der Innovationen von Aleksandar Srnec reichen bis in die frühen 1950er Jahre zurück, als er zusammen mit anderen Mitgliedern der Gruppe EXAT 51 (1951 - 1956) den Bruch mit der Doktrin des sozialistischen Realismus maßgeblich beeinflusst hat. Sie führen die Abstraktion ein, setzen sich für die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks ein, für die Zusammenführung aller bildenden Künste und sorgen für eine Modernisierung aller Bereiche des visuellen künstlerischen Ausdrucks und der visuellen Kultur, die im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stehen. In den 1950er Jahren schuf Srnec ein umfangreiches abstraktes zeichnerisches und malerisches Oeuvre. In dem Objekt mit dem Titel Spatial Modulator (Räumlicher Modulator), 1953, mit dem er die kinetische Forschung in den Objekten der 1960er Jahre vorwegnimmt, setzt er die bewegten Linien, die das grundlegende künstlerische Element seiner frühen Zeichnungen und Gemälde sind, räumlich um.

Aleksandar Srnec: Vorreiter der Innovationen im Bereich der kinetischen Lichtobjekte und Skulpturen in den 1960er Jahren

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Aleksandar Srnec, Luminoplastic (1965-1967), wire, slide projector, electric motor, slides, 90 x 81 x 70 cm, MSU collection, photo: Nenad Glavan, image courtesy MSU

Fasziniert von Licht und Bewegung schuf Aleksandar Srnec in den 1960er Jahren ein in der kroatischen Nachkriegskunst einzigartiges künstlerisches Oeuvre im Bereich der kinetischen und lichtkinetischen Objekte und Skulpturen.

Das erste lichtkinetische Objekt, das in der kroatischen Kunst geschaffen wurde, ist die Luminoplastik (1965 - 1967). Ein Diaprojektor projiziert 80 Dias auf eine rotierende Drahtstruktur, die von einem Elektromotor angetrieben wird. Die Dias wurden von Srnec mit der Hand gezeichnet, wobei sein Ausgangspunkt eine abstrakte Zeichnung aus den frühen 1950er Jahren war. Jedes Dia stellt ein separates Kunstwerk dar, aber das Auge nimmt es nicht als einzelne Vorlage wahr, sondern durch die mechanische Bewegung der Elemente des Objekts als die Gesamtheit des kinetischen Prozesses. Es entstehen eine bewegte dreidimensionale Zeichnung und ein visuelles Lichterlebnis in einem abgedunkelten Raum.

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Aleksandar Srnec, 130370 Object (1970), aluminium, plexiglas, bulb, electric motor, 43,5 x 44,4 x 20 cm, MSU collection, image courtesy MSU

Bei einer Einzelausstellung in der Galerie für Zeitgenössische Kunst (heute Museum für Zeitgenössische Kunst) im Jahr 1969 verwandelte er den gesamten Raum in eine Lichtlandschaft. Die aus Plexiglas gefertigten konvex-konkaven Formen waren zu einer vertikalen Reihe verbunden, die von einem Elektromotor angetrieben wurde. Den abgedunkelten Ausstellungsraum beleuchtete Srnec mit der Projektion von grafisch bearbeiteten Dias. Mit seinem Interesse für das bewegte Bild und seinem Hang zur Intermedialität schafft er experimentelle Filme, deren Schwerpunkt auf der Aufzeichnung von Effekten, die durch Projektionen auf kinetische Objekte entstehen, liegt.

Er fertigte eine Vielzahl von Objekten aus den verschiedensten Metalllegierungen, aus Plexiglas, mit eingefügten Drähten und Ähnlichem an, mit dem Ziel, diese in Rotation zu versetzen, um somit das visuelle Erleben ständig zu erweitern. Er benannte die Objekte mit dem Datum und dem Jahr ihrer Entstehung. Die Objekte werden durch Elektromotoren von Nähmaschinen, Öfen und Waschmaschinen aus den 1960er Jahren angetrieben. Um den gewünschten Effekt zu erzielen, wählte er leicht verfügbare, kostengünstige und funktionale Elemente. Aufgrund ihres veralteten Zustands sind die Mechanismen oft defekt, und die Funktionalität der Geräte aufrechtzuerhalten, stellt eine Herausforderung für die Restauratoren dar.

Aleksandar Srnecs Multiple auf der 35. Biennale in Venedig

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Aleksandar Srnec, Multiple 150570 (1970), plexiglas, metal, electric motor, 15,5 x 11 x 11 cm, MSU collection, photo: Ana Opalić, image courtesy MSU

Er stellte 1970 im zentralen Pavillon der 35. Biennale in Venedig aus, und im Rahmen einer Produktion dieser Biennale wurden 100 Exemplare des kinetischen Objekts Multiple 150570 hergestellt. Hinter der Idee, von einem Werk (einem Druck, einem Objekt) durch Vervielfältigung mehrere Exemplare herzustellen, stand der Wunsch, die Kunst zu demokratisieren. Ein Kunstwerk ist nicht länger ein teures Einzelstück, sondern wird in mehreren Exemplaren reproduziert, um so den Preis für ein breiteres Publikum bezahlbar zu machen.

Die Rezeption seines Werks

Die Liste der Ausstellungen, an denen er sowohl im In- als auch im Ausland teilnahm, ist beeindruckend. 1952 stellte er zusammen mit Ivan Picelj und Vladimir Kristl auf dem VII. Salon des Réalités Nouvelles in Paris aus. Es war der erste Auftritt kroatischer Künstler auf einer internationalen Ausstellung im Ausland nach dem Krieg, die nicht institutionell organisiert war. Zusammen mit Ivan Picelj und Vojin Bakić stellte Srnec 1959 in der Galerie Denise René in Paris (die Einleitung zum Ausstellungskatalog wurde von Michel Seuphor und Victor Vasarely verfasst) und in der Galerie Drian in London (1960 und 1961) aus. Das Museum präsentierte Srnec bei zahlreichen Ausstellungen im Ausland und organisierte seine Einzelausstellungen (1969 und 1971). Srnec nahm an mehreren Ausstellungen der „Neuen Tendenzen“ teil, die Zagreb auf die kulturelle Landkarte Europas setzten. Im Jahr 2010 wurde in einem neu eröffneten Gebäude der MSU seine umfassende Retrospektive Present Absence (Momentane Abwesenheit) präsentiert.

Fasziniert von Licht und Bewegung schuf Aleksandar Srnec ein einzigartiges künstlerisches Werk der kroatischen Nachkriegskunst. Mit seinen lichtkinetischen Werken gesellt er sich zu einer großen Familie von globalen Wegbereitern  – angefangen von den Pionieren der kinetischen Kunst, A. Rodčenko, N. Gabo, V. Tatlin, L. Moholy-Nagy und A. Calder, bis hin zu seinen Zeitgenossen, N. Schöffer, O. Piene, B. Munari, J. R. Soto, J. Tinguely, J. Le Parc, A. Biasi und anderen.

Wenngleich die Kunst von Aleksandar Srnec zum Zeitpunkt ihrer Entstehung aufgrund ihrer Innovation und Qualität frühzeitig Anerkennung fand, hat sie bis heute noch immer nicht den ihr gebührenden Platz in der Welt der kinetischen Kunst erhalten.

Wir hoffen, dass dieser Missstand zumindest teilweise durch die Ausstellung von Luminoplastic, seinem nunmehr historischen Werk, in der Ausstellung Electric Dreams: Art and Technology Before the Internet (Elektronische Träume: Kunst und Technologie vor dem Internet), die demnächst in der Tate Modern in London eröffnet, behoben wird.

Diesen Artikel verfasste Nataša Ivančević auf Englisch.

 

Über den Autor/ die Autorin

Übersetzung

Sybille Hayek

Sybille Hayek ist Lektorin und Übersetzerin. Seit 2022 unterstützt sie unser Team ehrenamtlich mit ihrem geschulten Blick fürs Detail und einer großen Liebe zur Sprache.

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