Skulpturen im niederländischen Oisterwijk
Kunstreisen! Skulpturenpfade! Was gibt es Schöneres, als spazieren zu gehen, Kunst zu betrachten und dabei eine Stadt oder ein Dorf zu entdecken? Diesen Juni lud Oisterwijk in den Niederlanden, ein malerischer Ort, nur einen Katzensprung von Tilburg und 's-Hertogenbosch entfernt, seine Gäste zu genau diesem Vergnügen ein.
Art in Oisterwijk ist ein Konzept von Bert Huls, der als Garten- und Landschaftsarchitekt arbeitet. Normalerweise hat in seiner Arbeitsweise die Natur Vorrang vor Gebäuden, aber in diesem Juni bekam die Kunst eine Bühne, auf der Skulpturen die Hauptrolle spielten. Lindeveld, Kiosk und Trouwlaantje – eine grüne Zone im Herzen der Gemeinde – platzte vor Kunst aus allen Nähten.
Hochwertige Kunstwerke mit niederländischen, belgischen, deutschen, englischen, spanischen und italienischen Pässen schmücken das grüne Herz. Hier kommen auch ausländische Spitzenkünstler*innen der jüngeren Kunstgeschichte auf ihre Kosten. Die eklektische Ausstellung mobilisiert Werke aus den Sammlungen großer Institutionen, Museen und Privatsammler*innen. Es wird weder versucht, einen roten Faden zwischen den Skulpturen herzustellen, noch gibt es ein Konzept, auch wenn das Thema ‘Sprich mit mir’ als Ausgangspunkt gewählt wurde. Das soll den Humor und die Witzeleien, aber auch die ernsten Themen der manchmal fast Seite an Seite ausgestellten Skulpturen nicht schmälern.
Ich möchte mich an die vor Ort tätigen Bildhauer wenden, mit einem Schwerpunkt auf niederländischen und belgischen Positionen und einigen internationalen Spitzenkünstler*innen.
Apropos Spitzenskünstler*innen: Der Künstler David Černý begrüßt uns auf beiden Seiten des Skulpturenpfades, mit einem wortwörtlichen Knall und einem großen Mittelfinger. Geboren in der ehemaligen Slowakei, ist sein Werk von dem Gefühl der Unterdrückung geprägt. Mit seinen konfrontativen Arbeiten hält er uns einen Spiegel vor. In seinem Werk Guns, das vor mehr als 25 Jahren entstand, stellt er vier schwarze Gewehre einander gegenüber. Sie zielen aufeinander, aber zum Glück ohne Schießgeräusche. Eine Petition der Dorfbewohner*innen gegen das 'aggressive' Kunstwerk war bereits eingegangen. Bis der Kurator erklärte, dass das Werk tatsächlich für Anti-Gewalt steht, dass der Künstler die Menschen wachrütteln will. Der Fuck the President-Mittelfinger bedarf keiner Erklärung. Zum Glück hat er seinen rosa bemalten Panzer zu Hause gelassen.
Man hanging out, ebenfalls ein Werk von Černý – man denke und sehe Freud – teilt sich 'den Himmel' mit Jonas, von der belgischen Allround-Künstlerin Sofie Muller, die für ihre mentalen Skulpturen bekannt ist, die sich hauptsächlich mit der condition humaine beschäftigen.
Sofie Muller, Art in Oisterwijk, Foto: Hilde Van Canneyt
Diese Künstlerin arbeitet gerne in der Tradition der klassischen figurativen Bildhauerei. Die verletzliche Phase vom Kind zum Erwachsenen ist eines der allgemeinen Themen in ihrem Werk. Ihre Alabaster Mentals, animierte Köpfe mit Umhängen, brachen einige Rekorde in der Kunstwelt. Die patinierte Bronze, der hängende Junge Jonas, scheint von oben mit einem gewissen Misstrauen auf die Gewalt der Farben und Formen unter ihm zu blicken. Jonas ist ein kleiner Junge, den die aus Gent stammende Künstlerin 2011 modelliert hat, inspiriert von Ray Bradburys Buch Fahrenheit 451. Sie schuf eine Reihe von jungen Menschen, die sich in unangenehmen Situationen wiederfinden und Opfer der eigenen oder fremden Psyche sind, wie bei Jonas, der hier von jemandem buchstäblich aufgehängt wurde: Er kann nicht weg. Er ist bestraft worden und hängt nun niedergeschlagen an einem Haken. Dieser Juggernaut ist einer der subtilen Hotspots der Ausstellung. Oder eine minimale Intervention, die einen am Kragen packt.
Wie es sich für einen würdigen Skulpturenrundgang gehört, stoßen wir auch auf ein klassisches Element der Kunstgeschichte: die Säule.
Der Belgier Nick Ervinck wird vor allem für seine knallgelben Polyester-Skulpturen gefeiert, die mit ihren vielen Öffnungen und Negativräumen den öffentlichen Raum grotesk schmücken und dem Betrachter eine frivole Frische bieten. Was ihn als Künstler fasziniert, ist die Entwicklung der Bildhauerei und wie sich Techniken und Materialien mit ihr weiterentwickelt haben. Sein Thilap, ein Totem, basiert auf Ornamenten und Symbolen der Kelten und erhebt sich stattlich zwischen den Bäumen. Es ist eine Triumpfsäule, die zwischen indianischen Totempfählen und einer futuristischen Säule schwebt, die einem Stanley Kubrick-Film entsprungen sein könnte. Es ist seine erste Statue, die von Robotern modelliert wurde: in Schaumstoff geformt und mit Polyester überzogen. Die Farbgebung geht von Orange zu Gelb/Weiß über. Sie ist von Hand bemalt, so dass man den Farbauftrag spüren kann.
Speziell für die Art in Oisterwijk schuf er Tephien, eine menschliche Figur, als Einladung entsprechend dem Titel der Art in Oisterwijk: 'Sprich mit mir'. Selbst wer mit geschlossenen Augen herumläuft, kann seine beeindruckenden Skulpturen nicht übersehen.
Das Werk des Iren Sean Scully hat sich vom Minimalismus zur (emotionalen) Abstraktion entwickelt. Und die Kunstwelt liebt ihn, denn er wurde bereits zweimal für den Turner-Preis nominiert. Der Tower with Hole 4, ein Turm aus Cortenstahl scheint 'kühl' zu sein, aber im Gegenteil, lädt Scully uns ein, herauszufinden, was wir fühlen, und nimmt uns an die Hand, um uns auf den spirituellen Weg zu führen. Der Turm absorbiert das Licht zwischen den Bäumen seiner Umgebung und verleiht der stattlichen und minimalen Form der Skulptur etwas Lebendiges an der Oberfläche.
Organische Formen im Überfluss. Tony Craggs Ferryman ist eine dynamische, taumelnde, perforierte schwarze Bronze mit organischen und geschwungenen, fast sich beweglichenen Ausstülpungen. Es scheint ein `Wesen‘ zu sein, mit spielerischen Kurven, die das Werk sinnlichen aufladen. Allerdings bleibt es dem Betrachter überlassen, Assoziationen zu Inhalt und Form herzustellen. Cragg spielt mit dem Betrachter und fordert ihn auf, starre Muster aufzubrechen. Dieses dynamische Werk wurde bereits auf der Biennale von Venedig ausgestellt, so dass diese 25 Jahre alte spielerisch hohl und konvex geformte Skulptur ihren Platz verdient hat.
Größe spielt eine Rolle, meint der Niederländer Ronald Westerhuis. Mit Life, seiner imposanten und energiegeladenen Außenskulptur aus hochglanzpolierten Kugeln, reflektiert er die Welt und uns in sphärischen Formen. Eine gelungene Kombination!
Gewissermaßen aus der Landschaft herausgeschnitten, sehen wir einige weiße Figuren, die einen Karren ziehen. Der niederländische Künstler Joep Van Lieshout hat Slave City geschaffen, eine Stadt, in der jeder ein Sklave ist, ein Ideal, das sich als ein großes Gefängnis entpuppt. Als Idealist strebt Lieshout nach einer nachhaltigen Gesellschaft. Die weiße Polyester-Skulptur Waterwagon ist eine Anspielung auf den verlorenen Menschen. Die Figuren ziehen einen Kesselwagen, der die Stadt mit Wasser versorgen soll. In De Pont in Tilburg hat er eine echte Science-Fiction-Ausstellung mit der gleichen kühlen, exzentrischen Bildsprache gestaltet, bei der er weiter ging, als uns lieb ist. Seine Frage: Was kann ich durch Kunst für die Gesellschaft bewirken? Er tut es, indem er Reibung erzeugt.
Der Niederländer Jeroen Henneman lässt seinen Hund raus, eine fast weiße, ausgeschnittene grafische 3D-Zeichnung, die er selbst als `stehende Zeichnung‘ bezeichnet. Durch das Spiel mit der Dimensionalität wirkt die Skulptur wie ein Standbild aus einem Film und erzeugt gleichzeitig ein Entfremdungserlebnis.
Und wo Geert Koevoets mit seiner Kombination aus Hängeskulpturen und Neon inhaltlich an die Verletzlichkeit der Menschheit im Ersten Weltkrieg anknüpft, bei dem Oisterwijk als einer der ersten Orte Flüchtlinge aufnahm und bis heute aufnimmt, entwarf der andere niederländische Mitbürger und Environment Künstler Will Beckers die interaktive kugelförmige Sitzskulptur Refuge2022 für Art in Oisterwijk: `Komm, setz dich und sei still oder sprich mit mir‘.
Der Himmel ist die Grenze.
Das Paar Emilia und Ilya Kabakov ist in der Ukraine geboren, aber Ilya studierte in Moskau, wo er zu den Moskauer Konzeptualisten gehörte. Weltweit gibt es mehr als 150 Installationen von ihnen in verschiedenen Ausdrucksformen, die vor allem zum Nachdenken anregen. Im Jahr 2017 durften sie sogar die Tate Modern schmücken. Hier zeigen sie nun die Installation Fallen Sky – eine schiefe Ebene, die sich auf den russischen Himmel bezieht. Wie ein Werk von vor fünfzehn Jahren sich nah an die Gegenwart anlehnen kann und einmal mehr beweist, wie Kunst die Augen öffnen kann.
Mit L'autre ciel - du rocher souriant jusqu'au ciel, un continent commerce zeigt uns der Franzose Jean Denant ebefalls, wie Kunst unsere Augen öffnen kann. Kunst im öffentlichen Raum ist sein dada. Im Jahr 2016 schenkte Präsident Hollande dem marokkanischen König Mohammed VI. sogar ein Kunstwerk von ihm. Drei vulkanische Felsbrocken wurden mit Spiegeln versehen und schauen in den Himmel. Der Künstler wollte damit den Kontrast zwischen den schweren, irdischen Steinen und der schwer fassbaren Leichtigkeit des Himmels hervorheben.
Die Belgier Panamarenko und Johan Tahon zeigen realitische Arbeiten. Panamarenko's Bronze Batopillo - übersetzt: 'Rucksack-mit-Flieger'. Der Künstler wollte wirklich seine Flügel ausbreiten! Keine Idee war zu verrückt für diesen Professor Barabas mit seinem vielfältigen Oeuvre an geflügelten und motorisierten Assemblagen, Raum- und Wasserfahrzeugen. Ob seine Werke wirklich reiten, segeln oder fliegen können, war dem Künstler egal. Selbst wenn es seine Absicht war, als er sie schuf.
Tahon, der für seine schlichten Gipsfiguren bekannt ist, präsentiert hier seine kniende Frauenfigur Virgin sun. Seine Skulpturen stellen die Unvollkommenheit und Einsamkeit des Menschseins dar.
Die (hyper)realistischen und (manchmal mehr als) lebensgroßen bemalten Bronzefiguren des Engländers Sean Henry lassen einen durch ihre fast 'lebendige' physische Erscheinung – im Griechischen Sophrosyne genannt – für einen Moment zurückschrecken, allein durch ihr Erscheinen an unerwarteten Orten. Es handelt sich um spielerische, buchstäbliche psychologische Interventionen, die die Offensichtlichkeit des Skulpturenwegs durchbrechen.
Der Deutsche Stephan Balkenol ist vor allem für seine menschlichen Figuren in alltäglichen Erscheinungsformen bekannt, die er mit Stemmeisen grob in Holz schnitzt. Mit seiner Außenskulptur Mann und Tänzerin, die in ihrer Schlichtheit bezaubernd ist, hat er keine großen Pläne. Es ist an uns, ihre Geschichte zu ergänzen.
Cortenstahl: ein Material, das von Kennern der besseren Bildhauerei sowohl geliebt als auch verhöhnt wird. Der Franzose Bernar Venet hat gerade den Preis für den Künstler des Jahres der American Friends of Museums in Israel gewonnen. Er war zudem Gast der Documenta 6 und wurde 1978 von der Biennale Venedig eingeladen. Mit seinen dynamischen, massiven Stahlskulpturen – die so mancher Nachwelt als Inspiration dienten – spielt der international renommierte Künstler ein logisches und mathematisches Spiel mit Masse und Volumen.
Auch der Niederländer Pieter Obels entscheidet sich konsequent für denselben rostfarbenen Industriestahl, obwohl seine organisch geschwungenen, von der Natur inspirierten Formen wie in einem lebendigen Tanz herumspringen.
Junge Talente wie der Niederländer Tom Haakman mit seinem 'Hantyturm von Babel' und der aufstrebende Deutsche Leon Lowentraut mit seinem farbenfrohen 'Bronzekopf' quetschen sich zwischen diese Gewalten.
Zum Abschluss ein Hauch von Musik mit The guitar played by the wind des englischen Künstlers Chris Dobrowolski. Diese kinetische Skulptur 'sollte', sobald der Wind flüstert, ein Lied aus Once upon a time in the West von Ennio Morricone spielen, um die für Western typische Synergie mit der Landschaft zu erzeugen. Ein Augenzwinkern in diesem Reigen von Skulpturen.
Eine Kunsttour kann nicht nur Klasse bieten. In einer idealen Welt könnte das alles noch querer sein, und manchmal sind die Skulpturen ein wenig zu einfach zu lesen, aber Kunst ist doch für alle da, oder? Sicherlich hier im charmanten Oisterwijk, wo jeder willkommen ist. Die Organisatoren haben sich um ein niedrigschwelliges Kunstfestival bemüht, allerdings nicht ohne hochkarätige Werke. Ein sehr frischer Einstieg in die Kunst, wie ich finde!
https://www.artinoisterwijk.com
Autorin: Hilde Van Canneyt
Hilde ist Kunstjournalistin und arbeitet hauptsächlich in Belgien und den Niederlanden. Sie ist Koordinatorin bei sculpture network und arbeitet darüber hinaus als Kuratorin, sitzt in Kunstjurys und ist Mitglied in verschiedenen Kunstausschüssen. https://www.hildevancanneyt.be
Veröffentlicht: Juni 2022
Aus dem Englischen übersetzt von Julia Weiss