Sasho Sazdovski working on 'Synergy Equilibrium' at Tuwaiq Sculpture 2023, Courtsey Riyadh Art
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Was tun, um nicht in unserer Komfortzone zu verharren? Die Macht der Kunst Veränderung zu bewirken

Marek Wolynski lebt in London und arbeitet als Kurator, Produzent und Koordinator für das Vereinigte Königreich für Sculpture Network. Aus einer Familie von Künstler*innen und Akademiker*innen stammend, widmet sich Marek Wolynski in seiner Arbeit neuen Formen der Kommunikation und der aktiven Auseinandersetzung mit der Welt, die uns umgibt. In seinen internationalen Projekten verbindet er Technologie mit öffentlichem Engagement und nachhaltigem Bewusstsein. Wir sprachen mit ihm über Galerien ohne Mauern und ganz besondere Freundschaften in Saudi-Arabien, über ein Publikum, das in London mit schwierigen Themen konfrontiert wird – und über seine Leidenschaft für Sculpture Network.

Marek Wolynski, Photo Courtesy Actual Perceptions
Marek Wolynski, Photo Courtesy Actual Perceptions
Marek, Sie haben kürzlich die 4. Ausrichtung von Tuwaiq Sculpture, einem Symposium in Saudi-Arabien, kuratiert. Können Sie uns mehr über diese außergewöhnliche Veranstaltung berichten?

 

Tuwaiq Sculpture ist eine einzigartige Plattform, die Bildhauer*innen zusammenbringt, um gemeinsam großformatige öffentliche Kunstwerke live zu erschaffen. Im Rahmen einer offenen Ausschreibung wurden dreißig Künstler*innen aus der ganzen Welt nach Riad eingeladen, um aus 500 Tonnen lokalem Granit und Kalkstein monumentale Skulpturen zu schaffen. Neben dem Entstehungsprozess, der für das Publikum in vollem Umfang zugänglich war, involvierte Tuwaiq Sculpture die Besucher*innen mittels zahlreicher interaktiver Workshops und Podiumsdiskussionen zum Thema dreidimensionale Kunst. Tuwaiq Sculpture ist ein großes jährlich stattfindendes Festival und Teil von Riyadh Art, der ersten nationalen Initiative für Kunst im öffentlichen Raum in Saudi-Arabien und vermutlich das größte öffentliche Kunstprojekt der Welt.



Permanence’ by Azhar Saeed, Tuwaiq Sculpture 2023, Exhibition at Durrat AlRiyadh, Courtesy of Riyadh Art
‘Permanence’ by Azhar Saeed, Tuwaiq Sculpture 2023, Exhibition at Durrat AlRiyadh. Courtesy of Riyadh Art

Was passiert mit dieser gigantischen Menge an Material, wenn es erst einmal zu Kunst geworden ist?


Das Symposium leistet einen wichtigen Beitrag zum Ziel von Riyadh Art, die saudische Hauptstadt mit eintausend öffentlichen Kunstinstallationen zu bereichern und so die Stadt in eine Galerie ohne Mauern zu verwandeln. Das diesjährige Thema lautete „Energy of Harmony‟ (Die Energie der Harmonie), was auch den symbolischen Charakter der Verarbeitung von Granit aus Saudi-Arabien unterstrich: ein Naturstein, der schon seit Tausenden von Jahren dort liegt und der in ein Kunstwerk verwandelt wurde, das nun zu einem Teil des Stadtbildes geworden ist. Alle Kunstwerke der Riyadh Art wurden ganz bewusst in öffentlichen Bereichen platziert und sollen so die Öffentlichkeit dazu einladen, sich aktiv zu beteiligen, um so auch die Kreativität der Bevölkerung und der Besucher*innen von Riad zu entfachen.

 


Sasho Sazdovski working on 'Synergy Equilibrium' at Tuwaiq Sculpture 2023, Courtsey Riyadh Art
Sasho Sazdovski working on 'Synergy Equilibrium' at Tuwaiq Sculpture 2023, Courtsey Riyadh Art

 

Wow, das sind aber eine Menge Kunstwerke.

 

Tausend Kunstwerke zu schaffen und öffentlich zugänglich zu machen, das ist wirklich ein ehrgeiziges Ziel. Bis vor kurzem gab es in Saudi-Arabien nur wenig zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum. Öffentliche Kunst wird zu einem neuen Bestandteil des Stadtgefüges von Riad, wo durch den Austausch von Ideen mittels kreativer Ausdrucksformen ein tieferes gegenseitiges Verständnis und Respekt wachsen kann.

 

Wie haben Sie diese ganz besondere Entwicklung des Landes wahrgenommen?

Der Wandel kommt aus dem Inneren der Gesellschaft und ist im ganzen Land spürbar. Alle scheinen auf diesen Moment gewartet zu haben und beteiligen sich nun mit großer Leidenschaft an dieser kulturellen Renaissance. Im Gegensatz zu Europa ist der Großteil der wachsenden saudischen Bevölkerung jung (unter 30 Jahren), die Menschen wollen Teil des weltweiten Dialogs werden und laden alle herzlich ein zu kommen, jetzt wo sich das Land nach und nach vom Öl abwendet und Riad zu einer der lebenswertesten Städte der Welt werden soll.

 

‘Connection’ by Bertha Shortiss, Tuwaiq Sculpture 2023, Exhibition at Durrat AlRiyadh. Courtesy of Riyadh Art
‘Connection’ by Bertha Shortiss, Tuwaiq Sculpture 2023, Exhibition at Durrat AlRiyadh. Courtesy of Riyadh Art

 

Gab es einen entscheidenden Augenblick während des Symposiums, der genau dieses Gefühl für Sie beschreibt?

 

An einen sehr bewegenden Moment während des Symposiums erinnere ich mich gut.  Nach dem Abschluss der künstlerischen Schaffensphase des Symposiums schlenderte der älteste Teilnehmer von Tuwaiq Sculpture – Tatsumi Sakai aus Japan, der fast 70 Jahre alt ist und so gut wie kein Englisch spricht – durch die Ausstellung und bewunderte die Kunstwerke. Ich war gerade in ein Gespräch mit einem einheimischen saudischen Künstler, Mohammad Al-Faris, verwickelt, der sich jedoch plötzlich mit den Worten entschuldigte: „Marek, ich muss jetzt wirklich gehen. Ich zeige meinem Freund meinen Bauernhof und danach gehen wir zusammen auf den alten Markt.‟ Ich wünschte ihm also einen schönen Tag und sagte, er solle Tatsumi grüßen und dass ich später mit ihm zurück zum Hotel gehen könne. Zu meiner Überraschung eröffnete mir Mohammad: „Nein, Marek! Tatsumi ist mein Freund! Ihn nehme ich mit zum Markt, und ihm habe ich auch schon andere Sehenswürdigkeiten in Riad gezeigt.‟ Die beiden haben sich wirklich gut verstanden, obwohl sie nicht einmal eine gemeinsame Sprache sprechen. 


 

Sie haben diese besondere Verbindung aufgebaut, ohne dass es irgend jemand bemerkt hat?

Ja. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und ihre Freundschaft miterleben durfte. Sie haben Zeit miteinander verbracht und sich über alle Sprachbarrieren hinweg verständigt. Mir wurde klar, dass die wunderbare arabische Gastfreundschaft und der angeborene menschliche Zug des Teilens und der Fürsorge in der Lage waren, sprachliche Unterschiede, politische und auch andere Barrieren zu überwinden. In diesem Moment, inmitten dieser monumentalen Kunstwerke, wurde mir bewusst, dass Tuwaiq Sculptures als Plattform, es ermöglicht Grenzen zu überschreiten und so die verschiedensten Gemeinschaften zusammenbringt. So leistet Tuwaiq Sculptures gleich auf mehreren Ebenen fruchtbare Arbeit und ist ein gutes Beispiel dafür, wie Kunst sinnstiftende Verbindungen schafft.

 


Augmented Body, Altered Mind, AlanJames Burns, Curated by Marek Wolynski, London 2022, Photo Courtesy of the Artist
Augmented Body, Altered Mind, AlanJames Burns, Curated by Marek Wolynski, London 2022, Photo Courtesy of the Artist

Ihre letzte Ausstellung in London, Augmented Body, Altered Mind, war ein eher unorthodoxer Ansatz zum Thema Klimakrise. Was war die Idee dahinter?

 

Nun, wir alle wissen anscheinend eine Menge über die Klimakrise: Wir lesen Zeitungen, wir informieren uns in Büchern, wir sehen uns Dokumentarfilme an, und wir bekommen von Wissenschaftlern Fakten geliefert. Und trotzdem neigen wir dazu, den ökologischen Notstand einfach zu ignorieren. Augmented Body, Altered Mind vom Künstler AlanJames Burns konzipiert, war ein immersives und interaktives Kunstwerk, das die komplexen Wechselwirkungen zwischen der Klimaproblematik, unserem eigenen Handeln und den Abläufen im menschlichen Gehirn und der Kognition untersuchte. Die Ausstellung hat unsere nicht sichtbare Art zu denken sichtbar gemacht. Wenn etwas sichtbar wird, ist es viel einfacher, darüber zu diskutieren. Die Ausstellung hat das Publikum dazu ermutigt, sich mit dem Thema auf eine neue Art und Weise auseinanderzusetzen, sie hat wichtige Dialoge angeregt und zum gemeinsamen Handeln motiviert.

 

Klingt großartig  aber wie sah diese Erfahrung für das Publikum konkret aus?


Sobald Sie die Galerie betreten, wird die Art und Weise, wie Ihr Gehirn arbeitet, um Sie herum in Echtzeit visualisiert. Über eine Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer wird das Kunstwerk von den Besuchern so aktiv mitgestaltet. Gleichzeitig taucht man in eine aus mehreren Kanälen bestehende Klanglandschaft ein, die an verschiedene Umweltgeräusche erinnert: angefangen von knackendem Eis und böigem Wind bis hin zu Geräuschen, die man mit rieselndem Sand und Gewitter assoziiert. Die dritte Ebene dieser Ausstellung ist ein Dialog über Kopfhörer, in dem zwei Personen auf recht humorvolle Weise über die kognitiven Fähigkeiten unseres Gehirns und die Beziehung zum Klimawandel diskutieren. Die Arbeit von AlanJames Burns bringt uns dazu, Annahmen zu hinterfragen, die wir allzu oft für selbstverständlich halten und regt uns zu grundlegenden Diskussionen an, nicht nur darüber, was wir denken, sondern auch darüber, wie wir denken. Mit Augmented Body, Altered Mind sollten belehrende Ansätze und explizite Diskussionen über die Umwelt vermieden werden. Die Besucher wurden vielmehr aufgefordert, sich aktiv an der Diskussion über die Umweltproblematik zu beteiligen und dabei zu ihren eigenen Schlussfolgerungen kommen.

 

 

Augmented Body, Altered Mind, AlanJames Burns, Curated by Marek Wolynski, London 2022, Photo Courtesy of the Artist
Augmented Body, Altered Mind, AlanJames Burns, Curated by Marek Wolynski, London 2022, Photo Courtesy of the Artist

 

Hat es funktioniert? Hat das Publikum tatsächlich über die Klimakrise gesprochen?

Ehrlich gesagt übertrafen die Ergebnisse unsere Erwartungen. Die Besucher diskutierten mit großer Begeisterung über ihre eigene Herangehensweise an die Verbindung von Kunst, Wissenschaft, Technologie und Klimawandel. Es war faszinierend zu sehen, wie die Besucher regelmäßig zurückkehrten, um zu sehen, wie sich ihr Gehirn an verschiedenen Tagen verhielt. Aus den Rückmeldungen, die wir bekamen, konnte man sehen, dass die Ausstellung die Menschen dazu anregte, über kreative Werkzeuge für eine neue Weltgestaltung nachzudenken und dazu sich Gedanken über eine nachhaltigere und vielfältigere Zukunft zu machen, einer Zukunft in der die Technologie eher als Hilfsmittel und weniger als treibende Kraft wirkt. Das ist der größte Gewinn von Kunstprojekten, die sich mit dem Klimawandel befassen: Sie haben das Potential, den Menschen neue Impulse zu geben, um wirklich etwas zu verändern.

 

 

Wenn Sie auf die beiden Projekte Tuwaiq Sculpture und Augmented Body, Altered Mind zurückblicken, was macht Sie als Kurator aus?

Als Kurator ist es mir besonders wichtig, transformative Erfahrungen zu schaffen, die Beziehungen fördern und inspirieren. Ich schätze Kunst, die aus völlig unkonventionellen Ideen heraus entsteht, und ich bin ein begeisterter Befürworter davon, das Publikum quer durch die verschiedensten Bevölkerungsschichten einzubeziehen. Egal, ob es sich um eine Ausstellung handelt, die Kunst und Technologie zusammenbringt, oder um ein Bildhauersymposium, diese Räume dienen als Katalysatoren für eine aktive Teilnahme, gegenseitiges Lernen und für die Förderung von Verbindungen, die Grenzen überwinden. 

 

 

Marek Wolynski giving a curatorial tour of Theo Jansen_s retrospective, Verbeke Foundation 2016, Photo Courtsey Karolina Slup
Marek Wolynski giving a curatorial tour of Theo Jansen's retrospective, Verbeke Foundation 2016, Photo Courtsey Karolina Slup

Wie sind Sie auf Sculpture Network aufmerksam geworden?


Ich traf auf Sculpture Network im Jahr 2016, als ich als Kurator bei der Verbeke Foundation in Belgien arbeitete, dort wo das letzte Internationale Forum von Sculpture Network stattfand. Das Forum stand unter dem Thema Sculpting Nature: LandArt, BioArt, EcoArt (Die Natur formen: LandArt, BioArt, EcoArt) und brachte eine geniale Gruppe Gleichgesinnter zusammen, ein wirklich anregendes Treffen. Ich lernte dabei Mitglieder von Sculpture Network und auch die Ziele und Werte der Organisation kennen, die sich mit dem decken, was ich mit meinen Projekten erreichen will. Damals kuratierte ich die Strandbeest-Retrospektive von Theo Jansen und nahm die Teilnehmer*innen des Forums auf eine Sonderführung durch die Ausstellung mit. Bis heute erinnere ich mich an die verschiedenen Gespräche über Land Art und die einzelne Wirkung bestimmter Materialien bei der Übermittlung künstlerischer Botschaften. Ich freue mich schon auf das bevorstehende Forum im Museo Picasso und Centre Pompidou in Málaga diesen Oktober. 

 

Theo Jansen, Bewogen Beweging, Strandbeest exhibition curated by Marek Wolynski, Verbeke Foundation 2016
Theo Jansen, Bewogen Beweging, Strandbeest exhibition curated by Marek Wolynski, Verbeke Foundation 2016

 

Was schätzen Sie am Netzwerk?

 

Sculpture Network hat für mich eine ganz besondere Bedeutung, da es eine lebendige Gemeinschaft pflegt, die das Wachstum und die Entwicklung der dreidimensionalen Kunst fördert. Ich halte es für eine einzigartige Plattform, die es ihren Mitgliedern ermöglicht, die zukünftige Rolle der Bildhauerei und die Stellung, die diese in der Gesellschaft einnimmt, mitzugestalten. Ohne die Diskussionen, die die Foren von Sculpture Network erst ermöglichen, würden wir in unseren Komfortzonen verharren. Sculpture Network ermöglicht es uns, eine Vielzahl unterschiedlicher Sichtweisen und Herangehensweisen an Kunst zu erfahren und so ein tieferes Verständnis für unsere Arbeitsweise als Künstler*innen, Kulturschaffende oder Institution zu erlangen. Für mich ist Sculpture Network eine außergewöhnliche und inklusive Plattform, die zu mehr Verständnis, Toleranz und zu ganz neuen Betrachtungsweisen anregt.

 

Erfahren Sie mehr:

Tuwaiq Sculpture – offene Ausschreibung jetzt online

https://riyadhart.sa/en/opencall/tuwaiq-sculpture-2024-open-call/  

Internationales Forum – jetzt anmelden!

https://sculpture-network.org/en/event/50639/xv.-international-forum-in-málaga

 

Über den Autor/ die Autorin

Elisabeth Pilhofer

Elisabeth Pilhofer ist freischaffende Redakteurin und Kulturmanagerin in München.

Übersetzung

Sybille Hayek

Sybille Hayek ist Lektorin und Übersetzerin. Seit 2022 unterstützt sie unser Team ehrenamtlich mit ihrem geschulten Blick fürs Detail und einer großen Liebe zur Sprache.

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