Schmelzende Kunst
Während in München pünktlich zur Adventszeit der erste Schnee fällt, startete in Katowice (Polen) am 3. Dezember die 24. Klimakonferenz der Vereinten Nationen. In London sorgt zu diesem Anlass Olafur Eliasson, der Advokat für Klimabelange in der Kunstwelt, mit seiner Installation 'Ice Watch' für Aufregung. Mit insgesamt 30 Eisblöcken erschafft der Künstler an zwei Standorten in der City eine riesige schmelzende Uhr und machte den Klimawandel für die BesucherInnen spürbar. Zu sehen ab dem 11.12.
Olafur Eliassons Großprojekt macht zum dritten Mal in einer europäischen Hauptstadt auf die fatalen Auswirkungen des Klimawandels aufmerksam. Seine Installation Ice Watch steht dabei immer in Verbindung mit einer klimapolitischen Großveranstaltung. 2014 war seine Installation anlässlich des 5. Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) in Kopenhagen zu sehen. Die zweite Inkarnation erlebte Ice Watch 2015 in Paris, vor dem Hintergrund der Klimakonferenz, die letztlich zum Pariser Abkommen führte. Ab heute tickt die Ice Watch kurz nach der 24. Klimakonferenz in Katowice in London weiter - und erinnert als öffentliche Installation daran, dass der Klimawandel uns alle betrifft. 24 Eisblöcke warten vor der Tate Modern darauf, unter den Händen von Tausenden von Besuchern zu schmelzen, und 6 weitere vor dem Sitz von Bloomberg Philantropies, je nach Wetterlage voraussichtlich nur bis zum 21. Dezember. Das Eis als unbeständiges Material, auf das der Künstler kaum einen Einfluss ausübt, verdeutlicht die Dringlichkeit von Eliassons Anliegen.
Installation: Bankside, outside Tate Modern, 2018. Photo: Justin Sutcliffe © 2018 Olafur Eliasson
Mit welchen Herausforderungen die künstlerische Arbeit mit dem schmelzenden, ephemeren Materialien Schnee und Eis verbunden sind, darüber sprechen wir mit vier KünstlerInnen aus unserem Netzwerk: Ilka Raupach, die große Eis- und Schneeskulpturen im Norden Europas mit Performances verbindet, dem Künstlerduo Frank Nordiek und Wolfgang Buntrock, die in ihrer Heimat Niedersachsen die Gunst der Stunde nutzten um an einem der wenigen kalten Tage mit Eisschollen zu arbeiten, und Rainer Jacob, der mit seinen Eisstickern kurzlebig Statements in Paris, Berlin und Moskau setzt.
Ilka Raupach entdeckte ihre Liebe zum Eis im Rahmen ihrer Ausbildung zur Elfenbeinschnitzerin. Ein viermonatiges Praktikum führte sie an die Westküste Grönlands, wo sie mit erfahrenen KnochenschnitzerInnen arbeitete. Dort begegnete sie auch erstmals gigantischen Gletschern und riesigen Eisbergen. Während ihres Studiums in Halle verbrachte sie dann ein Austauschsemester in Bergen in Norwegen, wo ein Schneeseminar inklusive Übernachtung in einer Schneehöhle ein weiterer wichtiger Schritt auf ihrem Weg zum Eis war. Gefragt nach der Besonderheit von Schnee und Eis in ihrer Kunst sagte sie uns „Schnee ist ein Material mit innewohnender Dualität: Es ist einerseits kalt, andererseits kann man schützende Höhlen daraus bauen, in denen man warm bleibt. Es ist einladend und feindselig, unbeständig und vergänglich und kann doch zigtausendjährige Erdgeschichte konservieren.“
Der Entstehungsprozess ihrer Werke beginnt meist mit dem Verdichten des Schnees zu einem großen Block, um dann mit verschiedenen Werkzeugen die Form heraus zu schlagen, zu schneiden und zu hobeln.
Aber auch vor großen Eisblöcken macht die Künstlerin nicht halt. Bei einer Performance im schwedischen Jukkasjärvi ließ sie Schneewittchen in einem lebensgroßen Eissarg erwachen.
Seit mehr als zwanzig Jahren arbeiten Frank Nordiek und Wolfgang Buntrock gemeinsam an Land Art Projekten. Der gelernte Mineraloge und der Landschaftsarchitekt lernten sich in einem Chor kennen und begannen in einer Reihe von Experimenten Landschaften künstlerisch zu gestalten.
Mittlerweile sind beide Vollzeit- und Vollblutkünstler und arbeiten vorwiegend mit Materialien in ihrer Heimat Niedersachsen, wo Schnee und Eis allerdings eher Mangelware sind. „Die Idee zu Eisvirus trugen wir schon über ein Jahr mit uns herum, als 2016 endlich einige Tage kalt genug waren, um sie umzusetzen“, erzählt Frank Nordiek im Gespräch. „Wir bauten eine Halbkugel aus Eisschollen und Haselnussruten. Die einzelnen Schollen wurden mit Schneematsch als Klebstoff verbunden und durch die niedrigen Temperaturen aneinander gefroren. Am nächsten Tag stand Wolfang früh morgens auf, um zu unserem Werk zurückzukehren und erlebte einen magischen Moment: die Temperatur war leicht gestiegen und ließ die Oberfläche des Sees schmelzen. Durch die Spiegelung entstand der Eindruck einer im Wasser schwebenden Kugel.“
Rainer Jacob setzt mit seinen Arbeiten aus Eis eindeutige Statements in den öffentlichen Raum. Zwar sind die Aussagen oft mit einem Schmunzeln verbunden oder hinter einem Wortspiel versteckt. Dennoch sind globale und lokale politische Themen deutlich erkennbar. Nach seiner Ausbildung und seinem Studium in Dresden verschlug es Rainer Jacob in ein kleines Dorf zwischen Bremen und Hamburg. Hier begann er erste Versuche und stellte Silkonformen von einzelnen Heizkörper-Rippen her, die er im Anschluss mit Wasser goss und zu Eis werden ließ. Nach und nach wuchsen die Arbeiten und er besorgte sich eine große Kühltruhe, um die Werke zu lagern. Mittlerweile passt er die Größen der Heizkörper aus Eis den verschiedenen Gebäuden und Orten an und platziert sie gezielt im öffentlichen Raum.
110 x 70 x 32 cm, Berlin
„Für Paris hatte ich tatsächlich mehrere Radiatoren aus Eis in Styroporboxen im Auto dabei. Einer der Heizkörper stand sogar vor dem Louvre. In Moskau war es aufgrund der Grenzen, die ich überqueren musste, schon etwas schwieriger. Hier entschied ich mich nach längeren Gesprächen mit meinen Gastgebern dazu, nur mit den Silikonformen einzureisen und kleinere Arbeiten vor Ort zu gießen.“ Diese kleineren Arbeiten, Eissticker genannt, klebt er in echter Street Art Manier an Wände in den Metropolen Europas und darüber hinaus. Ähnlich wie Frank Nordiek und Wolfgang Buntrock verwendet er als Kleber Schneematsch. Im Idealfall fallen die Werke im Laufe des Schmelzprozesses nicht einfach von der Wand, sondern verkleinern sich nach und nach.
Ob als eindeutiges, riesiges, globalpolitisches Kunstwerk wie Olafur Eliassons Ice Watch, das nach Kopenhagen und Paris am 11. Dezember auch in London Premiere feiert, oder als stiller, magischer Moment auf einem See bei Hannover wie in Frank Nordiek und Wolfgang Buntrocks Eisvirus: Kunst macht sichtbar und spürbar. Sie ist ein sinnlich wahrnehmbarer Denkgegenstand. Sie kann helfen, die Welt, in der wir leben, wieder mehr wertzuschätzen – ein wichtiger Schritt, um gemeinsam so unbegreiflich große Themen wie den Klimawandel anzugehen.
Olafur Eliasson fasst es im Bezug auf sein Werk wie folgt zusammen:
Autorin: Elisabeth Pilhofer
Elisabeth Pilhofer ist freischaffende Redakteurin und Kuratorin in München. Obwohl sie kein Fan von kalten Temperaturen ist sprach sie für uns mit den KünstlerInnen über Schnee und Eis als künstlerisches Material.