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Jalila Essaïdi und das Symbiozän

„Das Labor ist mein Pinsel”

Künstler*innen sind meisterhaft im Visualisieren, Imaginieren und Argumentieren. Mit ihren Arbeiten erzählen sie Geschichten, die nachwirken. Auf der Suche nach dem Experimentellen dringen sie oft in Bereiche außerhalb der Kunst vor. Dies kann zur Entwicklung von intelligenteren Werkstoffen und neuen Visionen für die Zukunft führen. Jalila Essaïdi ist jemand, der das Experimentieren liebt.

Als Künstlerin und Unternehmerin erforscht sie mit ihrem Team Wege zum besseren Zusammenwirken von Mensch und Natur. In ihrem BioArt Village, einem Innovationszentrum am Stadtrand von Eindhoven, stehen die Neugier und die Beziehung zwischen der Natur und dem menschlichen Leben im Vordergrund. Gemeinsames Ziel ist es, unterschiedliche Wissensbereiche zu verbinden: Natur, Gesellschaft und Technologie.

Von Etienne Boileau

Jalila Essaidi - Mestic© 1 - photo credit by Mike Roelofs
Jalila Essaidi - Mestic© 1 - photo credit by Mike Roelofs

Unser Gespräch findet im Büro des BioArt Village statt, das sich an einem besonderen Ort am Stadtrand von Eindhoven befindet. Der Komplex erstreckt sich über 1,6 Hektar Naturschutzgebiet, auf dem fünf Gebäude aus dem Zweiten Weltkrieg stehen, die gerade renoviert werden.

Seit wann gibt es das BioArt Village hier?
„Seit 2015 arbeite ich hier mit meiner Forschungseinrichtung BioArt Laboratories. Es hat sieben Jahre gedauert, bis ich diesen Ort offiziell kaufen und mein Labor hier einrichten konnte. Die Renovierungsarbeiten an den Gebäuden haben in den letzten Jahren den größten Teil meiner Zeit in Anspruch genommen und so wird es wohl auch in den nächsten Jahren bleiben.“

Erfolgreiche Projekte
„Eines meiner erfolgreichsten Projekte ist Mestic, bei dem es um die Umwandlung von Kuhdung in Zellulosebrei geht. Man kann diesen Zellstoff zu Faden verarbeiten und daraus Textilien herstellen. Zellstoff ist ein vielseitig einsetzbares Material: Man kann ihn auch im Bauwesen verwenden. Mestic ist jetzt patentiert worden; die Lizenzen werden demnächst vor allem in Indien und China vergeben, denn dort gibt es bereits eine umfangreiche Zellstoffproduktion wenn auch auf Holzbasis die aber bald durch Kuhdung ersetzt werden wird. Wenn alles gut geht, wird diese Zellulose als Textilfaser in die Niederlande zurückkehren, aus der dann hier Mode hergestellt wird. Ich möchte auch die geodätische Kuppel erwähnen, die vor kurzem hier auf dem Gelände gebaut wurde. Ein gemeinsames Projekt, bei dem wir uns sehr auf die Eigenschaften von Pflanzen, die Saatgutzüchtung und die Artenvielfalt konzentrieren, wie jetzt bei unserem Azolla-Projekt, bei dem es um einen Wasserfarn geht, der hier in der Kuppel wächst. Der Farn kann sehr viel Stickstoff und CO2 an sich binden und ist somit ein natürliches Mittel zur Senkung von CO2.“

„Ich verbringe viel Zeit damit, junge Talente zu betreuen und zu unterstützen, und hin und wieder kuratiere ich eine Ausstellung im Bereich Biokunst. Zuletzt im Museum Jan Cunen in Oss. Dort wurden sowohl meine eigenen Arbeiten als auch die anderer aktueller (Bio-) Künstler*innen gezeigt.“


Eine Stunde später gehen wir über das Gelände und betreten die geodätische Kuppel, in der die Azolla-Pflanzen gezüchtet werden. Ein Stück entfernt stehen zwei Schweine hinter einem großen Zaun und dahinter kann man zwei große Gehege mit allen Arten von Hühnern und Hähnen erkennen. Es gibt auch einen großen Baum, um den Kupferdrähte gespannt sind (Das lebende Netz), die eine Kommunikation über große Entfernungen ermöglichen. Und ich entdecke das Werk Aquatecture von Shaakira Jassat, das gut sichtbar an der Wand des Hauptgebäudes angebracht ist.

Jalila Essaïdi -Geodesic Dome photo credit Gerrit Jan Hoogland
Jalila Essaïdi - Geodesic Dome. Photo credit Gerrit Jan Hoogland

„Die Aufgabe eines Kunstschaffenden ist es, die unsichtbare Welt sichtbar zu machen“


Forschungsarbeit zum Symbiozän

Wenn man durch das Hauptgebäude geht, entdeckt man mehrere Labore. In einem von ihnen wachsen junge Kastanien auf Salzwasser. Dort finden sich auch Veranstaltungsräume für Ausstellungen, Vorträge usw. Seit 2016 wird in den Räumen der BioArt Laboratories zum Symbiozän geforscht. Dabei geht es um das Gleichgewicht zwischen Mensch, Technik und Natur. Laut Essaïdi ist das Anthropozän eine Periode, die wir gerade hinter uns lassen. 

Wonach forschen Sie konkret?
„Wir untersuchen, welche Systeme in der Natur existieren und wie wir von diesen Systemen lernen und sie weiterentwickeln können. Dazu nutze ich internationale Nachwuchskräfte aus allen möglichen Disziplinen im Rahmen eines Austauschprojekts. Unsere Student*innen bleiben hier vor Ort. Wir haben Künstler*innen, Designer*innen, Wissenschaftler*innen und Schriftsteller*innen aus der ganzen Welt, die hier zusammenkommen: die unterschiedlichsten Talente, die innovative Ideen haben und neue Dinge schaffen wollen. Wir setzen diese Talente im Labor oder draußen auf dem Feld ein. Es geht um die gegenseitige Befruchtung von Wissenschaft, Kunst und Technologie. Hier erforschen wir die Zukunft unserer Lebensmittel, wie wir mit Energie umgehen, wie wir mit Klimafragen umgehen. Das Labor ist wie der Pinsel, mit dem ein Künstler malt.“

Was ist der Unterschied zwischen Kunst und Biodesign?
„Biodesign boomt und wird an allen möglichen Kunsthochschulen gelehrt. Die Grenzen zwischen Kunst und Biodesign verschwimmen langsam. Kunst bietet viel mehr Freiheit, bietet ein breiteres Spektrum an Möglichkeiten und bringt einen größeren Ideenreichtum hervor. Es zeichnet sich eine Verschmelzung von Kunst und Biodesign ab, die man heute als Biokunst bezeichnet. In der Kunst steht jedoch das Staunen im Mittelpunkt; was wiederum eine innovative Idee oder eine relevante Frage aufwerfen kann. Und als Künstler*in beginnt man, Systeme mit anderen Augen zu sehen. Die Aufgabe eines Kunstschaffenden ist es, die unsichtbare Welt sichtbar zu machen, und das gilt sicherlich auch für die Biokunst. Kunst ist dazu da, um zu erforschen, zu hinterfragen, zu experimentieren, nicht um zu definieren. Das tut die Wissenschaft.”

Jalila Essaïdi - Mestic fashionshow© - photo credit by Ruud Balk
Jalila Essaidi - Mestic fashionshow©. Photo credit by Ruud Balk

Kann Biokunst einen positiven Beitrag zu den aktuellen Klimaproblemen leisten?
„Dadurch, dass man hinterfragt und deutlich zum Ausdruck bringt, mit welchen Problemen wir heute konfrontiert sind und wir es in Zukunft zu tun haben werden, leistet man bereits einen Beitrag. Auf der Dutch Design Week in Eindhoven sind mehrere neue Initiativen im Bereich der Biokunst zu sehen. Diese Art der Initiativen findet sich derzeit überall auf der Welt. Schauen Sie sich Shaakira Jassat aus Südafrika an, die mit ihrem Projekt Aquatecture eine Methode zum Auffangen von Regenwasser entwickelt hat, das auf Gebäudemauern trifft. Die Installation, die sie in unseren Labors entwickelt hat, basiert auf der Haut einer Käferart, die von diesen Käfern zum Sammeln von Wasser genutzt wird.“

Die Kreislaufwirtschaft als Lösung?
„Ich habe meine frühere Auffassung, dass man unbedingt neue Materialien braucht, weil die vorhandenen zur Neige gehen, überdacht. In dem Leitartikel, den ich kürzlich für Dezeen verfasst habe, geht es jetzt mehr um intelligentere Werkstoffe. Mein Grundgedanke ist: „Die Natur kennt keine Verschwendung“. Wir müssen vor allem Materialien herstellen, die vielschichtiger sind. Damit die Natur so eine Chance hat, diese intelligenteren Werkstoffe abzubauen. Die Kreislaufwirtschaft ist in diesem Zusammenhang eine interessante Theorie und stellt die Anfangsphase des Symbiozäns dar. Die Natur existiert schon seit Milliarden und Abermilliarden von Jahren, und wir sind erst seit Kurzem dazugekommen. Wir haben also durchaus noch Zeit, Anpassungen vorzunehmen.“ 

Haben Sie ein Mittel gegen die Zukunftsängste, die überall um uns herum zu spüren sind?
Mein Mittel ist Zuversicht. Die meisten der Nachwuchstalente, die zu uns kommen, haben gerade eine akademische Ausbildung abgeschlossen. Sie sind jung, stehen am Anfang ihrer Karriere und sind ziemlich unsicher. Sie haben hier eine vertrauensvolle Umgebung, in der sie gemeinsam arbeiten können. Vertrauen ist also gerade im Moment besonders wichtig. Das wird auch in der kommenden Ausstellung The Symbiocene Forest (Der symbiozäne Wald) deutlich, die wir hier im Oktober organisieren: Vertrauen in die Zukunft, Vertrauen ineinander.“

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The Symbiocene Forest - Down to Earth
BioArt Village - Eindhoven - Niederlande

  1. Oktober 2023 bis 29. Oktober 2023

Geöffnet von 11:00 – 18:00, Eintritt frei 
www.bioartlab.com
www.jalilaessaidi.com

Copyright ©2023 Etienne Boileau

Über den Autor/ die Autorin

Etienne Boileau

Etienne Boileau ist ein in Rotterdam lebender Journalist und Autor.

Übersetzung

Sybille Hayek

Sybille Hayek ist Lektorin und Übersetzerin. Seit 2022 unterstützt sie unser Team ehrenamtlich mit ihrem geschulten Blick fürs Detail und einer großen Liebe zur Sprache.

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