Die Ketzerei von Kristof II: Wenn die Skulptur zum Gradmesser in einer Untersuchung über Gruppendynamik wird
Krzysztof Krzysztof (geb. 1980, lebt in Krakau, Polen) interessiert sich für die Reaktion auf öffentliche Skulpturen in Konfliktregionen. Nach Recherchen über die Zerstörung von Sowjetmonumenten in Polen nach dem Kommunismus zog er nach Belfast, Nordirland. Seine Forschungen beruhen auf einer eindrucksvollen Theoriestudie als auch auf einem praktischen Teil, Skulpturen zu schaffen, um die öffentliche Antwort darauf zu untersuchen..
Reaktion auf Kunst im öffentlichen Raum
Was ist Ablehnung? Es handelt sich um einen pathologischen Abwehrmechanismus, eine Reaktion der Psyche auf eine Erfahrung, die man nicht akzeptieren kann und die unbewusst bleiben soll. Andernfalls würde sie deinen Geisteszustand beschädigen. Mich interessierten neurotische Abwehrmechanismen wie Ablehnung oder Rationalisierung bei der Untersuchung gruppendynamischer Prozesse als Reaktion auf Skulpturen im öffentlichen Raum.
2014 begann meine Reise als Doktorand der Ulster University in Belfast, Nordirland, um mithilfe der sozialpsychologischen Theorie von Kurt Lewin Ansichten über die zeitgenössische Skulptur im öffentlichen Raum zu untersuchen. Gibt es eine überprüfbare Gruppenreaktion, die als repräsentativ für eine spezielle Gruppe angesehen werden konnte?
Peace Thru Arts Programme
In diesem Zusammenhang konnte Nordirland eine faszinierende Fallstudie sein. Nach dem Friedensschluss mit dem Karfreitagsabkommen 1998 unterstützte das ‚Peace Thru Arts Programme‘ die zeitgenössische Skulptur im öffentlichen Raum. Sie war das Flaggschiff des Northern Ireland Arts Council.
Die zeitgenössische Skulptur war nicht durch die Vergangenheit beschädigt worden im Gegensatz zu Mauern, die den Konfliktparteien als Leinwand und Kampfplatz gedient hatten. Es gab so gut wie keine Skulptur im öffentlichen Raum mit Ausnahme von Antony Gormleys Skulptur Derry Walls von 1987. Und so konnte das Medium Skulptur zu einem Zeichen für ein besseres Morgen werden, da man es nicht mit ‚Konfliktzonen‘ assoziiert.
Interdisziplinärer Versuch
Meine Aufgabe bestand darin, einen kritischen Blick auf die Haltung der lokalen Bevölkerung gegenüber der Kunst zu werfen. Weil ich in der Forschungspraxis als Bildhauer und als psychologischer Theoretiker arbeite, wähle ich eine interdisziplinäre Herangehensweise, die vielleicht verhassteste Konstellation.
Was mir gleich in den ersten Monaten bei meinen Recherchen auffiel, waren die Kategorien- vom Blickwinkel der Ästhetik aus - der Sprache, die bei der Kritik der zeitgenössischen Skulptur verwandt wird, und der Sprache der Tiefenpsychologie. Mich verwirrte, dass Begriffe wie „Objekt“, „Wirkung“, “Kraft“ sowohl von der Avantgarde als auch bei Freud‘schen Beobachtungen benutzt werden.
Eine andere Spaltung, die mir während dieser Phase auffiel, war die zerstörerische Rolle des Kalten Krieges in der Verlagerung von Bedeutung und Zweck der Skulptur im öffentlichen Raum im globalen Westen und dem historischen Ostblock. Wie viele Chancen, Talente und Möglichkeiten gingen dabei verloren? Werden wir jemals fähig sein, stabile Brücken über einstige Konfliktzonen zu bauen?
ATAQ Attitude Toward Art Questionnaire
Meine Forschungsmethode heißt Attitude Toward Art Questionnaire (ATAQ). Ich habe sie während meiner Untersuchungen von bestehenden zeitgenössischen Skulpturen in Nordirland und Polen entwickelt. Dabei wurden zwei Kunstwerke, die ich 2015 und 2016 geschaffen habe, ebenfalls in den Experimenten benutzt.
Was ist ATAQ? Es ist ein Test mit fünf Fragen an Leute, die mit den zu untersuchenden Kunstwerken Kontakt haben.
ATAQ hilft uns, die Reaktion auf ein Kunstwerk als gruppendynamischer Ausdruck zu verstehen. Das Kunstwerk funktioniert als ein Projektionsraum für Gefühle und enthüllt mögliche Abwehrmechanismen der Leute.
Bei dieser Methode gibt es keine gute oder schlechte Skulptur. Es gibt kein Mögen oder Nicht-Mögen. Mit ATAQ ist das Kunstwerk nicht länger eine Ware oder ein persönliches ästhetisches Urteil. Es zeigt die Vielfalt menschlicher Beziehungen, die mit der Geschichte des Ortes verbunden sind mit einer erkennbaren Skizze zukünftiger Reaktionen.
Wenn Sie die ganze Dissertation lesen möchten, können Sie sie in der Bibliothek der Ulster University online unter dem Titel Attitude Towards Public Sculpture as a Group Dynamic Process: Adaptation of the Kurt Lewin’s force field concept into art theory einsehen. Das ist jedoch noch nicht das Ende der Geschichte.
Skin (Haut)
Die Gesellschaft für kulturelle Erziehung in Lublin, Polen (Towarzystwo Edukacji Kulturalnej w Lublinie) lud mich im Juni 2020 ein, eine Skulptur für den öffentlichen Raum zu schaffen, was ich gerne akzeptierte. Nach fünfmonatiger Arbeit stellte ich eine abstrakte, regenbogenfarbene Skulptur mit dem Titel Skin aus, und benutzte am selben Tag, als das Werk installiert wurde, die ATAQ-Methode, um ein Feedback von der Öffentlichkeit zu erhalten.
Skin überlebte grade mal zwei Tage. Die Skulptur wurde von einer Gruppe postfaschistischer Christen (sie hinterließen ein Bekennerschreiben, so dass über ihre Urheberschaft kein Zweifel bestehen kann) runtergerissen, zerbrochen und verbogen.
Nachdem das Kunstwerk zerstört worden war, machte ich ein anderes Experiment mit ATAQ. Was mir auffiel, war die ablehnende Haltung, die sich im zweiten Experiment ausdrückte.
Diejenigen, die die zerstörte Skulptur sahen, waren unfähig, das Problem zu verbalisieren. Weder konnten sie es als zerstörtes Kunstwerk benennen noch es in Zusammenhang sehen mit dem Ort, in dem sie leben.
Dies könnte bedeuten, dass die Verwüstung von Skin und seiner stolzen Flaggenfarbe sie tief getroffen hatte. Oder es könnte bedeuten, wenn man den Kontext der lokalen Konflikte mit in Betracht zieht, dass die Leute unfähig waren, das Kunstwerk gegen seine Aggressoren zu verteidigen.
Eine Skulptur als Kunstwerk ist nicht entworfen worden mit dem Ziel, den Konflikt, der in der Luft hängt, zu stoppen. Als Künstler war ich schockiert, was Skin passiert ist und welche Aggression sich gegen die LGBT-Gemeinschaft, auf die sie sich bezieht, wendet. Als Wissenschaftler jedoch entdeckte ich ein Bindeglied zwischen Ablehnung und Aggression gegen Kunst im öffentlichen Raum. Sollte ich meine Forschungen auf diesem interdisziplinären Feld weiterführen können, gelingt es mir vielleicht, weitere Antworten auf dieses Thema zu finden. Momentan konzentriere ich mich wieder auf meine Arbeit als Künstler.
Krzysztof Krzysztof, Attitude Towards Public Sculpture as a Group Dynamic Process: Adaptation of the Kurt Lewin’s force field concept into art theory. University of Ulster, 2017 https://core.ac.uk/download/pdf/287024705.pdf
Autor: Dr. Krzysztof Krzysztof (Künstlername Kristof) arbeitete als Wissenschaftler und Dozent an der University of Ulster, Ireland, sowie an der THE Ignatianum Academy, Institute of Psychology in Krakau, Polen. Im Moment arbeitet er als freier bildender Künstler. @KrzysztofStudio Krzysztof.mozello.com
Titelbild: Krzysztof Krzysztof, Skin, 2020, Lublin, PL, commissioned by the Cultural Society for Education