Sculpture and Climate Emergency
Drei Tage rangen Künstler*innen und Kunstinteressierte in Málaga um Antworten. Die Atmosphäre der Stadt voller Museen, Inspiration durch Vorträge und Workshops, die Sommertage im Oktober, die Gemeinschaft, all das unterstützte bei diesem Prozess.
1. Tag: Donnerstag, 5. Oktober 2023 im Museo Picasso Málaga
Die Teilnehmer*innen treffen am Abend nach und nach vor dem Museo Picasso Málaga ein und ich lausche dem Stimmengewirr. Nur für unsere Gruppe öffnet sich wenig später die beeindruckende Holztür mit den massiven Eisenbeschlägen und Yke Prins, Vorstandsmitglied von SN und Mit-Organisatorin des Forums bittet uns hinein. Im Innenhof heißen uns der Museumsdirektor und Frank Everlein, Vorstandsvorsitzender SN, willkommen.
Über uns strahlt ein Quadrat hellblauen Himmels. In der Gruppe mit Lourdes Navarro steige ich hinauf zur Terrasse, die nur zu besonderen Gelegenheiten geöffnet ist. Unser Blick geht zur Alcazaba, dem Castillo, der Kathedrale, dem 300 Jahre alten Feigenbaum in einem Innenhof. Die Dämmerung fällt – Zauberstunde.
Wir tauchen ein in die Welt von Picasso. Wir starten mit dem Video, in dem Picasso auf Glas zeichnet. Atemlos verfolge ich, wie er in schnellen Schwüngen Stier, Taube, Blumen zaubert. Lourdes Navarro erklärt uns alles kenntnisreich und mit viel Herz, so wie sie es schon 20 Jahre, seit der Eröffnung des Museums tut. Hoch oben an der Wand ist die Skulptur „Cabeza de Torro“, eine sehr moderne Montage aus Sattel und Lenker eines Rennrades, angebracht. Ich muss den Kopf in den Nacken legen, um zu ihr aufzuschauen. Die Skulptur fällt mir wieder ein, als wir am nächsten Tag über Materialien in der Kunst sprechen.
Im Innenhof genießen wir zauberhafte Tapas. Inmitten des intensiven Summens der Stimmen, schaue ich auf zum Nachthimmel, gerahmt vom Gebäude wie ein Gemälde.
2. Tag: Freitag, 6. Oktober 2023 im Centre Pompidou Málaga
Punkt 9:30 öffnet sich die große weiße Schiebetür des Centre Pompidou Málaga. Das Organisationsteam, bestehend aus Yke Prins, Maria Garcia de Pedro und Zeynep Ece Sahin Korkan empfangen uns. Wir befinden uns jetzt unterhalb des bunten Glaskubus, dem Blickfang des Museums. Auf dem Weg zum Auditorium gehen wir durch kühle, großzügige Räume.
Gespräch 1: Leonor Serrano Rivas mit Martí Manen
Maria Garcia de Pedro stellt Leonor Serrano vor. Für die Werkserie „stardust“ malte sie mit Chemikalien auf Glas, das bei unterschiedlichen Temperaturen im Ofen behandelt wurde. Dass das Ergebnis nicht völlig kontrollierbar ist, gehört zu ihrem künstlerischen Konzept, ebenso die Astrologie und die astronomischen Erkenntnisse über das Universum. Während ich die wunderschönen Bilder betrachte, schleicht sich der Gedanke an den Energieverbrauch des Ofens ein. Hat alles seinen Preis?
Per ZOOM ist der Kurator Martí Manen aus Schweden zugeschaltet. Er stellt ein Projekt aus Jönköping vor. Dort wurden 1965 – 1975 eine Million Wohnungen geschaffen. Was auf den ersten Blick erfreulich klingt, entwickelte sich zu einer problematischen Gegend. Das Kunstprojekt machte sich zum Ziel, in Kontakt mit den Menschen zu treten. Eine Gruppe von Mädchen hatte seit 16 Jahren eine Tanzschule in einem Keller organisiert. Um den Raum zu beleben, hatten sie ihn lila gestrichen. Im Rahmen des Projekts tragen die Mädchen große lila Glasscheiben durch die Wohngegend. „Wer kümmert sich? Wer übernimmt Verantwortung?“, das sind zentrale Fragen des Projekts.
Im Gespräch zwischen Martí Manen und Leonor Serrano Rivas entfaltet sich eine Vielzahl von Antworten auf die Frage: Was kann Kunst?
Gespräch 2: Joana Escoval mit Daniela Zyman
Als eines ihrer Projekte stellt uns Joana Escoval einen experimentellen Ausstellungsraum im Nirgendwo in Island vor. Sie wurde dorthin eingeladen und bekam nur die GPS-Daten. Der Raum war durch einzelne Steine der Umgebung markiert, keine Angestellten, keine Wände, nur eine Kiste mit einer kleinen Bibliothek, in der Erde vergraben. Joana legt, wie alle eingeladenen Künstler*innen, eines ihrer Bücher in die Bibliothek. Ihre zarten, beweglichen Metallskulpturen, die von Menschen getragen werden, bilden die Ausstellung. Die Kunstwerke, gefüllt mit der Energie von Island werden von Joana teilweise in neue Skulpturen verwandelt. Die Legierungen für ihre Werke stellt sie selbst her. In einer Skulptur fügt sie einzelne Teile mit Gold zusammen. Die Legierung oxidiert, dadurch wird das, was verbindet sichtbarer.
Daniela Zyman, künstlerische Leiterin des Museums TBA21, Madrid, spricht eindringlich über „Matriz verde“ auf dem Campo de la Verdad in Cordoba. Ein Brachland, neben dem Museum C3A gelegen, wurde jahrelang sich selbst überlassen. In Absprache mit der Stadtverwaltung erkundete C3A den Ort, nahm 60 Spezies auf, ein Naturparadies! Abraham Cruzvillega gestaltete aus dem Material Collagen. Im Juni 2022 rückte die Stadtverwaltung mit Bulldozern an und verwandelte das Paradies in einen Parkplatz. Ich bin nicht die Einzige, die schockiert auf das Bild starrt. „Warum hat nicht jemand eine Skulptur auf den Platz gestellt, groß und präsent? Sie hätten es nicht gewagt, sie zu zerstören.“ sagt ein Teilnehmer später. Der Platz heißt jetzt lapidar: Sector Sur. Eine Niederlage auf dem Weg, durch Kunst mehr Gerechtigkeit zu gestalten, in unserer menschlichen Gemeinschaft und in der Gemeinschaft mit der Natur, deren Teil wir sind. Daniela Zyman lässt sich dadurch nicht entmutigen.
Die Kaffeepause wird von allen zu intensiven Gesprächen genutzt.
Gespräch 3: Enric Pladeval mit Fran Quiroga
Enric Pladeval entführt uns in seinen Skulpturengarten in der Nähe von Barcelona. Besonders beeindruckt mich die Krypta für den Olivenbaum. In kleinen Gruppen führt er Besucher*innen in das Kunstwerk. Von einem Balkon, der rund um den Zylinder führt, der in die Erde eingelassen ist, schauen wir 7 Meter tief ins Wasser, welches ein Bild des Baumes reflektiert, der mit den Ästen nach unten im Zylinder hängt. Dazu sagt Enric Pladeval: „Vom Künstler kann man zumindest erwarten, dass er die Reihenfolge der Dinge ändert.“ Der Baum, der auf dem Kopf steht, der schwebt, statt verwurzelt zu sein, all das erschüttert unsere Konzepte.
Fran Quiroga arbeitet für Concomitentes, eine Organisation, die einer Gruppe von Bürger*innen zu einem Kunstwerk in ihrer Umgebung verhilft. Sein Anliegen ist der soziale Aspekt von Kunst. Ein Arzt oder eine Ärztin z.B. genieße Ansehen und Respekt in der Gesellschaft, nicht unbedingt ein*e Künstler*in. Er sieht sich als Mediator, um Menschen zu unterstützen, gemeinsam Kunst zu machen. Kunst könne die Bedürfnisse der Gesellschaft und der Umwelt ausbalancieren. Unweigerlich denke ich an den Parkplatz in Cordoba.
Gespräch 4: Laia Estruchs mit Maria Gracia de Pedro
Laia Estruch Kunstwerke bestehen aus einem materiellen Teil, der Skulptur, und ihrer Performance, der öffentlichen Erkundung der Skulptur und ihrem Körper. Das Kunstwerk ist für sie ebenso ein Körper, der klingt, der sich durch ihre Erkundung verändert, Spuren bekommt, wie Tattoos. In einer ihrer Skulpturen, einem riesigen Schlauch, werden die Besucher*innen selbst Teil des Kunstwerkes, indem sie hineingehen. Laia Estruch sagt: „Wenn die Menschen herauskommen, nehmen sie die Wirklichkeit anders wahr.“
In der Mittagspause werden wir wieder mit Köstlichkeiten verwöhnt. Danach stehen Gruppen über Smartphones und Kataloge gebeugt und spinnen das Sculpture Network weiter.
Am Roundtable spricht Maria mit Leonor Serrano Rivas, Joana Escoval und Daniela Zyman.
Der Gedanke der zyklischen Verwendung von Material taucht wieder auf: Loslassen und etwas Neues gestalten. Das Meer, als Lebensgrundlage, mit ihm kreativ sein als Künstler*in, Wissenschaftler*in, Aktivist*in. Es wird als hoffnungsvoll betrachtet, dass die EU mehr Bewusstsein für den Umweltschutz entwickelt. Enric Pladevall sieht es als politische Aussage, einem Olivenbaum eine Krypta zu widmen. Und wer wollte widersprechen, wenn gesagt wird, dass es auch eine Rolle der Künstler*innen ist, die Menschen zu inspirieren.
Dann haben neun Mitglieder von SN jeweils 90 Sekunden Zeit, über ihr Werk zu sprechen. Die Worte und Bilder fliegen an mir vorbei. Einiges habe ich herausgefischt.
Irene Aton: Kraft der Elemente.
Sigita Dackeviciute: Wie bringt dich eine Skulptur zum Nachdenken?
Gabriela Drees-Holz: Suche zusammen mit allen nach Lösungen.
Boky Hackel-Ward: Rost als Symbol der Zerstörung und Licht als Versprechen der Verwandlung.
Elo Liiv: Umweltschutz und Gemeinschaft.
Willi Reiche: Ästhetik, Humor, Upcycling, Transformation, Beleuchtung oder Erleuchtung.
Johannes von Stumm: Licht, Raum, Unendlichkeit.
Almudena Torro: Liebe, Freiheit, Würde – Luft ist das Material, aus dem Freiheit gemacht ist.
Ann Weber: unendliche Möglichkeiten von Karton, einem Material, das alle wegwerfen.
Im Frage- und Antwortspiel tauchen neue Aspekte auf, wie die Emotionalität der Botschaft von Künstler*innen. Die provokante Frage: „Warum sind wir so schnell bereit zu kämpfen und so wenig bereit die Natur zu retten?“ hallt in mir nach.
Nach der Kaffeepause haben wir Zeit, in Ruhe das Museum zu erkunden. Die Skulptur „Nina saltando a la comba“ (das Seil hüpfende Mädchen) von Pablo Picasso, schenkt mir genau die Leichtigkeit, die ich jetzt brauche, nach all den komplexen Themen des Tages. Giacomettis Frau, die von einem Raum in den nächsten schreitet durch ein offenes Dazwischen und mein eigenes Schreiten durch den blauen Raum „I never dream otherwise than awake“ von Emmanuel Lagarrigue, Gestaltung von Übergängen. Wie schwer sind sie doch diese Zeiten der Wandlungen und auch beglückend.
Es ist schon Dämmerstunde, als wir die beiden Busse besteigen und hinauf in die Berge zum Abendessen fahren. Unzählige Lichterketten und festlich gedeckte Tische erwarten uns. Frank Everlein spricht über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von SN und lädt zur Mitarbeit ein. Danach schwelgen wir in gutem Essen und entspannten Gesprächen. In der Dunkelheit fahren wir zurück in das Lichtermeer der Stadt.
3. Tag: Samstag, 7. Oktober 2023 in der Facultad de Bellas Artes de Málaga
Caitlin Southwick gibt uns einen Einblick in ihre Arbeit bei KI Culture, einer gemeinnützigen Vereinigung mit dem Ziel, Kultur und Nachhaltigkeit zu verbinden. Sie plädiert für Transparenz und Bewusstheit.
Anschließend stellen uns fünf junge Künstler*innen der Facultad de Bellas Artes de Málaga die Werke in der Ausstellung „Total Loss“ vor, die von 18 jungen Künstler*innen für das Forum gestaltet wurde. Eine Tischinstallation mit gesammelten Objekten, ein Sarkophag mit Video für den Macho, eine Serie von Drucken, eine Installation der Objekte eines Studiums, eine Anleitung zur Verbindung zweier Menschen mit Performance und eine fiktive Überwachungsstation zeigen die Bandbreite der Arbeiten der jungen Menschen, die mit großem Beifall honoriert wurde.
Nach einer kleinen Kaffeepause zum Durchatmen, geht es weiter.
Die nachfolgenden beiden Workshops, von Caitlin Southwick und Moira Mazzotta von KI Culture moderiert, sind voll belegt. In der Gruppe mit Caitlin Southwick gehen wir der Frage nach, wie Künstler*innen durch ihre Arbeitsweise eine nachhaltigere Zukunft gestalten können. Viele bewegt das Material, die Verschmutzung, doch Caitlin weist darauf hin, dass Elektrizität und Transport einen größeren Einfluss haben. Obwohl die Zukunft von vielen eher kritisch gesehen wird, ist da eine große Bereitschaft etwas zu tun, nicht aufzugeben, aus dieser unendlichen Zahl von möglichen Zukunftsentwürfen auszuwählen.
Nach einer intensiven gemeinsamen Zeit heißt es dann Abschied nehmen. Doch die Fäden sind gesponnen.