The Online Club: Louis le Roy und Sara Vrugt – Re:nature
Zwei Generationen, zwei Herangehensweisen, eine Grundhaltung: Die Natur ist eine treibende Kraft, wenn nicht sogar eine Co-Kreatorin in der Community Art von Louis le Roy und Sara Vrugt. Moderiert von Anne Berk, referierte beim Online Club am 18.11.2024 zuerst Piet Vollaard kenntnisreich über die Ökokathedrale von Louis le Roy, danach gestattete die gelernte Modedesignerin und Künstlerin Sara Vrugt tiefe Einblicke in ihr Community Art Projekt 100.000 Bäume und ein Fadenwald.
Nach einer herzlichen Begrüßung der Gastgeberin und stellvertretenden Vorsitzenden von Sculpture Network Anne Berk, führte der Architekt und Architekturkritiker Piet Vollaard zuerst grundlegend in das Schaffen des ziemlich genau vor einhundert Jahren geborenen Louis le Roy(1924-2012, NL) ein, der gerne auch der ‚wild gardener‘ genannt wird. Doch er ist viel mehr als das, auch, wenn seine Land Art tatsächlich mit einer besonders natürlichen und ‚wilden‘ Anlage seines eigenen Gartens in Oranjewoud (ab 1965) begann. Die meiste Zeit seines Arbeitslebens hatte er neben seiner Berufung, der Kunst, auch einen ‚Brotjob‘, er war Lehrer. Denn lange war er der Ansicht, dass man mit Kunst kein Geld verdienen dürfe. Land Art – oder in diesem Fall ‚wild gardening‘ – war nicht seine einzige (künstlerische) Ausdrucksform, denn er ließ seine Kreativität vor allem in den ersten Jahrzehnten seines Schaffens ebenfalls in Gemälde, Fotografie, Skulpturen und sein theoretisches Wissen sowie seine Überlegungen auch architekturkritisch in Bücher und philosophische Abhandlungen einfließen.
Sein größtes künstlerisches Vermächtnis, und auch das zentrale Thema von Vollaards Vortrag, ist jedoch die Ecokathedraal (engl.: Ecocathedral, dt.: Ökokathedrale, ab 1983) in Untzenlaan / Mildam, ein Gesamtkunstwerk, geschaffen von Menschen, Tieren und Pflanzen. Es ist ein ganzes Areal, in welchem die Besucher:innen dieses Zusammenspiel wahrnehmen und sich damit verbunden fühlen können. Um diese Gefühle auch selbst zu erfahren, baute er sein Atelier inmitten des von ihm angekauften drei Hektar großen Geländes. Material von andernorts abgetragenem Straßenbelag (Backsteine, Ziegel, Steinplatten, Pflastersteine, etc.) wurde jede Woche von einem LKW auf das Gelände gebracht und daraufhin künstlerisch arrangiert, aber ungeplant und spontan, überall auf dem Gelände aufgemauert, ohne jedoch Mörtel oder andere Verbundstoffe zu verwenden. Den Feinschliff daran macht jedoch die Natur über die Jahre, Jahrzehnte, wenn es nach dem Willen des Künstlers geht, sogar über Jahrhunderte.
Der Mensch bringt ‚Ordnung‘ in das ‚Chaos‘ und die Natur holt sich die angelegten Mauern und Strukturen nach und nach wieder zurück bzw. formt sie in gewisser Weise. Zu Beginn arbeitete Louis le Roy noch alleine, nach und nach bezog er jedoch immer mehr Menschen als Helfer:innen und Co:Künstlerinnen mit ein, sodass dieses Projekt insgesamt auch, wie schon frühere ‚wild gardening‘-Projekte, als Community Art bezeichnet werden kann. Tatsächlich endete der Bau an der Ökokathedrale nicht mit Louis le Roys Tod, sondern wird in seinem Sinne von anderen Künstler:innen weitergeführt, die zwar den Prinzipien des Meisters folgen, die jedoch auch ihre individuelle Handschrift hinterlassen. Piet Vollaard berichtete derart versiert über Louis le Roys Oeuvre, als hätte man den Künstler selbst zu seinen Arbeiten sprechen hören.
Nach dieser anregenden Präsentation stellte die Künstlerin und gelernte Modedesignerin Sara Vrugt (1983, NL) ihr ambitioniertes Community Art Projekt 100.000 bomen en een bos van draad (engl.:100,000 Trees and a Threaded Forest, dt.: 100.000 Bäume und ein Fadenwald, 2020) vor. Neben einer begehbaren Stoffspirale mit gestickten Bäumen, Blättern und Tieren (Maße insgesamt 4 x 6 m), an welcher 1.278 Menschen verschiedener Herkunft mit und ohne Stickerfahrung beteiligt waren, wurden parallel mit der Hilfe von Crowdfunding Aktionen und der TreeSisters Bewegung auch real 100.000 Bäume gepflanzt. Mit diesem Kunst- und Naturschutzprojekt wollte die junge Künstlerin einen wirklichen Unterschied machen, den Menschen ihre Verbindung zur Natur deutlicher vor Augen führen und in einer Gemeinschaft ein derart umfangreiches künstlerisches Unterfangen bewältigen. Dabei interessierten die Künstlerin auch die Erfahrungen und Geschichten der verschiedenen Mitwirkenden (u.a. aus Deutschland, Japan und Australien und vor Ort in den Niederlanden), die prägnant formuliert im fertigen begehbaren Textil-Environment als gestickter Text die Wurzeln der Bäume bilden. Langfristig ist es geplant, die Textil-Spirale auf einem offenen Grundstück mit frisch gepflanzten Bäumen aufzustellen und es der Natur zu erlauben, das menschengemachte Kunstwerk nach und nach vollkommen zu vereinnahmen und zu zersetzen. Es liegt in der Natur der Sache, dass es sich bei diesem Selbstzeugnis von Sara Vrugt eher um einen Erfahrungsbericht mit zahlreichen Blicken hinter die Kulissen als um einen theoretischen Vortrag handelte. Umso mehr war die Begeisterung der Künstlerin für dieses wichtige Projekt zu spüren, die unmerklich auch auf das Publikum übertragen wurde.
Obwohl diese beiden Künstler:innen, diese beiden Projekte so unterschiedlich sind, handelt es sich in beiden Fällen um Gesamtkunstwerke, die viel Zeit, die Zusammenarbeit vieler Menschen und einen langfristigen natürlichen Renaturalisierungsprozess benötigen. In beiden Fällen ist die Kunst begehbar und entfaltet sich erst richtig im Dialog mit den Betrachter:innen.
Die Teilnehmer:innen an diesem Sculpture Network Online Club aus verschiedenen Ländern fühlten sich offensichtlich von beiden Beiträgen äußerst inspiriert, stellten interessierte Fragen und sogen die Antworten darauf ebenso ein, wie die vorausgehenden Vorträge.
Text auf Deutsch geschrieben von Iris Haist.