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PAPIER - von leicht und zart bis voluminös und kantig

Papier, das ist ein Gegenstand, der in seiner alltäglichen Präsenz und durch den oft achtlosen Umgang mit ihm fast sein Potential für aufregende Kunstwerke konterkariert. Sculpture network stellt sechs KünstlerInnen vor, die mit Papier interessante Werke in vielfältiger Ausprägung schaffen.

Papier (lat. papyrus) besteht aus pflanzlichen Fasern. Ursprünglich wurde es aus dem namengebenden Papyrus gewonnen, aber auch die Bestandteile von Reisstroh, Bambus und Seidenpflanzen wurden zur Herstellung benutzt. Die Erfindung des Papiers löste frühere Schreibunterlagen aus Ton, Wachs, Knochen, weiteren tierischen Bestandteilen, Stein, Metall oder Pergament ab. So gesehen ist Papier ein Material das schon sehr lange in Gebrauch ist. Das erste Papier lässt sich in China, etwa 100 n. Chr., finden. Die Herstellung dieser ersten Papiere war aufwändig und teuer, erst im 19. Jh. wurde Papier als Material in größerem Umfang industriell hergestellt. Damit waren Informationen und Bildung einer breiteren Bevölkerungsschicht zugänglich.

Die Herstellung von Papier (und auch von Kartonagen und dgl.) ist in der heutigen Zeit stark industriell geprägt, wenn man von speziellen Bütten- oder Künstlerpapieren absieht. Als Ausgangsstoff werden in der Regel Holzfasern (Cellulose) und Altpapier verarbeitet. Dazu werden verschiedene Füllstoffe, Nassfestmittel, Binde- und Aufhellungsmittel, bzw. Färbemittel und Mittel zur Erhöhung der Alterungsbeständigkeit zugefügt, die Schwere/die Dicke der Blätter festgelegt und die Glätte der Oberfläche mittels Leimzugaben für den späteren Verwendungszweck eingestellt. Auch können Papiere weiter aufbereitet, mit zusätzlichen Materialien versehen werden und dadurch neue Anwendungsgebiete erobern (z. B. Tetra Pack). Die Grundsubstanzen werden in großen Bottichen, aus denen der aus den Ausgangsstoffen entstandene Faserbrei entnommen wird, gemischt, und auf langen Bändern zwischen mehreren Walzen entwässert und getrocknet. Dieser Prozess ist für die Faserrichtung und damit die Laufrichtung des Papiers verantwortlich (erkennbar an der Rissbildung beim Zerreißen eines Blattes).

Papier ist heute ein Alltagsgegenstand, ein Gegenstand, der von vielen Menschen einerseits nur als reiner Übermittler von Informationen gesehen wird, und andererseits als umhüllendes Etwas, als Verpackung austauschbar ist und nur einen niedrigeren Rang gegenüber dem zu Schützenden einnimmt. Trotz der Digitalisierung wird immer noch eine große Menge Papier und Karton produziert. Die Papiere sind heutzutage ein industrielles Massenprodukt und gelten als ein billiger Rohstoff. Viele Produkte aus Papier sind nach  einmaliger Benutzung Abfall.

 

Papier in der Kunst

  Janine von Thüngen, "segni verticali e", 2019, Metall, Papier, Sound, Stahl, 85 x 150 x 300 cm   
Janine von Thüngen, "segni verticali e", 2019,
Metall, Papier, Sound, Stahl, 85 x 150 x 300 cm

 

 

Das Material lässt sich vielfältig für künstlerische Zwecke einsetzen. Es kann beschrieben, gefaltet, geklebt, beklebt, bedruckt, collagiert, geschnitten, bemalt, gefärbt, perforiert, gerissen, gestanzt, geprägt, gebogen und mit Zeichnungen versehen werden, dergleichen können Kombinationen mehrerer Gestaltungsmöglichkeiten auftreten. So können KünstlerInnen aus diesem flexibel zu handhabenden Material Scherenschnitte und Schattenspiele, Faltungen und Origami erstellen, es als Mal- und Zeichengrund, für Drucke und Stiche, für Künstlerbücher und raumgreifende Installationen einsetzen. In vielen Fällen ist Papier auch in der Kunst ein (rangniedrigeres) Trägermaterial. Außerdem ist das Material imstande bis zu einem gewissen Maß andere Materialien optisch und rein äußerlich nachzuahmen, so z. B. Marmor, Leder und Holz.

Generell gesehen sind Kunstwerke und Arbeiten aus Papier über sehr lange Zeiträume haltbar, sofern äußere Einflüsse wie Feuchtigkeit oder große Hitze/Feuer nicht auftreten. Allerdings ist zu sagen, dass nicht alle Papiere alterungsbeständig sind, Werke sich leicht beschädigen, zerstören oder verbrennen (u. a. Bücherverbrennungen) lassen und Wasser die Kunstwerke aufweicht und auflöst.

Im folgenden werden sechs KünstlerInnen vorgestellt, die aus Papier interessante und vielfältige Arbeiten erstellen.

 

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Helene Tschacher, "Gödl, Eschr, Bach", 2018, Papier (Buch), 50 x 50 x 5 cm

 

Helene Tschacher kommt ursprünglich aus dem Handwerk der Buchbinderei und auch als Künstlerin hat für sie das Buch einen wichtigen Stellenwert. Dabei geht es in ihren Werken immer um die generelle Aussage eines Buches als Wissensträger und Informationsvermittler. So sagt sie über ihre Arbeiten, dass, „historisch gesehen zuerst nur wichtige Informationen schriftlich auf Papier festgehalten wurden, erst bei größerer Verbreitung von Büchern, die damit einhergehende Bildung für die Menschen leichter zu erreichen war“. Für ihr Werk Gödel, Eschr, Bach zerschneidet und sägt Tschacher „alte“ Bücher und arrangiert diese in exakter geometrischer Präzision neu. Die in diesen Büchern ursprünglich enthaltenen Informationen sind trotzdem immer noch vorhanden, allerdings durch die Bearbeitung nicht mehr lesbar. In ihren Kunstwerken ist daher auch die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der - nicht mehr sichtbaren - Informationen mit eingeschlossen, die Frage nach der Veränderbarkeit von Informationen zu „FakeNews“ und nach dem Absoluten, speziell in den digitalen Medien. Der Titel des verwendeten Buches ist daher immer zugleich der Titel des Werkes. Genauso wichtig für die Künstlerin mit ihren Werken ist aber auch der Hinweis auf den Stellenwert des Papiers und der daraus erstellten Gegenstände. Sie benutzt für ihre Werke bereits Gebrauchtes, in den Augen mancher vielleicht auch Verbrauchtes, das in der Regel als „einfach da“ wahrgenommen wird. So sind in der Kunst Tschachers auch ihre Sicht auf den Raubbau der Natur mit eingearbeitet. Ihre Arbeiten sind sehr ästhetisch aufgebaut und seriell, sodass die Multiples wiederholbar sind, aber immer eigene Charakteristika und leichte Unterschiede aufweisen.

 

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Mireya Samper, "Maybe the Void", 2018, Papier, Mixed Media, 400 x 500 x 150 cm

 

Die Künstlerin Mireya Samper thematisiert in ihrem Werk Maybe the Void die Zerbrechlichkeit der Natur und im Allgemeinen die der Leere. Das Werk beschreibt das Eintauchen des Menschen in die Natur und wie diese verändert wird. Ebenso wie eine Leere durch das Eindringen nicht mehr eine „Leere“ darstellen kann, so geschieht auch in der Natur durch das Einbringen des Menschen eine Veränderung des ursprünglichen Naturraumes. Passieren diese Beeinflussungen im Übermaß, kann eine Zerstörung ausgelöst werden. Implementiert ist ebenso, dass sich das Kunstwerk durch eine Veränderung des BetracherInnenstandpunktes anders zeigt, genauso wie sich die Blickwinkel auf die Naturräume verändern können. Die Arbeiten von Samper sind hauptsächlich aus dünnem Japanpapier gestaltet. Für die Künstlerin ist die „ruhige Präsenz, die Einfachheit und das Licht, das es ausstrahlt“ ein wesentlicher Bestandteil des Werkes. Für sie ist Papier durch die vielen „Eingriffsmöglichkeiten“ ein hervorragender Werkstoff um filigrane und doch voluminös erscheinende Werke zu schaffen. Der Künstlerin gelingt es, mit der Arbeit Maybe the Void ein dreidimensionales Werk und große Installationen aus leichten, dünnen zweidimensionalen Schichten zu erstellen. Die „Leere“ wird sozusagen aus einer dünnen Papierschicht herausgearbeitet, was diese für die BetrachterInnen erst als „Leere“ kenntlich und sichtbar macht. So erscheint das Werk in seiner Gestaltung als Stellvertreter für Eigenes das in das Innere des Werkes projiziert werden kann.

 

   Jūra. A. Vaškevičiūtė, "Thirsty", 2019, Mixed Media, Naturstoffe, Papier 21 x 10 x 18 cm      

Jūra. A. Vaškevičiūtė, "Thirsty", 2019,
Mixed Media,Naturstoffe, Papier,
21 x 10 x 18 cm

In den Werken von Jūra. A. Vaškevičiūtė ist die Ausbeutung der Erde und das komplette Ausschöpfen der Ressourcen thematisiert. Eingeschrieben sind außerdem die Überlegungen zum Umweltschutz und was der Mensch der Natur als Müll und Schmutz zurückgibt. Das Werk von Vaškevičiūtė regt zum Nachdenken über das eigene Verhalten an und weist darauf hin was jeder Mensch seinen Nachkommen hinterlassen will, oder was durch Ausbeutung nicht mehr vorhanden sein wird. Die Künstlerin spiegelt in ihrem Werk Thirsty die Zerbrechlichkeit des Natur- und Ökosystems Erde wider und spielt damit auf den heutigen Zeitgeist des „Immer-Mehr-Haben-Wollens“ und der rücksichtslosen Verschwendung heutiger Generationen an. Das auf vielen dünnen Beinen stehende Behältnis erinnert, auch durch seinen an einer Seite angebrachten „Henkel“, an ein Gefäß, das allerdings im erhöhten Boden mehrere kleine Löcher aufweist, sodass dort das Hineingegebene, also der Inhalt wieder hinauslaufen kann. Lediglich gröbere Reste könnten im Gefäß verbleiben, aufgefangen und einer weiteren „Benutzung“ zugeführt werden. Allerdings sind etwaig zurückbleibende Reste nur mehr schwer aus dem Behältnis herauszubekommen, da es auch auf der oberen Seite viele dünne und spitz herausragende Metallauswüchse besitzt. Das Werk Thirsty in seiner Form als Behältnis konterkariert sich somit selbst und symbolisiert den ewigen Durst nach Neuem und nach immer Mehr.

 

    Sibylle Nestrasil, "Missgunst", Seidenpapier, Kleisterrmix, 43 x 38 x 32 cm    

Sibylle Nestrasil, "Missgunst",
Seidenpapier, Kleisterrmix,
43 x 38 x 32 cm

Das Papierobjekt Missgunst von Sibylle Nestrasil ist eine der sieben Todsünden die als Serie den sieben Tugenden gegenüberstehen. Die insgesamt 14 Objekte dieser Reihe sind aus identischen Ausgangsformen entstanden. Während die Tugenden eine Ausdehnung und somit Vertrauen signalisieren, sind die Objekte welche die Sünden veranschaulichen, zusammengezogen und starr, was Angst symbolisiert. Für die Künstlerin ist Papier ein vielfältiger Werkstoff, der sich ganz unterschiedlich bearbeiten und gestalten lässt und in dem mit immer neuen Möglichkeiten eine Vielzahl an Ausdrücken bei einem Kunstwerk kommuniziert werden kann. So ist bei der Reihe der „Tugenden“ und in der Gegenüberstellung zu den „Sünden“ gut zu erkennen, wie ein identisches Ausgangsmedium und eine gleiche Ausgangsform zu ganz unterschiedlichen Objekten gestaltet werden kann. Der Künstlerin gelingt bei den einzelnen Werken der Serien „Todsünden“ und „Tugenden“ eine hervorragende Kombination von unfassbar leicht und durchscheinend zu doch auch kompakt und voluminös zu erstellen. Die Arbeit wirkt wolkig und weich, dabei trotzdem in einem gewissen Maße bedrohlich von seiner hohen Warte aus. Zugleich ist unklar ob sich die „Todsünden“ auf die BetrachterInnen selbst ausbreiten können und diese dann starr und in einer Enge gefangen zurücklassen. Das Werk reflektiert Vorstellungen, Normen und Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens, deren Einhaltung oder Nicht-Einhaltung auch durch die Mitglieder der Gesellschaft positiv oder negativ sanktioniert werden können

 

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Siegrid Müller-Holtz, "Buchskulptur II", 2019, Papier (Buch), 30 x 30 x variabel cm

 

Die Buchskulptur II von Siegrid Müller-Holtz bezieht sich auf das Jubiläum „200 Jahre Theodor Fontane“. Die Künstlerin hat für diese Arbeit alte Buchausgaben von Theodor Fontane benutzt, die enthaltenen Blätter zu einem großen Teil entfernt und den Buchrücken mit der Heftung und den alten Vorsatzpapieren, die sonst im Verborgenen liegen, neu sichtbar werden lassen. Für Müller-Holtz ist das Alte, Abgegriffene, die Patina eines Buches und sein Vergilben ein wertvoller Bestandteil ihrer Arbeit, da dies den Ablauf von Zeit sichtbar macht und auch in den Werken erkennbar bleiben soll. Wichtige Textstellen, die vormals im Buch enthalten waren, werden von Müller-Holtz handschriftlich wieder zugefügt und sichtbar gemacht. Denn Schrift, im Besonderen alte Handschriften, sind ein wichtiger Bestandteil in den angesprochenen Arbeiten. In der Regel behalten die Bücher ihre frühere Form und Größe, die Künstlerin entnimmt und beschneidet zwar, aber immer ist das Ausgangsobjekt Buch zu erkennen. Ein großes Thema im Werk ist daher auch das Recycling und das Upcycling von schon gebrauchten Gegenständen und ihrer Wiederbenutzung in unserer heutigen Wegwerf-Gesellschaft. Die einzelnen Buchfragmente und zugehörigen Texte werden sorgfältig komponiert, immer darauf bedacht den vormaligen Inhalt des Buches zu unterstützen. Dieser ist zwar nicht mehr entschlüsselbar, lässt aber durch die vorhandenen Textfragmente einen Einblick in die Geschichten des verwendeten Buches zu. Ihre Arbeiten sind durch das inhaltliche Thema „Fontane“ zu einer Reihe zusammenfassbar und trotz der Verwendung der verschiedenen Buchausgaben mit Texten von Fontane ein zusammengehöriges Ganzes.

 

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Janine von Thungen, "segni verticali e", 2019, Metall, Papier, Sound, Stahl, 85 x 150 x 300 cm

 

Janine von Thungens Werk segni verticali e beschäftigt sich mit der Insel Sizilien und den auf dieser Insel lebenden Menschen. Für ihr Werk schnitt sie aus einer spiegelnden Metallplatte die Form der Insel aus. Eines der wichtigsten Kennzeichen einer Insel sind die darauf befindlichen Leuchttürme, die sie aus Papierresten einer italienischen Firma formte. Diese Firma erstellt u. a. Bücher, Logbücher und Tagebücher. Für von Thüngen sind die aus diesen Papieren erstellten Produkte der Firma zugleich in ihren Leuchttürmen enthalten, auch wenn es für die BetrachterInnen nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Dieser Vorgang des Benutzens von Papierresten implementiert für die Künstlerin daher das weite Feld von Hoffnungen, Erwartungen, Ängsten und Erinnerungen, die in diesen Büchern aufgezeichnet werden können und so in den Leuchttürmen eingeschrieben sind. Der Leuchtturm steht weiter für das Ankommen und das Verlassen von Menschen auf der Insel und ihre Erinnerungen und Hoffnungen, die somit zu einem Teil der menschlichen DNA werden können. Die Arbeit von Janine von Thüngen ist als ein Spiegelbild der heutigen Zeit zu sehen, da es nur noch wenige Menschen gibt, die ein ganzes Leben an einem einzigen Ort verbringen können oder wollen. Die jeweils daran geknüpften Hoffnungen oder Ängste werden durch das Werk symbolisch dargestellt, durch die spiegelnde Oberfläche sind die BetrachterInnen auf sich selbst zurückgeworfen und finden sich im Werk wieder. Janine von Thüngen reflektiert gekonnt den gesellschaftlichen Wandel vom „Sesshaften“ hin zum (digitalen) Nomaden.

Die hier vorgestellten Werke geben beispielhaft einen Eindruck wie vielseitig und unkonventionell der Werkstoff Papier für Kunstwerke genutzt werden kann.

Mehr Informationen zu den KünstlerInnen auf ihren Homepages oder sculpture network-Profilen:

Helene Tschacher
Mireya Samper
Jūra. A. Vaškevičiūtė
Sibylle Nestrasil
Siegrid Müller-Holtz
Janine von Thungen

 

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Autorin: Dr. Eva Daxl

Eva Daxl absolvierte ein Kunststudium mit plastischem Schwerpunkt. In ihrer PhD-Arbeit schrieb sie über das Thema keramische Materialien in der Kunstkritik. Sie ist daher mit dreidimensionalen Kunstwerken in Theorie und Praxis vertraut.

 

 

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