Unterwassereinschlüsse – Ebbe und Flut in den Skulpturen von Maartje Korstanje
„Akzeptiere den Verfall als Teil des Lebens. Begrüße das Wachstum und auch das Verwelken. Das Werk der Künstlerin Maartje Korstanje schwingt auf einer Welle von Aufgehen und Verschwinden, Blühen und Vergehen. Ein bisschen schaurig, aber immer faszinierend. Irgendetwas sagt dem Betrachter, dass es jetzt besser wäre, die Augen abzuwenden, aber er kann es nicht, er muss die Stümpfe, die Fetzen, die Kieselsteine, die Knoten betrachten, etwas Zähflüssiges, etwas Drahtiges, etwas Glitschiges, etwas, das leicht tropft.“
Mit diesen Worten beginnt Onderwatervermoeden ('Unterwassereinschlüsse'), ein Buch über Maartje Korstanje, ihre Arbeit und ihre Beweggründe. Die Kunstjournalistin Kirsten van Santen hat die Bildhauerin zu verschiedenen Zeitpunkten im Vorfeld der Ausstellung in De Utrecht in Leeuwarden interviewt.
De Utrecht (1904) ist das ehemalige Gebäude eines Versicherungsbüros. Es ist reich an opulenten Jugendstildetails und wurde kürzlich im Rahmen einer Privatinitiative renoviert. De Utrecht in Leeuwarden ist ein kleines Gebäude mit einem großen Herzen. Künstler*innen sind aufgefordert, mit dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude in einen Dialog zu treten.
Im Vorfeld der Ausstellung erscheinen ein aufwändig gestaltetes Buch und ein in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin entstandenes Filmporträt. Buch, Film und Ausstellung bilden zusammen ein anspruchsvolles Triptychon.
Maartje Korstanje war sofort von Joseph Mendes da Costas Bodenmosaik in der Eingangshalle von De Utrecht beeindruckt. Es zeigt einen Pelikan, der seine Jungen mit seinem eigenen Blut füttert. Von diesem Gefühl der Aufopferung wurde die Künstlerin inspiriert. Als Menschen müssen wir für die Zukunft unseres Planeten Opfer bringen. Treten Sie einen Schritt zurück, geben Sie denjenigen auf diesem Planeten Raum, die keine Stimme haben.
Eine mehr als vier Meter hohe Hängeskulptur ist das zentrale Element einer Installation, die den Betrachter schnell an einen Ort der Erinnerung zurückführt, an dem die Dinge gut waren. Die hohe Skulptur führt ein Eigenleben, dreht sich lautlos, wenn niemand hinsieht, und zeigt immer wieder neue Seiten von sich. Sie scheint in sich gekehrt zu sein, und doch flüstert sie dringende Fragen.
Maartje Korstanje hat schon als Kind gespürt, dass das Grauen einfach zum Leben dazugehört. Im Interview mit Kirsten van Santen erinnert sie sich an ihre Kindheit auf einem gemischten Biobauernhof am Meer, wo ihre Eltern Obst anbauten. Sie beschreibt die Suche nach einer vermissten Kuh. Sie fanden sie in den Dünen, tot und aufgequollen zwischen dem Strandhafer, ein Bild, das sie seither nicht mehr loslässt.
Schönheit und Schrecken sind untrennbar miteinander verbunden. Das eine kann nicht ohne das andere existieren, und diese Spannung ist in Korstanjes zarten Skulpturen spürbar.
Ich spreche in meiner persönlichen Eigenschaft als Betrachter. Im alten Archivlager auf dem Dachboden von De Utrecht hängt eine Keramikskulptur an einem Holzbalken, wie ein totes Tier oder ein Bündel verblichenen organischen Materials, das im Laufe der Zeit die Form eines Tieres angenommen hat. Die Versuchung, sich ihr zu nähern, ist unwiderstehlich. Zwischen Abstraktion und Figuration hin und her schwankend, gelingt es Maartje Korstanje, eine Welt zu eröffnen, die mir den nötigen Raum gibt. Zweifel sind durchaus akzeptabel, auch wenn ich versuche, die unangenehmen Seiten des Lebens zu rationalisieren, sie handhabbar zu machen. Die Skulpturen machen meinen inneren Kampf greifbar. Immer wenn ich die Arbeiten von Maartje Korstanje sehe, bin ich erstaunt über die Wirkung, die Kunst auf mich haben kann.
Das Material, aus dem ihr neuestes Werk besteht, ist Teil des Kreislaufs des Lebens. Die Verwendung kreisförmiger Materialien bedeutet, dass die einmal geschaffenen Dinge nicht mehr unserem endlosen Wunsch nach Bewahrung entsprechen müssen. Die Skulpturen können schließlich verblassen und langsam kompostieren, um von der Umwelt absorbiert zu werden. Sie können selbst zu einer Quelle von etwas Neuem werden.
Für die Arbeit in De Utrecht verwendete Maartje das steinähnliche Material Xiriton. Dieses innovative kreisförmige Material wurde von Frank Bucher, einem in Friesland lebenden Schweizer, erfunden und war ursprünglich als Baumaterial gedacht. Auf der Suche nach experimentellen Materialien stieß Maartje in einer Datenbank auf das Material. In der Nähe ihres Ateliers in Zeeuws-Vlaanderen findet sie Zutaten wie Meerwasser, Muscheln und Miscanthusgras, die die Fähigkeit haben, Kohlenstoff zu absorbieren. Durch die Zugabe von Textilien und hauchdünnen Fäden der Maschinenstickerei kommt eine faszinierende Unterwasserwelt an die Oberfläche. Bauen, spielen, kneten, verschieben. Schichten von Pappe werden zu organischen Formen in einem Prozess des Denkens, Tuns, Berührens und Fühlens, während sie zu einer Existenz als atmende Skulpturen geführt werden.
‚Underwater Inklings‘ ist bis zum 27. August in De Utrecht, Leeuwarden zu sehen. www.deutrecht.frl
Autor: Ra van der Hoek, künstlerischer Leiter von De Utrecht
Veröffentlicht im Juni 2022
Aus dem Englischen übersetzt von Ursula Karpowitsch
Titelbild: Onderwatervermoeden , Maartje Korstanje, De Utrecht, Leeuwarden