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Das „Who is Who” des Internationalen Forums von Sculpture Network

Jetzt, da das Internationale Forum immer näher rückt, gewähren einige der Referent*innen einen Einblick in ihre Erkenntnisse zum Thema Skulptur und Klimanotstand. Hier ein erster Vorgeschmack auf das, was Sie in Málaga erwartet!

Lucía Loren, Cubierta vegetal (2016), stitched roots.
Lucía Loren, Cubierta vegetal (2016), stitched roots.

Dürrekatastrophen und Überschwemmungen, Starkregen und Baumsterben – die Klimakrise lässt sich nirgendwo auf der Welt mehr leugnen. Diskussionen über Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein sind überall in der Gesellschaft präsent, und der öffentliche Diskurs hat sich längst von der Frage „Gibt es eine Krise?“ hin zu „Was können wir dagegen tun?“ verlagert. Kunst mag für manche ein Mittel zur Flucht vor diesem beängstigenden Zustand sein, gleichzeitig kann sie aber auch ein mächtiges Werkzeug für die Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Situation sein. Sie kann sogar zum Sprachrohr für einen Aufruf zum Handeln werden. Seit Jahren stehen Kunstschaffende an vorderster Front, wenn es darum geht, das Bewusstsein für die globale Erwärmung zu schärfen, wobei Bewegungen wie Öko-Kunst und Kunst gegen den Klimawandel immer mehr an Einfluss gewinnen. Künstler*innen wie Ólafur Elíasson oder Mary Mattingly haben sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, wie dringend notwendig ein gesellschaftlicher Wandel angesichts einer globalen Katastrophe ist und sich mit ihren Werken weit in den öffentlichen Raum gewagt. Installationen wie Ólafur Elíassons Ice Watch (2014) oder Mattinglys Vanishing Point (2021) haben das Potenzial, die Menschen auf einer emotionalen Ebene zu berühren, sie zum Nachdenken über Aspekte anzuregen, die sie normalerweise nicht in Erwägung gezogen hätten, oder sogar ihre Meinung über die Bedeutung von Nachhaltigkeit insgesamt zu ändern. Kurz gesagt: Kunst ist ein wichtiger Impulsgeber für Veränderungen.

Gleichzeitig werden für Kunst Ressourcen benötigt – und im Falle von dreidimensionaler Kunst oft eine große Menge davon – so dass Künstler*innen, Kurator*innen und Kunstliebhaber*innen gleichermaßen in einem Dilemma stecken: Während mit Skulpturen und Installationen einerseits das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und den Umgang mit der Umwelt gestärkt werden kann, trägt ihre ressourcenintensive Herstellung (man denke nur an Strom, Werkstoffe, Brennstoffe...) andererseits auch zur weiteren Zerstörung unseres Planeten bei. Um ihre Wirkung voll entfalten zu können, ist das unmittelbare Erleben von Kunst zwar von entscheidender Bedeutung, doch das Reisen zu Ausstellungen oder Galerien vergrößert wiederum den ökologischen Fußabdruck jedes Einzelnen. Und auch wenn Kurator*innen und Galerist*innen unverzichtbar sind, wenn es darum geht, Kunst sichtbar zu machen, haben auch sie keine andere Wahl, als weitere Ressourcen einzusetzen: für Transport, Beleuchtung, Werbematerial... All dies wirft die Frage auf: Müssen wir etwas an der Art und Weise ändern, wie die Kunstwelt funktioniert? Und wenn ja: Was? Auf dem Internationalen Forum von Sculpture Network in Málaga im Oktober werden sechs Referent*innen ihre Überlegungen zum Thema Skulptur und Klimanotstand zur Diskussion stellen. Einige von ihnen haben uns bereits jetzt einen ersten Einblick in ihre Gedanken zu diesem Thema gewährt.

 

Lucía Loren (ES), artist
Lucía Loren (ES), artist

Für die spanische Künstlerin Lucía Loren, ist die Wechselbeziehung des Menschen zu seiner Umwelt eine ständige Inspirationsquelle und die treibende Kraft für ihre Arbeit. Viele ihrer Skulpturen und Installationen bestehen aus natürlichen Materialien und beschäftigen sich mit umweltrelevanten Fragen wie etwa dem menschlichen Eingriff in die Landschaft. „Der Einsatz von Materialien aus der Umwelt wird zu einem Instrument der Erforschung‟, erklärt sie ihre Philosophie. „Diese Art der Arbeit ermöglicht es mir, den Kreislauf der fortwährenden Transformation besser zu verstehen, der für die Schaffung einer nachhaltigen Landschaft notwendig ist.‟ Die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle des Menschen im Anthropozän steht im Mittelpunkt von Lucías Arbeit und ist ihrer Ansicht nach für Künstler*innen und andere Kreative eine der wesentlichen Fragestellungen:

„Im Kulturbetrieb gibt es immer mehr Menschen, die versuchen, ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern, diesen zu bewerten und sich Gedanken über neue Wege für einen verantwortungsvolleren Umgang mit unserer Umwelt zu machen. In dieser Hinsicht ist es immens wichtig, integrative Konzepte zu entwickeln, die Bündnisse zwischen den Umweltbewegungen und den Menschen, die ihren Lebensunterhalt im ländlichen Raum verdienen, fördern.“

 

Leonor Serrano Rivas (ES), artist
Leonor Serrano Rivas (ES), artist

Diese Interaktion mit der Landschaft ist auch ein Thema für die in Málaga geborene Künstlerin Leonor Serrano Rivas, die in ihrer ehemaligen Heimatstadt am Forum teilnehmen wird. Leonors Werk umfasst Videoinstallationen, Skulpturen und Performances, die sich auf vielschichtige Weise mit der menschlichen Lebenserfahrung und kulturellen Praktiken auseinandersetzen. Wenn sie ihre eigene Geschichte erzählt, wird die Verbindung zwischen kreativem Schaffensprozess und Überlegungen zur Nachhaltigkeit sofort deutlich:

„Viele von uns sind aus den großen Städten geflohen und in die Provinz gezogen. Ich in meinem Fall ging in den Süden Spaniens, um dort mein Baby zu bekommen und auch um die Art und Weise meines künstlerischen Arbeitens zu ändern, mehr Personen in die Produktion miteinzubeziehen, Materialien lokal zu beschaffen und in gewisser Weise Kunst von einem anderen Ort und einem anderen Bewusstsein aus zu machen. Und das ist immer noch der Fall. Von einer anderen Seite betrachtet, war es mein Ziel, einen tieferen Einblick in die Natur zu bekommen, indem ich mich ihr physisch annäherte.“

Für sie sind Muttersein und die Sorge um die Umwelt eng miteinander verbunden: „Man wird ... zu einem Teil eines größeren Gefüges und ist weniger Individuum (zumindest für eine Zeit lang).‟ Überlegungen wie diese haben Einfluss auf Leonors künstlerische Arbeitsweise und ihre Einstellung zum Leben und zur Kunst.

 

Marti Manen (SE), curator and director of Index – The Swedish Contemporary Art Foundation
Marti Manen (SE), curator and director of Index – The Swedish Contemporary Art Foundation

Doch nicht nur die künstlerische Praxis wird von Überlegungen zur Nachhaltigkeit beeinflusst. Auch aus der Perspektive von Kurator*innen und anderen Kunstschaffenden gibt es viel zu diesem Thema zu sagen. Einer von ihnen, Marti Manen, wird am Internationalen Forum teilnehmen. Marti ist Direktor der schwedischen Kunststiftung Index in Stockholm. Die Zielsetzung von Index beschreibt er folgendermaßen: „Index sucht den internationalen Dialog, experimentiert mit Kunst, Konzepten, Sprache und Performativität und ist ein Versuchsfeld für Ausstellungspraxis und Forschung.‟ Im breit gefächerten Programm der Stiftung von Ausstellungen, Forschungsprojekten bis hin zu Buchveröffentlichungen tauchen viele aktuelle Themen in Form der unterschiedlichsten Medien auf – auch Umweltfragen. So hat die schwedische Künstlerin Kajsa Dahlberg in einer der jüngsten Ausstellungen der Stiftung mit dem Titel The Tidal Zone (Die Gezeitenzone) (2022/2023) in ihren Videoinstallationen Themen wie Umweltverschmutzung und deren Folgen für den menschlichen Körper thematisiert. Als Kurator beschäftigt sich Marti nicht nur mit den Konzepten, die der Kunst zugrunde liegen, sondern auch mit ihrer Form. Die Skulptur birgt für ihn einzigartige Herausforderungen in Bezug auf „die praktischen Aspekte … : Es gibt bestimmte Fragen zum Thema Transport und Errichtung, die die Arbeit mit Skulpturen zu etwas ganz Besonderem macht.‟ Neben diesen praktischen Erwägungen liegt für ihn eine einzigartige Qualität in der Kunstform der Skulptur: „Mich interessiert die Beziehung zwischen Skulptur und Zeitlichkeit, die mögliche Fragilität von etwas, das als in der Zeit angehalten betrachtet wird.‟

Enric Pladevall (ES), artist
Enric Pladevall (ES), artist

Die Besonderheiten der Bildhauerei sind Enric Pladevall, einem dritten spanischen Künstler, der das Internationale Forum im Oktober mit seiner Expertise bereichern wird, gut bekannt. „Bei meinen öffentlichen Arbeiten habe ich immer nach Wechselwirkungen gesucht, sei es in urbanen oder natürlichen Räumen. Ich bin immer auf der Suche nach dem richtigen Maßstab und den richtigen Materialien.‟ Enrics Skulpturen sind im öffentlichen Raum von Barcelona bis Atlanta zu finden, und jede von ihnen zeugt von sorgfältigen Überlegungen darüber, wie die Umgebung die Wirkung eines Kunstwerks beeinflusst. Die intimste Beziehung zwischen Kunst und Umgebung zeigt sich jedoch in seinem Projekt L'Olivar, einem Olivenhain, der zu einem Skulpturengarten umgestaltet wurde und in dem viele von Enrics Skulpturen eine grüne Heimat finden. „Ich suche nach der totalen Symbiose‟, betont er. Enric ist sich durchaus darüber bewusst, wie fragil dieses „Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur‟ tatsächlich ist: „Die Beschleunigung des Klimawandels in den letzten Jahren richtet in der Natur verheerende Schäden an, und der menschliche Fußabdruck ist nicht mehr zu leugnen …  Als Vertreter*innen der Kultur haben wir Kunstschaffende die Pflicht, zu allen Bereichen des Lebens Stellung zu beziehen: sei es sozial, politisch, ökologisch usw. ‟ Für Enric geht die Kunst jedoch über solche Überlegungen hinaus.

„Für mich ist Kunst der sensible Ausdruck von Wissen. Ich möchte niemals die tiefe und transzendente Bedeutung der Kunst verlieren: das Unerklärliche, das Unbekannte, das Unergründliche…‟



Diese Kunstexpert*innen, zu denen in Málaga auch Daniela Zyman (AT), die künstlerische Leiterin von TBA21 Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, und die Künstlerin Joana Escoval (ES) hinzukommen werden, garantieren einen intensiven Austausch und interessante Einblicke in ihre Überlegungen und Erkenntnisse. Was sie alle gemeinsam haben? Sie alle freuen sich auf das Internationale Forum im Oktober und die Diskussionen zum Thema Skulptur und Klimanotstand. „Dieses Forum bietet Gelegenheit für einen Diskurs über Umweltbewusstsein und Kunst, Nachhaltigkeit ... und Möglichkeiten für künstlerische Projekte‟, erklärt Marti Manen. Enric Pladevall hofft, „dazu beitragen zu können, etwas Licht in diese Debatte über Skulptur und den Klimanotstand, der die gesamte Menschheit betrifft, zu bringen.‟ Leonor Serrano Rivas freut sich besonders auf die Gelegenheit zum Austausch während des Forums: „Ich kann es kaum erwarten, die Ansichten aller Teilnehmender zu einem so drängenden Thema zu hören und unserer gemeinsamen Sorge, dass sich das, was wir als Realität betrachten, so schnell verändert … In einem Lebensumfeld, das sich so schnell verändert, sind gemeinsame Anliegen und kollektives Denken ... mächtige Werkzeuge, wenn es darum geht, sich eine neue Welt vorzustellen.‟ Im gleichen Tenor ergänzt Lucía Loren:

„Es ist von größter Wichtigkeit, dass wir Verbindungen fördern, damit solide kulturelle Netzwerke entstehen können, die es den Kunstschaffenden ermöglichen, aktiv an einem Paradigmenwechsel mitzuwirken.‟


Lassen Sie uns gemeinsam herausfinden, wie weit wir dieses Paradigma verschieben können – während des Internationalen Forums in Málaga vom 5. bis 7. Oktober 2023.

Über den Autor/ die Autorin

Sophie Fendel

Sophie hat ihre Leidenschaft für Dreidimensionale Kunst im Sculpture Network Büro in München neu entdeckt. Gerade hat sie ihre Promotion abgeschlossen und arbeitet nun als freie Autorin und Lektorin. Kleine gedankliche Ausflüge in Form von Essays über die Skulptur für unser Online Magazin sind für sie eine willkommene Abwechslung.

Übersetzung

Sybille Hayek

Sybille Hayek ist Lektorin und Übersetzerin. Seit 2022 unterstützt sie unser Team ehrenamtlich mit ihrem geschulten Blick fürs Detail und einer großen Liebe zur Sprache.

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