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Grünflächen für Vorstellungskraft und Zusammenspiel: Der Skulpturenpark Bródno

Was kann ein Skulpturengarten? Mit dem Ziel, die Rolle von Kunst im öffentlichen Raum neu zu definieren, initiierte Paweł Althamer ein einzigartiges Projekt für die Soziale Plastik: einen faszinierenden Skulpturengarten, der sich seit 2009 in Zusammenarbeit mit den Bewohnern des Bródno-Kiez in Warschau immer weiter entwickelt.

Denken wir an eine Ausstellung, sehen wir geschlossene Räume vor uns. Kunstwerke, die minutiös in weißer, makelloser Umgebung platziert sind; Wachpersonal, das die polierten Gänge entlangläuft; hartes Licht, das die Räumlichkeiten ausleuchtet. Vielleicht sehen wir auch eher eine Fabrik außer Betrieb vor uns, oder einen anderen umfunktionierten Ort in einem gentrifizierten Kiez. Aber gibt es daneben noch andere, passende Ausstellungsorte für zeitgenössische Kunst?

Verlagert man Kunstwerke in den Außenbereich sind sie wechselnden, oft riskanten Wetterbedingungen ausgesetzt. Gleichzeitig versetzt es sie aber in eine unvergleichliche und spannende Umgebung. Sowohl private Sammler als auch öffentliche Institutionen nutzen darum neben Gebäuden auch weitläufige Grünflächen für ihre Ausstellungen. Kommerzielle Galerien eröffnen neben ihren Ausstellungsräumen anrainende Skulpturengärten. Etablierte Kulturstätten laden Künstler*innen auf die Museumsgründe ein: Versailles wäre da wohl das bekannteste Beispiel. Dort verwandelten Olafur Eliasson und Anish Kapoor den historischen Park in eine wahre Achterbahn zeitgenössischer Kunst mit überraschend erfolgreichem Resultat. Auch Kunstmessen organisieren inzwischen Freiluftbereiche: sei es die sonnige Miami Basel oder die bewölkte Frieze London. Letztere nutzt seit 2005 den Regent’s Park als Ausstellungspodium. Jedes Jahr verwandeln sich die Gärten in ein Zentrum von 3D-Kunst mit Skulpturen und Installationen von internationalen Überfliegern wie Lynn Chadwick, Gianpetro Carlesso oder Richard Long.

Paweł Althamer, Gondola (2013), performance, Bródno Sculpture Park Warsaw. Photo: Marta Górnicka / Museum of Modern Art Warsaw
Paweł Althamer, Gondel (2013), Performance, Skulpturenpark Bródno, Warschau.
Foto: Marta Górnicka / Museum für Moderne Kunst Warschau

 

Kunst in der Natur oder in der Stadt?

Wenn man mal Lust auf etwas Anderes hat, ist ein Besuch im Skulpturenpark eine erfrischende Abwechslung und erlaubt es einem Kunst aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Mit jeder Tages- und Jahreszeit entstehen verschiedene Farb- und Lichteffekte, die die Besucher*innen über das fantastische Zusammenspiel von Kunstwerk und natürlicher Umgebung staunen lässt. Trotz dieser Vielfalt an Möglichkeiten basieren die meisten Skulpturengärten auf der immer gleichen Blaupause. Der Standort ist in pittoresker, meist abgelegener Lage. Die Umgebung ist gepflegt, beinahe schon idyllisch; die Skulpturen majestätisch und – in der Mehrzahl der Fälle – gigantisch. Glücklicherweise gibt es auch eine Ausnahme von dieser Regel. In einem Wohnviertel der Stadt Warschau lädt ein atypischer Skulpturenpark mutige Kunstliebhaber*innen ein, sich an unkonventionelle Skulpturen heranzuwagen.

Paweł Althamer, einer der bekanntesten polnischen Bildhauer und Performancekünstler, initiierte hier den Skulpturenpark Bródno, eine Zusammenarbeit von Künstler*innen, Anwohner*innen,  Stadtverwaltung und Kunsteinrichtungen. Der gemeinsame Nenner: der Wunsch, einen inklusiven Ort zu schaffen, der Natur, Skulptur und lokale Identität miteinander verbindet. Die Gründer haben den Park damit zu einem wachsenden Kunst-Organismus gemacht, der seit 2009 sukzessive erweitert wird. Althamer, der in Bródno aufgewachsen ist und noch immer dort wohnt, hat sich von den drögen Gebäuden aus der Zeit des Kommunismus, die den Park einrahmen, nicht abschrecken lassen. Ganz im Gegenteil. Althamer erwartete, dass der ungewöhnliche Standort gar zum Vorteil werden würde und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf das Beleben und die Anregung der Nachbarschaft. Wenig überraschend war dann auch die erhebliche Beachtung, die der Park für seinen strategischen Fokus auf standortspezifische Skulptur und kollaboratives Verfahren bekam.

 

Paweł Althamer and the Nowolipie Group, Sylwia (2010), bronze cast, facility installed in water reservoir, functioning as a fountain, 325 × 100 × 70 cm, Bródno Sculpture Park Warsaw. Photo: Bartosz Stawiarski / Museum of Modern Art Warsaw
Paweł Althamer und die Nowolipie Gruppe, Slywia (2010), Bronze, Anlage mit Brunnenfunktion installiert in Wasserbecken, 325 x 100 x 70 cm, Skulpturenpark Bródno, Warschau.
Foto: Bartosz Stawiarski / Museum für Moderne Kunst Warschau

 

Ganz im Sinne öffentlicher Kunst bietet der Garten ein einzigartiges Beispiel für die massentaugliche Anwendung der Skulpturgartenformel. Jedes Kunstwerk hat eine eigene Persönlichkeit, Lebensdauer, Funktion und einen eigenen Stil. Durch ihre sorgfältige Platzierung in der natürlichen Umgebung initiieren sie einen Dialog mit den hochragenden Plattenbauten, die immer im Hintergrund sichtbar bleiben. Jens Haaning, Susan Philipsz, Youssouf Dara, Olafur Eliasson, Katarzyna  Przezwańska, Monika Sosnowska, Ai WeiWei, Rirkrit Tiravanija und viele andere erfolgreiche und weniger bekannte Künstler*innen haben bereits einen Beitrag zu dem Projekt geleistet.

Unmittelbare Zusammenarbeit und soziales Zusammenspiel

Nur an wenigen der Skulpturen im Park hat Paweł Althamer selbst mitgearbeitet. Sylwia (2010) – eine Bronze der Chimäre platziert in einem Wasserbecken – ist das Produkt einer Zusammenarbeit von Althamer und einem seiner langjährigen Partner: der Nowolipie Gruppe. Seit 1995 veranstaltet Althamer Töpferkurse für Menschen, die an multipler Sklerose leiden. Die Kurse dienen der Therapie und Rehabilitation. Für den Skulpturenpark haben sie zusammen eine Brunnenanlage in Gestalt einer Frau mit Schlangenhaar, die auf dem Wasser liegt, modelliert.

 

Jens Haaning, Bródno (2012), bricks, mortar, rebars, reinforced concrete foundations, 323,5 x 1591,5 x 51 cm, Bródno Sculpture Park Warsaw. Photo: Bartosz Stawiarski / Museum of Modern Art Warsaw
Jens Haaning, Bródno (2012), Backstein, Zement, Betonstahl, verstärkte Betonfundamente, 323,5 x 1591,5 x 51 cm, Skulpturenpark Bródno, Warschau.
Foto: Bartosz Stawiarski / Museum für Moderne Kunst Warschau

 

Toguna (2011) hingegen entstand aus Zusammenarbeit von Althamer und Youssouf Dara, einem Künstler aus Mali. Zusammen bildeten sie einen wichtigen Versammlungsort des Dogon-Stammes, dem Dara selbst auch angehört, nach. Ein wesentliches Element der Kultur der Dogon ist die Toguna, ein Unterschlupf mit einem dicken Dach, das von geschnitzten Holzsäulen getragen wird. Während die Toguna in Mali der Versammlung der Dorfbewohner dient, bietet sie in Warschau nicht nur einen potenziellen Begegnungsort für soziale Integration, sondern dient auch als außergewöhnliche Bushaltestelle.

Der dänische Künstler Jens Haaning verhandelt in seinem Werk vor allem nationale Identitäten. Als er sein Vorhaben einreichte, eine gigantische Installation aus tausenden roten Backsteinen zu errichten, reagierten die Anwohner*innen jedoch mit blankem Entsetzen. Im krassen Gegensatz zum ikonischen Hollywood-Schriftzug, erschien sein Vorschlag eines eher glanzlosen Schriftzugs des Wortes BRÓDNO auf der Kuppe eines kleines Hügels wie die Verspottung des Wohnviertels. “Mir ist wichtig, dass die Skulptur in Bródno aus Backstein gefertigt wird,” sagte der Künstler, “Der Grund dafür ist meine, vielleicht naive Sicht auf die Sozialdemokratie, in deren Licht ich Polen als Ort kollektiver Arbeit und Bemühung sehe.” Nach mehreren Rücksprachen konnten die Bewohner*innen die Idee der Skulptur letzten Endes doch annehmen. Diese wurde schnell zu einem Lieblingsort für die Kinder, die im Park Verstecken spielen.

Rirkrit Tiravanija, Untitled (An overturned tea house with the coffee maker) (2010), plywood, metal, polished steel, 280 × 280 × 280 cm, Bródno Sculpture Park Warsaw. Photo: Bartosz Stawiarski / Museum of Modern Art Warsaw
Rirkrit Tiravanija, Ohne Titel (Ein umgestürztes Teehaus mit Kaffeeapparat) (2010), Sperrholz, Metall, polierter Stahl, 280 x 280 x 280 cm, Skulpturenpark Bródno, Warschau.
Foto: Bartosz Stawiarski / Museum für Moderne Kunst Warschau

 

Eine Tasse Tee?

Die Künstler*innen, die zum Projekt beigetragen haben, wissen, dass manchmal nur ein kleine Anregung nötig ist, um Kontakt zu knüpfen. Wäre eine Tasse Tee (oder Kaffee) schon ausreichend? Der thailändische Künstler Rirkrit Tiravanija, dessen einflussreiche Methode der Beziehungsästhetik entstammt, reichte einen Vorschlag für einen Pavillon ein. Dieser ist bestimmt für nur ein bis zwei Personen und kann zum Genuss eines heißen Getränkes genutzt werden oder einfach als Unterschlupf vor dem Regen. Das umgestürzte Teehaus mit Kaffeeapparat ist ein stahlverkleideter Würfel, dessen Oberfläche Bäume und Gras der Umgebung widerspiegelt. Zur Zeit steht das Teehaus unter der Leitung von Michał Mioduszewski, einem Künslter und Soziapsychologen, und dient vor allem als Treffpunkt – und ist damit der kleinste Kulturveranstaltungsort Warschaus. Bei einem Besuch des Parks können sich Besucher ein Getränk gönnen und sich darüber wundern, weshalb nichts in ihrer Brieftasche zum Bezahlen hinreichen wird. Denn die einzig akzeptierte Währung hier ist Kreativität: ein Getränk kostet einen Tanz, einen Song oder eine Zeichnung.

Da wie gesagt alle Skulpturen standortspezifisch sind, eröffnet Monika Sosnowsks Gitter (2009) einen Dialog mit den Sicherheitsmaßnahmen, die die Bewohner*innen von Bródno ergriffen haben, um Diebe abzuschrecken. Das Œuvre dieser Künstlerin widmet sich vor allem dem Erbe der Moderne. Sie studierte die Formen und Muster der Gitter, die zum Schutz vor lokalen Schaufenstern und Parterrewohnungen angebracht wurden. Gitter ist eine Kugel mit 4 Meter Durchmesser aus dekorativ gebogenen, verstärkten Stahlstangen. Sosnowska erlangte internationale Aufmerksamkeit mit dem Wiederverwendung architektonischer Elemente, die damit einer neuen Bedeutung zugeführt werden. Ihre Skulptur erfreut als Spielobjekt nicht nur die jüngeren Besucher des Parks, sondern eröffnet auch eine Diskussion darüber, wie Stadtbewohner mit Nachbarschaftsinitiativen den gemeinsamen und privaten Raum gestalten können.

 

Monika Sosnowska, Grating (2009), rebars, paint layer (industrial paint), reinforced concrete foundations, 400 × 400 × 400 cm, Bródno Sculpture Park Warsaw. Photo: Bartosz Stawiarski / Museum of Modern Art Warsaw
Monika Sosnowska, Gitter (2009), Betonstahl, Farbschicht (industrielle Farbe), verstärkte Betonfundamente, 400 x 400 x 400 cm, Skulpturenpark Bródno, Warschau.
Foto: Bartosz Stawiarski / Museum für Moderne Kunst Warschau

 

Das Unausgesprochene vermitteln

So manche*r Besucher*in beschreibt den Skulpturenpark Bródno als Ort, an dem sich verborgenes Wissen über das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft offenbart. Ein Besuch dieses unnachahmlichen Gartens ist wie eine Wanderung auf einem magischen Abenteuerpfad. Ein Teil der Kunstwerke ist aus Bronze oder Metall, ein anderer Teil aus natürlichen Materialien, die mit dem Laufe der Zeit wachsen oder sich verändern. Daneben gibt es auch flüchtigere Werke, wie die subtilen Klanglandschaften von der schottischen Künstlerin Susan Philipsz. Egal wie man Skulptur auch definiert, der Skulpturenpark Bródno wartet mit erstaunlichen Entdeckungen auf. Es ist ein Ort, an dem sich ein Vielfalt origineller Projekte mit gesellschaftlicher Praxis einen.

 


Bródno Skulpurenpark Warschau, Polen
www.park.artmuseum.pl/en

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Bildunterschrift

Autor: Marek Wolynski

Marek Wolynski ist Kurator, Creative Producer, Kunstschriftsteller und Mitwirkender an mehreren internationalen Kunstmagazinen. Er arbeitet derzeit in London. Sein Schwerpunkt liegt auf innovativem öffentlichen Engagement und intuitiver, multi-sensorischer Erfahrung. Marek interessiert sich allem voran für das Zusammenspiel von Kunst, Natur und Technologie.

 

Titelbild: Youssouf Dara und  Paweł Althamer, Toguna (2011), Holz, Stroh, Skulpturenpark Bródno, Warschau. Foto: Bartosz Stawiarski / Museum für Moderne Kunst Warschau

Dieser Artikel wurde im Januar 2021 veröffentlicht.

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