Transarchitekturen: Wenn Skulptur auf Architektur trifft
Der erstmalig verliehene Network Award ging an eine wahre Dolmetscherin zwischen den Disziplinen Architektur und Skulptur: Teresa Esteban. Ein Interview mit der Künstlerin verrät mehr über ihre Person und ihr künstlerisches Schaffen.
In diesem Jahr wurde, in Kooperation mit der Kunstmesse Sculto, zum ersten Mal der Network Award verliehen. Passend zum Jahresthema 2018 von sculpture network, das sich auf die Beziehung zwischen dreidimensionaler Kunst und Architektur konzentriert, wurde der Award einer wahren Dolmetscherin zwischen den beiden Disziplinen verliehen – Teresa Esteban. Ihre architektonischen Skulpturen spiegeln eine intensive Auseinandersetzung zwischen traditioneller Skulptur und Architektur wider und formen dabei ganz neue emotionale, wie auch geheimnisvolle Landschaften.
Die im Jahr 1958 geborene Künstlerin, die bis heute in Madrid lebt, wurde auf der Kunstmesse Sculto 2018 durch die SAIDA Art Contemporain vertreten. Sie und die Galeristin Mareta Espinosa hegen seit ihrem gemeinsamen Studium der Bildenden Künste eine Jahrzehnte überdauernde, intensive Freundschaft zueinander. Mareta ermöglichte es ihr, sich auf der Kunstmesse mit 11 Werken vorzustellen. Teresa gewann damit, neben dem regen Interesse der Öffentlichkeit, auch den Network Award, der ihr am 2. Juni 2018 durch die künstlerische Leiterin und sculpture network Mitglied Beatriz Carbonell Ferrer verliehen wurde. Der Preis umfasst eine kostenlose einjährige Mitgliedschaft bei sculpture network.
Als Doktorin der Bildenden Künste beherrscht Teresa Esteban die vollen Fertigkeiten einer Bildhauerin – vom Modellieren, über das Schnitzen bis hin zum Schmieden und Gießen. Ihre Arbeiten fertigte die Künstlerin bis vor einigen Jahren vorwiegend in Holz. Heute bevorzugt sie es in Stein und Beton zu arbeiten. Sie experimentiert mit großer Leidenschaft, begründet neue Techniken und Modalitäten. Ihre Werke oszillieren zwischen Bild und Skulptur und zeigen unbewohnte Räume, Orte des Schrittes. Ihre 3 Hauptprojekte führen auf Reisen zurück, die sie besonders geprägt haben. „El cielo protector“ (zu dt.: Der schützende Himmel) spiegelt die arabische Ästhetik wider. Der Innenraum, die Geometrie, Licht- und Schattenspiele verbindet die Künstlerin überwiegend mit dem Element Wasser. „El cielo sobre Berlin“ (zu dt.: Der Himmel über Berlin) zeigt Orte großer Vielfalt auf ästhetischer, wie auch funktionaler Ebene. Die Innenhöfe Berlins, insbesondere der Mietskasernen aus dem 19. Jahrhundert, stellt die Künstlerin als Lebensräume kommunikativer Essenz zwischen Gebäuden und Menschen in den Mittelpunkt. Mit „Hashima o la visión del vacío“ (z.dt.: Hashima oder die Vision der Leere) verarbeitet sie Impressionen einer Insel-Minen-Stadt, die einst durch Kohlegewinnung der Firma Mitsubishi in den 60-er Jahren zu den Orten höchster Bevölkerungsdichte zählte, heute jedoch verlassen in Ruinen liegt. Eine Architektur aus Minen- und Betonbauten, die Dutzende von Räumen durch ein Labyrinth von Innenhöfen, Korridoren und Treppen miteinander verbinden. „So sind die arabischen Bauten, die Innenhöfe Berlins und Hashimas gewandert, erfahren, durchdrungen, bekannt geworden; Sinne, verinnerlicht, Gedanken. So hat der Schritt des Bildhauers für sie neue Orte gewebt: Orte, die den umgekehrten Vorgang durchgemacht haben und die erst gedacht und gefühlt, später erkannt und erfahren wurden, bis sie sich in der neuen Arbeit materialisierten“, so Teresa Esteban.
Nachdem sie viele Jahre unterrichtete, wendet sich Teresa Esteban heute vollends ihrer Kunst zu. In einem Interview mit ihr und ihrer Tochter Lucía Cotarelo Esteban konnten wir noch viel mehr zu ihrer Person erfahren.
Frau Esteban, woher rührt ihre Affinität für Architektur?
Ich liebe Architektur seit ich ein Kind war. Ich war schon immer von Stadt- und Naturlandschaften fasziniert. Aber als ich im Zuge meines Stipendiums der Akademie der Schönen Künste von Spanien für ein halbes Jahr in Rom war, habe ich angefangen architektonische Skulptur zu bauen. Das war vor 16 Jahren. Seither hat mich die Inspiration Roms dazu angehalten an Räumen zu arbeiten. Ich wollte nie nur ein Architekt sein, gleichsam wollte ich nie nur ein Bildhauer sein. Mein Herz schlägt für beide Künste.
Ihre drei Hauptprojekte: das Projekt zur arabischen Architektur, das Projekt zu Berlin mit seinen Innenhöfen und das Projekt zu der isolierten Insel Hashima. Woher kam der Anstoß, Projekte speziell zu diesen Orte zu machen?
Nach Saudi-Arabien ging ich hauptsächlich, weil ich eine Einladung bekam am Misk Art Festival mit zu arbeiten. Sie kannten meine Arbeit, wahrscheinlich von meinen Ausstellungen in Marokko und im Iran. So verbrachte ich einige Wochen dort und kam nicht umhin die arabische Architektur für mich zu entdecken. Die Sheltering Sky-Kollektion wurde nach dem Buch von Paul Bowles benannt, mein Projekt über Berlin ist beeinflusst von Wim Wenders Film und die Kollektion zu den Hashima-Inseln, Hashima o la visión del vacío (zu dt.: Hashima oder die Vision der Leere) wurde nach dem Buch Mishima: a vision oft he void von Marguerite Yourcenar benannt, die von dem japanischen Künstler Yukio Mishima handelt. Andere künstlerische Disziplinen sind für meine Arbeit ausschlaggebend, von diesen ist Literatur wohl die wichtigste. Ich bin ein großer Leser. Ich lese immer, jeden Tag. Literaturorte sind auch für meine Kunst wichtige Orte. Während ich in Berlin war, sah ich ein Buch über Hashima mit Vor und Nachher-Bildern der Insel. Ich fand es während einer Ausstellung im Nordbahnhof in Berlin und war völlig fasziniert von der Insel - der Geschichte, der Landschaft und den Ruinen dieses Ortes. Als ich zurück nach Madrid kam, fing ich an, im Internet zu forschen, als ob ich total verrückt danach wäre. Ich nahm Kontakt mit der Botschaft von Japan und zu kulturellen Organisationen von Japan und Spanien auf.
Ist das die Art wie sie normalerweise anfangen an einem Projekt zu arbeiten?
Ja, ich recherchiere sehr viel, besuche Bibliotheken und Kulturzentren. Ich reise zu den Orten, mache mir Notizen, denke darüber nach, mache Zeichnungen und schließlich fange ich an meine Skulpturen zu produzieren. Aber ich mag es nicht, nur eine Sache über die Reise zu produzieren. Jedes Projekt bedeutet eine neue Sprache, eine neue Technik, neue Materialien. Die Zeichnungen ändern sich ständig, die Sprache ändert sich ständig. Ich arbeite hart, mache viele Experimente, wähle Dinge aus, die wegwerfbar sind.
Und wie verhält sich ihr Familienleben zu ihrer Arbeit?
Ich und meine Tochter, wir machen grundsätzlich alles zusammen. (lacht) Wir lieben es zusammen zu reisen und neue Orte gemeinsam zu entdecken. Es ist ziemlich normal, dass wir zusammen zu den Orten reisen. Alle paar Monate gehe ich zu ihr und sage 'Sieh dir diesen Ort an, ich liebe es!' oder sie kommt einfach mit einem Bild von einem Ort an, an den wir gehen müssen, und zwar 'Jetzt!'. Wir beginnen zu planen und dann legen wir einfach los.
Lucía ergänzt: Sie beginnt dort zu arbeiten und ich helfe ihr so gut ich kann. Jedes Mal, wenn sie ihre Ausstellungen macht, bin ich dabei. Eine Ausstellung zu organisieren ist sehr schwer und man braucht eine Menge Leute, die einem helfen. Normalerweise mache ich das für sie. Nur für eine Person ist es zu viel. Das habe ich mein ganzes Leben lang gemacht. Ich wurde schon dahin hinein geboren und sie hat mich immer einbezogen. Seit ich ein Kind war, wurde ich involviert. Ich habe alles von Anfang an gelernt und bin den ganzen Weg mit ihr gegangen.
Lucía, arbeiten Sie selbst auch künstlerisch?
Ja, aber nicht Vollzeit. Meine Leidenschaft gilt der Literatur und der Poesie.
Frau Esteban, wenn man Fotos von Ihren Kunstwerken sieht, scheint es, als ob es möglich ist die Dächer zu entfernen um hineinzuschauen. Ist dem so?
Dies ist der eigentlich wichtige Teil der Skulpturen. In der Lage zu sein, nach innen zu gehen und von oben hinein zu sehen. Der Raum innerhalb der Skulptur ist wie eine Skulptur in einer anderen Skulptur. Der Raum im Inneren ist genauso wichtig wie die Skulptur selbst. Die Dächer sind aus Alabaster, einem transluzenten Stein, durch den das Licht hineinfällt. Wir arbeiten viel mit dem Licht bei Ausstellungen. Es ist einer der interessantesten Teile der Skulptur, besonders bei der arabische Transarchitektur. Es ist eine wirklich gute Art mit Licht und Schatten zu spielen, genauso wie es die arabische Architektur tut. Man kann also beobachten, wie das Licht hindurchscheint. Es ist ein schöner Effekt.
Der Himmel scheint im Allgemeinen eine besondere Rolle zu spielen. Warum?
Es geht darum, die Städte und die Räume vom Himmel aus zu sehen. Ich laufe in den Städten herum, aber die Art, wie ich mir die Räume vorstelle, ist vom Himmel aus, so dass ich einen kompletten Überblick über die Orte habe. Deshalb erschaffe ich auch Räume, die man von oben betrachten kann, die man dekonstruieren kann, indem man beispielsweise das Dach wegnimmt.
Also verkörpert der Himmel nicht etwa den Glauben an Gott für Sie? Wie denken Sie über Religion und den Glauben an Gott?
Ich bin sehr spirituell, aber überhaupt nicht religiös. So wie ich den Himmel sehe, geht es nicht um Religion oder Gott. Es ist spirituell, aber mehr bezüglich des Raumes. Meine Tempel, oder die Art von religiösen Räumen, die ich manchmal erschaffe, besonders in der arabischen Sammlung, sind sie eigentlich leer. Sie sind Tempel, in denen kein Gott anwesend ist.
Was denken Sie über die moderne Architektur und die Bauweise mit den kubischen Formen?
Nun, jede neue Ära der Zeit hat andere Bedürfnisse. Man muss also jeder Zeitperiode Bedeutung geben und man muss der Kunst ihre Freiheit lassen. Wenn gerade kubische Formen angesagt sind, wenn sich Zeit, Architektur und Kunst nun mal dahin entwickeln, muss man sie einfach lassen. Alles verändert sich - die Konzepte, die Materialien, die Notwendigkeiten. Wir bauen keine barocken oder klassischen Gebäude mehr. Also muss man es einfach zulassen.
Welche Erwartungen oder Hoffnungen haben Sie von ihrer Mitgliedschaft bei sculpture network?Ich möchte nach München reisen. (lacht) Mein nächstes Projekt thematisiert tatsächlich die Stadt München. Dies fand seinen Anfang bereits lange vor dem Award. Ich hatte das Projekt über Berlin und sprach bereits mit dem spanischen Kulturzentrum Instituto Cervantes über eine Reise mit der ganzen Sammlung nach München. Ich habe schon angefangen an München zu arbeiten die Stadtkarte neu zu gestaltet. Daher erhoffe ich mir Unterstützung von sculpture network, nachdem ich meine Ausstellung organisiert habe. Daneben möchte ich meine Hashima-Kollektion im EKO Kulturzentrum in Madrid ausstellen, da es meine Heimat ist. Sie machen dort Ausstellungen zu Kunst in Verbindung mit Architektur. Es kann eine großartige Ausstellung werden.
Mit ihrem Projekt zur Stadt München erweitert Teresa Esteban noch einmal ihren Horizont von Transarchitekturen hin zu reimaginierten Städten. Wir sind gespannt auf ihre Ausstellung, wünschen ihr schon jetzt viel Erfolg und bieten ihr gern unsere volle Unterstützung an.