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Ist Kunst zum Essen da?

Essen ist Nahrung und Genuss, bedeutet Geselligkeit und sinnliche Erfahrung. Aber kann Essen auch Kunst sein? Immer häufiger verwenden Künstler:innen essbare Materialien zur Schaffung ihrer Kunstwerke. Gleichzeitig werden das Design und die Inszenierung von Nahrungsmitteln immer raffinierter. Wo ziehen wir die Grenze zwischen diesen beiden Bereichen? Und wenn es Kunst ist, dürfen wir es dann essen? Eine Spurensuche im Reich der essbaren Kunst.

„Kochen ist Kunst, die gegessen wird.“ Dieses Zitat stammt von Marcella Hazan, einer der einflussreichsten Kochbuchautorinnen des 20. Jahrhunderts. Es geht dabei um die Auffassung, dass ein (Gourmet-) Gericht einem Kunstwerk gleichkommt und Kochen eine Form des künstlerischen Prozesses darstellt – eine weit verbreitete Vorstellung, die sich in Begriffen wie „die Kochkünste“ wiederfindet. Aber ist eine Mahlzeit, selbst eine Gourmetmahlzeit, wirklich vergleichbar mit, sagen wir, Auguste Rodins „Der Denker“? Wenn etwas nur zu dem Zweck geschaffen wird, konsumiert und damit beseitigt zu werden, können wir es dann wirklich als Kunstwerk bezeichnen? Als Marcella Hazan ihre Gedanken zum Kochen in dieser Form formulierte, hatte sie vermutlich weniger eine Debatte über das Wesen der Kunst im Sinn. Sie wollte wohl eher deutlich machen, dass es für die Zubereitung einer exquisiten Mahlzeit nicht nur ein hohes Maß an Können, sondern auch einen Funken an Kreativität braucht – ähnlich wie bei Bildhauer:innen, die lernen müssen, ihr Material mit der richtigen Technik zu formen, deren Werk aber ohne das besondere Etwas nicht als außergewöhnlich wahrgenommen wird. Das Zitat von Marcella Hazan wirft eine Menge Fragen auf und rührt an die Definition von Kunst an sich: Kann Essen Kunst sein? Und wenn ja, ist es dann erlaubt, sie zu essen?

Gourmetmahlzeit oder Kunstwerk? Foto: Jay Wennington, CC0, aus Wikimedia Commons
Gourmetmahlzeit oder Kunstwerk? Foto: Jay Wennington, CC0, aus Wikimedia Commons

Kunst verkosten?

Hätte man den deutschen Philosophen Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770 - 1831) gefragt, wäre die Antwort auf die Frage, ob Essen Kunst sein kann, ein entschiedenes Nein gewesen: In seinen bedeutenden Vorlesungen über die Ästhetik (die im Jahr 1835 posthum veröffentlicht wurden) vertrat er die Ansicht, dass Kunst nicht über den Geschmackssinn erfahren werden könne, da der Verzehr einer Sache diese vernichten würde und Kunst seiner Ansicht nach etwas Beständiges sei. In Anbetracht von Kunstformaten wie der Aktionskunst scheint diese Ansicht jedoch überholt zu sein. Doch die moderne Philosophie beschäftigt sich durchaus noch mit dieser Frage, wie neuere Veröffentlichungen wie Dave Monroes Artikel „Can Food Be Art? Das Problem des Konsums“ (2007) verdeutlichen. Selbst wenn wir das Konsumieren nicht als Ausschlusskriterium betrachten wollen, müssen wir uns fragen, wo wir die Grenze ziehen zwischen einem Kunstwerk, das geschaffen wird, um unter ästhetischen Gesichtspunkten gewürdigt zu werden, und einer Mahlzeit, die geschaffen wird, um verzehrt zu werden und Nahrung zu spenden. In vielen Begriffsbestimmungen (z. B. in George Dickies Institutional Theory of Art) spielt die Vorsätzlichkeit eine Rolle, wenn es darum geht, einer Sache den Status eines Kunstwerks zuzuerkennen, da Kunst nicht zufällig geschaffen werden kann. Dies wirft die Frage auf, ob eine auch noch so gekonnt zubereitete Mahlzeit als Kunst gelten kann, wenn die Absicht des Kochs und der Köchin nicht in erster Linie darin bestand, ein Kunstwerk zu schaffen, sondern eine Mahlzeit. Zu dieser Frage gibt es sicherlich mehr als nur eine Meinung. Doch damit nicht genug: Nachdem wir uns mit der Frage, ob man Kunst kosten kann, auseinandergesetzt haben, bleibt noch die Frage nach der Ästhetik der Speisen. Welche Rolle spielt die Ästhetik in unserer Wahrnehmung einer Verbindung zwischen Essen und Kunst?

 

Die Kunst, Lebensmittel zu gestalten, und die Kunst der Täuschung

Mit der wachsenden Bedeutung der sozialen Medien über den vergangenen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren wurde der Trend, sein Essen zu zeigen (zur Schau zu stellen), geboren. Was damit begann, seine Follower am persönlichen Alltag, einschließlich der Essgewohnheiten, teilhaben zu lassen, hat sich mittlerweile zu einem Wettkampf der Ästhetik entwickelt. Auf Instagram finden sich unter dem Hashtag #edibleart mehr als 3 Millionen Fotos, auf denen Kreationen zu sehen sind, die von kunstvoll gestalteten Torten bis hin zu bemalten Toastbrotscheiben reichen, wobei jedes Nahrungsmittel speziell darauf ausgelegt ist, einen „Wow-Effekt“ zu erzeugen, ohne dass der Betrachtende es kosten kann. Marcella Hazans Konzept von Nahrung als Kunst scheint also auf diese besondere Form der Food Art nicht zuzutreffen. Bei den Kreationen, die unter diesem Hashtag geteilt werden, geht es vor allem um den Aspekt der Ästhetik, nicht um den Geschmack.

Tuba Geçkil, Pink Purse (Rosa Handtasche). Essbares Material. Foto: ©Redrosecake
Tuba Geçkil, Pink Purse (Rosa Handtasche). Essbares Material. Foto: ©Redrosecake

Ein ganz spezieller Trend in den sozialen Medien ist ein Paradebeispiel für diese Entwicklung: Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie im Jahr 2020 ging die türkische Künstlerin und Kuchendesignerin Tuba Geçkil mit ihren hyperrealistischen Kuchenkreationen viral, was das Internet dazu brachte, alles in Frage zu stellen: Ist diese Handtasche eine Handtasche oder ist es Kuchen? Unter dem Hashtag #everythingiscake tauchten Tausende von Videos auf, in denen Menschen Alltagsgegenstände, die auf den ersten Blick ganz gewöhnlich erscheinen, mit einem Messer durchschneiden und sie als Kuchen entlarven. Mittlerweile hat dieser Trend sogar zu einer eigenen Show auf Netflix geführt: „Is It Cake?“ Der Erfolg von Tubas Idee lässt sich kaum auf den Geschmack zurückführen. Millionen von Zuschauern verfolgten die Tortenenthüllungen nur für diesen einen Moment, in dem die meisterhafte Täuschung offenbar wird, wenn sich die Geldbörse als nichts anderes als eine Torte entpuppt. Es ist die Inszenierung und die visuelle Wirkung, die die Menschen anziehen, nicht die Qualität oder der Geschmack des essbaren Materials. Der Kuchen ist hier weniger Lebensmittel als vielmehr ein künstlerisches Material.

Samir Nemichi, Pralinenkreation. Schokolade. Foto: Samir Nemichi
Samir Nemichi, Pralinenkreation. Schokolade. Foto: Samir Nemichi

Der deutsche Pralinendesigner Samir Nemichi hat eine etwas andere Auffassung von seinem Material. Auf seinem Instagram-Account verblüfft er seine mehr als 25.000 Follower mit kunstvoll gestalteten und kunstvoll in Szene gesetzten Pralinenkreationen – die allerdings zum Verzehr bestimmt sind. Dennoch spielt ihre visuelle Wirkung eine wesentliche Rolle in Samirs Schaffensprozess. „Es wäre richtig toll, eine eigene „Pralinenästhetik“ zu entwickeln“, sagt Samir. Mit einer speziellen Technik, zu der auch Dampf gehört, ist er auf dem besten Weg dorthin – seine Kreationen haben bereits einen Wiedererkennungswert. Samir ist keine Ausnahme in seinem Bestreben, Geschmack mit Kunst zu vereinen, und seine Kreationen sind zweifelsohne das Ergebnis eines künstlerischen Prozesses. Dennoch werfen sie die Frage auf: Wenn sie dazu bestimmt sind, verzehrt zu werden, können sie dann Kunst sein?

Gerhard Petzl, Eleganz (2003). Schokolade. Foto: © Gerhard Petzl
Gerhard Petzl, Eleganz (2003). Schokolade. Foto: © Gerhard Petzl

Kunst ist Kunst, und Nahrungsmittel ist Nahrungsmittel – oder doch nicht?

Gerhard Petzl, Mitglied des Sculpture Network, der seit mehr als 30 Jahren mit Schokolade als seinem wichtigsten Material arbeitet, ist in dieser Frage ziemlich eindeutig: „Die Skulptur ist Kunst für mich, nicht Essen.“ Der Schweizer Künstler käme gar nicht erst auf die Idee, eine seiner kunstvollen Schokoladenskulpturen zu essen. Für ihn ist Schokolade in erster Linie ein Material, wenn auch ein Luxusmaterial, das mehr als nur einen Sinn anregt. Das Problem der Haltbarkeit ist jedoch ein ständiger Begleiter in seinem künstlerischen Schaffen. Eine Schokoladenskulptur ist nicht für die Ewigkeit bestimmt, auch wenn sie noch so gut gearbeitet ist. Als Gerhard vor 20 Jahren einen Kunstkurs belegte und eine Schokoladenskulptur als Abschlussarbeit einreichte, wurde er von seinen Professoren belächelt: „Wozu die ganze Mühe, wenn es doch nur Schokolade ist?“ Zum Glück hat er sich von dieser Frage nicht entmutigen lassen. „Aber selbst wenn ich nur eine Momentaufnahme der Schokoladenskulptur als Foto habe, ist sie als Kunstobjekt auf ewig lebendig.“

Gerhard Petzl, Kubismus. Schokolade. Foto: © Gerhard Petzl
Gerhard Petzl, Kubismus. Schokolade. Foto: © Gerhard Petzl

Während die begrenzte Haltbarkeit von Künstler:innen, die mit essbaren Materialien arbeiten, als Problem angesehen werden kann, kann diese besondere Eigenschaft auch zu einem wesentlichen Bestandteil eines Kunstwerks werden. Die Performances der deutschen Künstlerin Sonja Alhäuser kreisen um den Akt des Konsumierens. Die Zuschauer:innen dürfen bei ihren Festmahlen die ausgestellten Stücke, aus den unterschiedlichsten essbaren Materialien, von Butter bis Rotwein, nicht nur essen, sondern werden regelrecht dazu aufgefordert. Ohne diesen Akt des Konsumierens wäre die Performance unvollständig. Am Ende des Abends sind dann die konkreten Objekte verschwunden – nicht jedoch ihre Spuren, die sie beim Publikum hinterlassen haben. Sonja Alhäusers Arbeit ist also schon per Definition „essbare Kunst“: Kunst, die nicht nur in der Theorie essbar ist, sondern deren Bestimmung der Verzehr ist.

All diese Beispiele machen eines sehr deutlich: Das Nachdenken über Langlebigkeit und Nahrungsmittel als Bestandteile künstlerischer Arbeit stellt unsere Auffassung von Kunst in Frage. Es existiert ein schmaler Grat zwischen künstlerisch gestalteten Lebensmitteln und Kunst, die essbar ist – aber wo verläuft dieser? Wodurch wird bestimmt, ob wir etwas als Kunst oder doch nur als „schönes Essen“ empfinden? Ist es die Intention dessen, der es schafft? Die Inszenierung? Warum bezeichnen wir den einen vergänglichen Gegenstand als Kunst, einen anderen aber nicht? Macht es einen Unterschied, ob ein Objekt an einem Tag, in einem Monat oder in 10 Jahren verfällt? Auf diese Fragen finden sich sicherlich keine leichten und eindeutigen Antworten, aber sie bieten möglicherweise einige Nahrung zum Nachdenken. Schlussendlich liegt die Kunst oftmals im Auge des Betrachtenden.

 

Übersetzt aus dem Englischen.

Über den Autor/ die Autorin

Sophie Fendel

Sophie hat ihre Leidenschaft für Dreidimensionale Kunst im Sculpture Network Büro in München neu entdeckt. Gerade hat sie ihre Promotion abgeschlossen und arbeitet nun als freie Autorin und Lektorin. Kleine gedankliche Ausflüge in Form von Essays über die Skulptur für unser Online Magazin sind für sie eine willkommene Abwechslung.

Übersetzung

Sybille Hayek

Sybille Hayek ist Lektorin und Übersetzerin. Seit 2022 unterstützt sie unser Team ehrenamtlich mit ihrem geschulten Blick fürs Detail und einer großen Liebe zur Sprache.

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