So weich ist der Stahl, so leicht der Granit
Durchreisende kennen den Schweizer Kurort Bad Ragaz als Mittelpunkt des Heidilands, der fiktiven Heimat der Kinderbuchfigur von Johanna Spyri. Den wenigsten ist klar, dass sie auf ihrem Weg durch das Rheintal nach Italien oder ins Engadin an einem international bekannten Kurort vorbeirauschen. Kein Geringerer als Paracelsus war hier im 16. Jahrhundert der erste Badearzt. Er bestätigte schon damals die heilende Wirkung des Thermalwassers. Im neunzehnten Jahrhundert hob ein Privatmann, der Architekt Bernhard Simon, den modernen Kurort Bad Ragaz aus der Taufe. Simon hatte in St. Petersburg Paläste für den Adel gebaut, und Schloss Peterhof diente ihm als Vorbild, als er das Kurviertel mit dem Hotel Quellenhof und dem Kursaal entwarf. Das Grand Resort Bad Ragaz mit dem Grand Hotel Quellenhof & Spa Suites, dem Grand Hotel Hof Ragaz und dem Kursaal bilden bis heute das Herz des Kurorts. Kein Wunder, dass so ein idyllisches Flecken Erde den europäischen Adel und andere berühmte Gäste anzog, darunter Victor Hugo, Rainer Maria Rilke, Thomas Mann und den Lederstrumpf-Autor James Fenimore Cooper. Dass heute auch die Kunstliebhaber kommen, verdankt sich ebenfalls einer Privatinitiative: Rolf Hohmeister, Facharzt für Rheumatologie, Orthopädie und Schmerzmedizin am Medizinischen Zentrum von Bad Ragaz und leidenschaftlicher Kunstsammler, gründete im Jahr 2000 gemeinsam mit seiner Frau Esther die Skulpturen-Triennale Bad RagARTz.
Jetzt ist es wieder soweit: Seit Mai ist Bad Ragaz ein einziges Freilichtmuseum der Skulptur. Vierhundert Werke sind über den Ort und die Umgebung verteilt ausgestellt. Siebenundsiebzig Künstler aus siebzehn Ländern wurden ausgewählt, getreu dem Prinzip des Gründerpaars, eine ausgewogene Mischung aus Neuentdeckungen, etablierten Künstlern und großen Namen zu bieten. Zu letzteren zählen der deutsche ZERO-Mitbegründer Heinz Mack, der mit einer Silber-Stele vertreten ist, und der 2002 gestorbene italienische Meister Giò Pomodoro. Bad Ragaz bietet der Kunst eine mehr als behagliche Kulisse. Zur Eröffnung im Mai tauchte die warme Frühlingssonne die Grand Hotels und den Kurpark mit den bunt blühenden Flieder- und Magnolienbäumen und den Kunstwerken in ein berauschendes Licht. Könnten die Kunstwerke selbst entscheiden, sie würden wohl nicht mehr von hier wegwollen. Tatsächlich sind viele geblieben. Eine spezielle Karte erklärt, welche Skulpturen zum festen Bestand von Bad Ragaz gehören, welche zum Programm der aktuellen Triennale.
Der Rundgang beginnt am besten im Kurpark. Dort gehört zu den auffälligsten Werken die drei Meter hohe Bronze-Büste einer jungen Frau mit geschlossenen Augen (La nuova Eva, siehe oben). Sie ist ein Werk der Österreicherin Helga Vockenhuber, die in ihren Arbeiten Spiritualität und Sinnlichkeit ausdrücken möchte. Der albanische Künstler Helidon Xhixha ist mit einer begehbaren Installation aus Edelstahl vertreten. Xhixha poliert das Material bis es spiegelt – allerdings ist das Ergebnis ein Zerrspiegel, in dem der Eintretende groteske Formen annimmt.
ist hier nicht ganz zufällig:
Marcel Bernets "Populist"
(2015, Pigment auf Linde)
© Steffi Charlotte Fluri
Für eine Prise Humor sorgen die Werke des Schweizer Künstlers Marcel Bernet. Überall im Zentrum des Ortes stößt man auf seine grob geschnitzten und bemalten Figuren aus Holz, die ironisch den Zeitgeist kommentieren. Sein niedlicher Populist mit hochgereckten Armen hat unverkennbar die Frisur von Donald Trump, Beziehung 2.0 zeigt einen Mann und eine Frau, die sich den Rücken zukehren und statt miteinander in Kontakt zu treten auf ihre Telefone blicken.
Im Zugang zur Tamina-Therme begegnet der Besucher einer Parade berühmter Schweizer – vom Rotkreuz-Gründer Henry Dunant bis zum Engadin-Maler Giovanni Segantini, von der Wachsfigurenkabinett-Gründerin Marie Tussaud bis zur Richterin Carla del Ponte. Der Zürcher Künstler Inigo Gheyselinck schnitzte sie im Auftrag der Schweizer Vereinigung der Wald- und Holzbranche und des Bundesamts für Umwelt mit dem Ansinnen, auf die ungenützten Schweizer Wälder hinzuweisen. Wälder, so erfährt man, werden nicht gesünder, wenn sie in Ruhe gelassen werden, sondern sie überaltern. Die Schweizer Holzwirtschaft entschloss sich, statt eines TV-Spots diese Kunstwerke in Auftrag zu geben. In der Schweiz haben sie für einiges Aufsehen gesorgt. (Bild am Ende des Artikels)
Pieter Obels "Omgekeerde bedoelingen"
(Umgekehrte Absichten, 2016, Cortenstahl)
© Steffi Charlotte Fluri
Auffällig ist immer wieder, wie viele Künstler ihre Vorliebe für den manchmal rostigen Industrie-Werkstoff Stahl pflegen. Jeder scheint auf seine Weise vorführen zu wollen, wie virtuos man die nur vermeintlich harte, in Wahrheit aber weiche Legierung verbiegen, verknoten und anderweitig kunstvoll formen kann. Bei Riccardo Cordero entstehen daraus konstruktivistisch komplexe Gebilde, bei Martina Lauinger sind es Knoten. Pieter Obels verformt Stahl zu Spiralen, Sonja Edle von Hoeßle zu Endlosschleifen, die kunstvoll ihr Gleichgewicht halten. James Licini feiert mit seinen fein gearbeiteten Stahlgebilden die Perfektion des rechten Winkels. Bei Thomas Röthel kann Stahl als Wippe, Knoten, als aufgebrochene Stele oder als geblähtes Segel im Wind in Erscheinung treten. Bei ihm gewinnt der Werkstoff eine tänzerische Qualität.
Kaum weniger beliebt ist der Naturwerkstoff Holz, wie etwa an den Werken Josef Langs zu erkennen, der von menschlichen Posen fasziniert ist und seine Figuren rustikal in Eiche schnitzt. Der Südtiroler Egon Digon fesselt seine Holzkunstwerke mit Schnüren und Bändern, und es scheint, als wehrte sich das Material gegen den Zwang.
Heidi Gerullis arbeitet mit verchromtem Stahl und Aluminium und entwickelt aus diesen Materialien filigrane Bambuswälder und Faltungen.
Für Gesprächsstoff sorgt Marc Moser mit seinen gefährlichen Spielzeugtieren aus Stacheldraht. Moser ist bekannt dafür, Alltagsobjekte mal ironisch, mal mit diebischer Lust an der Provokation zu verfremden – von der grotesk vergrößerten meterlangen Sonnenbrille über die Gierige oder Geizige (je nachdem, wie man Avarice übersetzen möchte) – eine Kneifzange, deren Griffe Damenbeine sind, die sich naturgemäß schließen, wenn die Zange benutzt wird.
An Bauwerke altorientalischer Hochkulturen erinnern die wabenförmigen Gebilde Reiner Seligers aus Ziegelmauerwerk. Seliger hat Industriedesign studiert, und seine Werke zeigen, welche Schönheit und welchen Assoziationsraum archaische Werkstoffe als Kunstwerke oder Designobjekte entfalten können. Ziegelstein nicht nur einer der ältesten Baustoffe der Menschheit, er hat auch klimatechnisch gegenüber Glas- und Stahlbauten viele Vorteile – was ihn heute für Architekten wieder interessant macht.
Auch der Italiener Silvio Santini findet für ein archaisches Bildhauer-Material überraschende Verwendung. Granit wirkt aufgrund seiner Mischung aus Feldspat, Quarz und Glimmer immer edel. Doch er ist auch schwer. Santinis Granitskulpturen jedoch scheinen Papierrollen zu imitieren und wirken federleicht. Es sind sinnliche Objekte zwischen Kunst und Design.
Carla Hohmeister arbeitete als Bühnenbildnerin am Theater und trägt Gesichter und Figuren auf Aluminium und Blechinstallationen auf.
Schaurig kommen die Wächter der Zeit des österreichischen Künstlers Manfred Kielnhofer daher: Bei seinen aufrecht stehenden Mönchen aus Polyester und Harz genügen die Hüllen, damit man sie als solche erkennt. Innen sind sie leer. Die Wächter standen schon an vielen bekannten Plätzen, auf einer weiten Wiese in Bad Ragaz wirken sie auch am helllichten Tag nicht weniger unheimlich als in einer Gruft bei Nacht.
Auch Lukas Hofkunst ist mit dabei, der Schweizer Künstler mit dem beziehungsreichen Namen, der mit seinen riesigen, filigranen Schirm-Skulpturen aus Maschendraht und anderen Metallen bekannt wurde, die durch das wechselnde Tageslicht immer neue Lichtstimmungen erzeugen. Dem Vernehmen nach plant Hofkunst, der einen berühmten Vater hatte, im südfranzösischen Saint-Chinian bei Béziers einen Skulpturenpark nach dem Vorbild des Giardino dei Tarocchi von Niki de Saint Phalle in der Toskana.
Es ist unmöglich, das große Angebot der siebten Triennale an einem Tag ausreichend zu würdigen. Wer möglichst viel von der Bad RagARTz sehen möchte, sollte jedoch mindestens den einen Tag einplanen. Am besten, man beginnt im Kurpark, setzt den Rundgang im Grand Resort fort, geht dann weiter in den Ortskern, umrundet den Giessensee und kehrt über die Werke an der Maienfelderstraße ins Kurviertel zurück. Doch damit nicht genug: Mit dem Postbus gelangt man durch die wildromantische Tamina-Schlucht hinauf zum Alten Bad Pfäfers auf 800 Metern Höhe. Im Obergeschoss des Gebäudes sind die Kleinplastiken ausgestellt. Die Besichtigung lässt sich mit einem Abstecher in die Klamm der Tamina-Quelle verbinden, wo das konstant 36,5 Grad warme Thermalwasser seit Jahrhunderten aus einem Felsen entspringt. Wer noch mehr Kunst sehen möchte, nimmt von Bad Ragaz aus die Gondelbahn zum Pizol. Auf rund 1630 Metern Höhe sind dort zwischen der Bergstation Pardiel und dem Aussichtspunkt Prodkopf weitere Skulpturen aufgestellt. Seit einigen Jahren hat sich die Bad RagARTz bis nach Vaduz ausgedehnt, wo in der Fußgängerzone weitere Arbeiten stehen.
Die Skulpturen-Triennale von Bad Ragaz ist bis zum 4. November zu sehen. Dann heißt es für Rolf und Esther Hohmeister: „Nach der Triennale ist vor der Triennale“. Auf die Mithilfe von Gemeinde, Hotels und Bürgern werden sie auch dann wieder zählen können. Zum Eröffnungswochenende herrschte regelrechte Volkfeststimmung. Damit ist Rolf und Esther Hohmeister etwas gelungen, woran St. Moritz mit seinen wechselvollen Art Masters immer noch arbeitet: eine Institution zu etablieren, die längst weit über das schöne Rheintal hinaus ausstrahlt. Dabei helfen ein klares Konzept und eine gewisse Rigorosität bei der Auswahl der Künstler. Ein weltberühmter Bildhauer hätte gerne teilgenommen, berichtet Rolf Hohmeister diskret. „Bei einem guten Essen musste ich ihm erklären, dass er aktuell zu präsent ist.“ So muss der Starkünstler auf die nächste Ausgabe der Triennale hoffen.
Wir von sculpture network sind besonders stolz darauf, dass neun unserer Mitglieder bei Bad RagARTz ausstellen und werden in den kommenden Wochen darüber noch berichten.
Folgende Mitglieder sind dabei:
- Marcel Bernet, Schweiz
- Gertjan Evenhuis, Niederlande
- Martina Lauinger, Schweiz
- Keld Moseholm, Dänemark,
- Pieter Obels, Niederlande
- Jörg Plickat, Deutschland
- Marc Reist, Schweiz
- Anna Schmid, Schweiz
- Angelika Summa, Deutschland
Tipp: Die Umgebung von Bad Ragaz ist viel zu schön für nur einen Tag. Hotels gibt es dort für jeden Geschmack. Das Beste von allem – stilvolle Thermalpools, Gourmetküche und Kunst – vereint das Resort Bad Ragaz. Zur Skulpturen-Triennale offeriert das Luxusresort das Spezialpaket „Bad RagARTz Impression“ mit drei Übernachtungen inklusive großzügigen Frühstücksbuffets, Zutritt zum Thermal Spa mit dem legendären Helenabad sowie Badeerlebnis in der Tamina Therme. Inkludiert sind täglich ein 4-Gang-Lunch oder -Dinner sowie der Bad-RagARTz-Katalog und das Bad RagARTz-Abschiedsgeschenk.
Autor: Holger Christmann
Holger Christmann ist Münchner
Kunst-Journalist und reiste für uns
zur Skulptur-Triennale Bad RagARTz