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HANDGEHABT – Bericht vom Dialogue in Berlin

Eine Gruppe der Teilnehmer:innen von Sculpture Network traf sich am Samstagnachmittag, 17. Februar 2024, in Berlin-Schöneberg, um gemeinsam die Ausstellung „HANDGEHABT – Werke aus allen Schaffensperioden“ des Bildhauers Prof. Wolfgang Nestler zu besuchen.

Der Nachmittag wurde von Sculpture Network Koordinatorin Anemone Vostell zusammen mit Sammlungsexpertin Jana Noritsch und der künstlerischen Beraterin Christel Blömeke begleitet. Der Bildhauer Wolfgang Nestler, der sowohl in der Eifel, in Düsseldorf als auch in Berlin lebt und arbeitet, gab im Rahmen der retrospektiven Ausstellung Einblicke in sein künstlerisches Schaffen, sein Leben und sein Wirken. In den beiden Räumen kuratierte der Kunsthistoriker Dr. Roland Scotti (Arbon, CH) für die Berliner Ausstellung Werke aus über sechs Jahrzehnten.

 

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Wolfgang Nestler, Ring (1971), Rundstahl, geschmiedet ø1,2 cm, Gummischnur, 160 cm, hoch, ø 57,5 cm, Variabel; mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Kunstraum Krüger Berlin
Kurz nachdem den Teilnehmer:innen der Künstler vorgestellt wurde, begann ein lebhafter Diskurs, der später im Schöneberger Atelier von Wolfgang Nestler fortgeführt wurde. Ein wenig wie im Geiste der Beuysschen „Sozialen Plastik“ kam es zu einem inspirierenden Austausch, während dessen einige Werke vorgeführt bzw. von Teilnehmer:innen bewegt wurden.
Anschließend fanden sich alle im Kunstraum Krüger ein, um bei Tee und Kuchen ins Gespräch zu kommen: Jede:r hatte die Möglichkeit, sich und ein aktuelles Projekt vorzustellen. Die für den Besuch vorgesehenen vier Stunden vergingen wie im Fluge. 

Wie unsichtbar bilden sich um die einzelnen Werke von Wolfgang Nestler individuelle Räume, die zur Handlung animieren – nicht nur dazu anregen, näher zu treten, sondern auch in eine gemeinsame Bewegung mit dem Objekt zu kommen. Alle Werke der Ausstellung korrespondieren im Gesamtspiel unaufdringlich miteinander und mit den Besucher:innen.

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Wolfgang Nestler, o.T. (1983), Stahl, Brennschneidearbeit, 41 × 8,8 × 15 cm, 2tlg., mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Kunstraum Krüger Berlin


Wolfgang Nestler ist ein Bildhauer, der sich im Werkprozess jedes Mal von Neuem gemeinsam mit dem Material „auf den Weg macht“, ohne es bezwingen zu wollen, sondern um ihm vielmehr die Freiheit zu lassen, mit ihm etwas geschehen zu lassen. Mit seinem Mut und seiner Freude am geformten Material gelingt es ihm, den Dingen freien Lauf zu lassen, auf Unvorhergesehenes sogar zu hoffen und selbst in der Position des Entdeckenden zu bleiben. Es gibt kein vorgefertigtes Konzept, das der Künstler umzusetzen sucht. Von 1967 bis 1973 studierte Wolfgang Nestler an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf; er war Meisterschüler bei Erwin Heerich. Gleichzeitig absolvierte er eine Ausbildung zum Schmied.

Im Kunstraum Krüger fällt der erste Blick beim Betreten des Raumes auf das Objekt „Ein gesperrtes Siegestor“ aus dem Jahr 1975. Präzise und sicher umspannt der Stahl an den Gewindestäben die 34 Holzwürfel – und doch sind wir gewahr: Würde jemand eine Schraube lösen, sähe alles plötzlich ganz anders aus.
Wandert unsere Aufmerksamkeit weiter nach rechts in den Raum, begegnet uns das Werk „o. T.“ aus dem Jahr 1971: Siebzehn verschiebbare Stahlstangen an einem Seil. Die endgültige Gestalt der variablen Plastik in der Ausstellung wurde oft durch den Kurator entschieden.

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Wolfgang Nestler, o.T. (1971), 246 × 100 × 2 cm, Stahl, geschmiedet, 17 Stangen ø 0,8 cm, Seil ø 1 cm, Variabel, mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Kunstraum Krüger Berlin
 
„Die Plastiken ereignen sich, sie sind ein Systesm“ [„Tätige Form“ Film von Gabi Heleen Bollinger 2018, 1:03 min],  verdeutlicht der Künstler bereits zu Beginn seiner Laufbahn vor fast sechzig Jahren. Die Plastiken sind zumeist und öffnen in ihrer Beweglichkeit, Bewegtheit oder Bewegung einen eigenen Möglichkeits-Raum des Ins-Handeln-Kommens. Oder um es mit den Worten des Künstlers auszudrücken: „Form wird hier erlebt als Form, die wird, und als Form, die wirkt.“ [ebd.]


In diesem Ausstellungsraum sind u. a. auch als früheste Arbeit die ungebrannte Ton-„Vase“ (Werkverzeichnis (WVZ) 004/599, 1968) zu sehen sowie ein Werk aus Federstahl, das in der gelochten Stahlfassung wie ein „Lasso“ wirkt („o. T.“, WVZ 169/174, 1978). Der Stahlguss im Styropor (o. T., WVZ 224/483, 1981) fasziniert mit Leichtigkeit ebenso wie das „Bewegliche Dreieck“ (WVZ 522/575, 2015). Anemone Vostell lenkt das Gespräch dann auf eine deutlich massivere Brennschneidearbeit aus Stahl („o. T.“, WVZ 161/387, 1983).

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Wolfgang Nestler, Der Tisch, den sich die Schwalbe besieht (1980), Stahl, geschmiedet, 105 × 83 × 76 cm, 3tlg.; mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Kunstraum Krüger Berlin

Im Atelier des Bildhauers:
Gemeinsam mit einer Teilnehmerin tritt Nestler an den „Tisch, den sich die Schwalbe besieht“, ein Werk bestehend aus einem Arbeitstisch, einem Haken und einem stahlgeschmiedeten Balancestab. Er hebt den Stab auf und beide sprechen mit der Gruppe über die Umsetzung seiner Werkidee. Beim Aufsetzen der gebogenen Spitze auf den Tisch raunt Wolfgang Nestler: „Hier kann man die Luft spüren, die ein Vogel unter den Flügeln hat.“ Begeistert waren die Besucher:innen auch über den – mental spannungsgeladenen – „Taster“ (014/473, 1969). Und die tatsächlich gespannte Stahlstange „o. T.“ (WVZ 361/393, 2000-2004), die sich zwischen den vier an der Wand befestigten Knöpfen entlang zu schlängeln scheint. In diesem zweiten Ausstellungsraum von „HANDGEHABT“ findet sich ein Bildschirm mit Filmmaterial, da das Berühren der Plastiken aus Sicherheitsgründen verboten ist, können Besucher:innen hier sehen, wie sich die Objekte in bewegter oder veränderter Gestalt darstellen. 

Was in Nestlers Oeuvre zuweilen leicht anmutet und eben immer ausreichend „Luft“ bekommt, ist harte Arbeit: „Und heute ist es auch nicht leichter als früher, weil einfach alles fordert: Es gibt keine einzige Stelle eines Objekts, in der ich nicht drin bin. Es gibt also eine Idee, dann kommt der Vorgang des Schmiedens. Und dann verschwindet mein Plan und ist völlig neu! Jedes Mal denke ich in diesen Spannungssituationen: Was passiert jetzt? Immer wieder gibt es diese neuen Momente, in denen eine Form entstehen will. Situationen, in denen ich mich fast auflöse und loslasse. Denn ich weiß: Es fließt – wie Wasser, es lässt sich nicht stoppen. Es steigt immer an und will wohin – in eine Form, die es selbst finden will. Man braucht also den gesamten Körper und Geist, auch um sich zu trauen, Fehler zu machen. Die Sache muss aufgelöst werden, es wird einen Weg geben. Aber eben einen Weg, den ich vorher nicht kenne." Dies korrespondiert auch mit dem Titel von Nestlers Werkverzeichnis „Kraft, die niemand fürchtet / Tätige Form / Plastiken 1967 – 2017“.

Ein intensiver Schaffensprozess, in dem die Form selbst tätig wird und bei Vollendung eine Einladung zur Teilnahme ausspricht, die eine zufällige Anordnung oder eine neue Gestalt provoziert. Der Ausstellungstitel und die Ausstellung „HANDGEHABT“ beinhalten dies alles. Davon und vom Wesen des Bildhauers waren alle beeindruckt, wodurch die anschließende Gesprächsrunde stark inspiriert wurde.  

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Der Künstler Wolfgang Nestler im Kunstraum Krüger vor seinen Händen (großformatiges Fensterplakat) in der Ausstellung „HANDGEHABT" (Foto: Christel Blömeke)

Dauer der Ausstellung: 12. Oktober 2023 – 12. Juni 2024 (verlängert)
Orte: Kunstraum Krüger Berlin, Hohenstaufenstraße 67, 10781 Berlin-Schöneberg sowie im Atelier Wolfgang Nestler, kuratiert von Dr. Roland Scotti 

Öffnungszeiten der Ausstellung
Dienstag, Mittwoch, Donnerstag 17 – 20 Uhr sowie nach Vereinbarung via bloemeke@ kunstraum-krueger-berlin.com oder telefonisch 49 157 740 186 12.

Wolfgang Nestler wurde 1943 im hessischen Gershausen geboren und wuchs an der Ruhr auf. Von 1967 bis 1973 studierte er an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Erwin Heerich (Meisterschüler).
Als für ihn wichtige Ausstellungen sind zu nennen (Auswahl): 2019 ZKM Karlsruhe, Negativer Raum; 2018 Galerie Wack, Kaiserslautern; 2017 Institut für aktuelle Kunst, Saarlouis; 2009 Sophies Inseln, Hommage à Sophie Taeuber-Arp, Kunsthalle Ziegelhütte, Appenzell; 2006 Was ist Plastik? 100 Jahre-100 Köpfe. Das Jahrhundert moderner Skulptur, Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg; 1993 Stahlplastik in Deutschland, Moritzburg, Halle; 1987 documenta; 1985 Deutsche Kunst nach 1945, Nationalgalerie Berlin; 1977 documenta 6; 1974 Haus Lange, Krefeld.
Nestlers Arbeiten sind deutschlandweit in öffentlichen Sammlungen vertreten, etwa in der Nationalgalerie Berlin, im Lenbachhaus München, im Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg, im Von der Heydt-Museum Wuppertal, im Kunstmuseum Düsseldorf, in der Staatsgalerie Stuttgart, im Landesmuseum Mainz und im ZKM Karlsruhe. Weitere Informationen auf www.wolfgang-nestler.de.

 

Autorin: Jana Noritsch

Deutsch - Englisch

Übersetzung

Sybille Hayek

Sybille Hayek ist Lektorin und Übersetzerin. Seit 2022 unterstützt sie unser Team ehrenamtlich mit ihrem geschulten Blick fürs Detail und einer großen Liebe zur Sprache.

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