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Keramik - nur ein „weiches“ Material?

Keramik ist ein hochplastisches Material das vielseitig zu verwenden und einfach zu formen und zu gestalten ist. Unsere Autorin Eva Daxl spürt diesem unterschätzten Werkstoff nach und stellt vier KünstlerInnen vor, die u. a. mit diesem Material großartige Kunstwerke erstellen.

Allen Materialien die für Kunstwerke verwendet werden besitzen spezielle Eigenschaften. Diese Eigenschaften können, neben der verwendeten Technik, das Erscheinungsbild eines Werkes und dessen Deutung maßgebend beeinflussen.

In der Vergangenheit wurde versucht, nicht nur die einzelnen Materialien in eine Hierarchie zu pressen, sondern auch die Idee von der haptischen Ausführung zu trennen, was bis zur Ablehnung der allgemeinen Materie führen kann. Das Material wird deshalb häufig als der niedrigste Teil eines Kunstwerkes angesehen. Desweiteren wurde zwischen einzelnen Materialgruppen und innerhalb dieser Gruppen eine Werte-Hierarchie gebildet. Diese Hierarchie und ihre Zuschreibungen sind bis heute bei der Bewertung von Werken verankert.

Keramische Materialien positionierten sich über die gesamte Zeit hinweg vorwiegend in einem handwerklichen Bereich und in einer Ausprägung als Baumaterialien, Geschirr und Gebrauchsgegenstände. Im künstlerischen Umfeld beschränkte sich der Gebrauch als Material zum künstlerischen Ausdruck früher meist auf eine Verwendung als untergeordnetes Hilfsmittel zur Veranschaulichung (Skizze/Bozzetti).

Menoush Modonpour „The Dance“ (Projekt von 4 Skulpturen), Ignorance, Wonder and The Dance (Quadriptych), Ignorance #3  59 x 46 x 49 cm, Ignorance #4, 68 x 48 x 48 cm, Wonder, 50 x 50 x 50 cm

Menoush Modonpour „The Dance“ (Projekt von 4 Skulpturen), Ignorance,
Wonder and The Dance (Quadriptych), Ignorance #3, 59 x 46 x 49 cm,
Ignorance #4, 68 x 48 x 48 cm, Wonder, 50 x 50 x 50 cm

In der Materialhierarchie ist das Material Keramik im unteren Bereich verortet. Dies hängt mit der leichten Verarbeitbarkeit dieses Stoffes zusammen. Damit einher geht eine fehlende Materialüberwindung (vor allem in der NS-Zeit negativ gesehen) und die hiermit verbundenen Zuschreibungen zur Kategorie der als weiblich geltenden Werkstoffe, da es sich dem Gestaltwillen leicht unterwirft.

Keramik ist der Oberbegriff aller tonartigen Materialien, wie z. B. Irdenware, Steinzeug, Porzellan oder auch Lehm. Die Werkstücke können einen getrockneten oder gebrannten Zustand aufweisen. Durch das Trocknen werden Kunstwerke aus Keramik etwas haltbarer und sind erst nach dem Brand stabil und nicht weiter verformbar, bzw. plastifizierbar. Je nach Wassergehalt und Tonart sind die Werke nach Trocknung und Brand durch Schwindung des Materials bis zu 14 % kleiner.

Keramische Materialien kommen natürlicherweise in verschiedenen Farben vor und sind zu den plastischen Werkstoffen zu zählen. So können Werke aus keramischen Materialien, je nach Bearbeitung, eine glatte und fast wie poliert wirkende Oberfläche aufweisen, ebenso scharfkantige Strukturen oder rissartige, durchbrochene Bereiche haben. Keramiken können in einem weiteren Arbeitsgang mit vielen verschiedenen Farb-Glasuren oder Effekt-Glasuren, (die noch gebrannt werden müssen), oder Lacken (die abtrocknen müssen) versehen werden. Diese Farbaufträge sind teilweise auch imstande andere Materialien vorzutäuschen.

Im folgenden werden vier KünstlerInnen von sculpture network vorgestellt, die ganz unterschiedlich mit keramischen Materialien arbeiten, dieses teilweise mit anderen Werkstoffen kombinieren und daraus spannende und interessante Werke erstellen.

Eva Oertli, „Kugeln“, D 70 bis 95 cm, 2010, Keramik, Copyright: Eva Oertli

Eva Oertli, „Kugeln“, D 70 bis 95 cm,
2010, Keramik, Copyright: Eva Oertli

Eva Oertli ist Bildhauerin und arbeitete anfänglich in Stein. Keramik war für sie zuerst nur Material zum Zweck, nützlich um kleine Skizzen herzustellen, Entwürfe zu fertigen und das Werk zunächst dreidimensional erstellen und dann in Stein umsetzen zu können. Allerdings begann sie das weiche Material immer stärker zu faszinieren. Durch seine Plastizität und die längere Formbarkeit in weichem Zustand konnte sie Entwürfe immer neu abändern, neue Ideen noch mit einbringen, die Form fortlaufend verändern und so bis zuletzt an die jeweilige Vorstellung anpassen. Hinzu kam eine spielerische Komponente des Materials, die es so zuvor im Arbeiten mit Stein nicht gegeben hatte. 

 

Den Arbeiten sieht man diesen verspielten Prozess bei der Bearbeitung oftmals noch an. Die Weichheit des Materials wird bei der Formgebung erhalten und trotz dem anschließenden Verfestigungsprozess bleibt die sprichwörtliche Plastizität des Materials im Werk sichtbar. Trotz der spielerischen Herangehensweise an die Werkerstellung sind die Arbeiten auskomponiert bevor es an das dauerhafte Verfestigen, das Brennen geht. Die Werke wirken ob ihrer Oberflächenstrukturen wie organische oder schwammartige Gebilde. Vor allem der hier gezeigten Arbeit Kugeln ist eine gewisse plastische Weichheit anzumerken, die ohne scharfe Kanten oder geometrische Regelmäßigkeiten dennoch eine Strukturiertheit aufweist. Auf die BetrachterInnen wirken die Kugeln wie gewachsene Strukturen. Durch die vielen kleinen Öffnungen in der Oberfläche entsteht zudem der Eindruck die Fruchtkörper könnten sich jederzeit selbst reproduzieren und sich netzartig immer weiter ausbreiten.

Menoush Modonpour ist Malerin und Bildhauerin. Schwerpunkt in ihren Werken sind die Beziehungen zwischen den Menschen, die Verbindungen zu seiner Umgebung und die innere Spiritualität bzw. das Geistige im umgebenden Universum. Ihre Arbeiten unterwerfen sich nicht den kulturellen Traditionen aus der die Künstlerin stammt, sondern verschieben Grenzen und brechen sie auf. Menoush Modonpour will mit ihren Werken auf die Verbundenheit und die Gleichheit aller Menschen trotz aller religiösen, kulturellen, geschlechtsspezifischen oder ethnischen Unterschiede hinweisen.

„The Dance“, 61 x 48 x 44 cm, 2019, Ton, Copyright: Menoush Modonpour

„The Dance“, 61 x 48 x 44 cm, 2019,
Ton, Copyright: Menoush Modonpour

Die mehrteilige Arbeit The Dance ist eine Hommage an den spirituellen Aufstieg durch den Geist und die Liebe. Ein Tanz der die Schöpfung ehren soll und symbolisch für Überwindung und Freiheit steht. Die Arbeiten der Künstlerin wirken beschwingt und frei - dynamisch und bewegt. Im dargestellten Tanz ist trotz seiner Abstraktion eine Hingabe an das Tänzerische und die Leichtigkeit der Bewegung zu erkennen, fast eine Art ekstatischer Tanz, bei welchem der Körper in eine rauschhafte, fast nicht mehr zu stoppende Bewegung gerät, während dadurch der Geist zur Ruhe kommt und in innere Einkehr und Versenkung zu gleiten vermag. So können die BetrachterInnen im Werk The Dance die Überwindung alles Negativen und die Entstehung von Harmonie und Ruhe entdecken.

Der Bildhauer Jonathan Mollner stellt in seinen Arbeiten das „Leben“ in den Mittelpunkt seines Schaffens. Für ihn wird die Formgebung vom Arbeitsprozess beeinflusst. Persönliche Emotionen und Eindrücke spiegeln sich unmittelbar als Ausdruck im weichen Material der Keramik wider, spontane und ungeplante Objekte entwickeln sich. Der Künstler arbeitet an den Strukturen des Lebens und am „Leben“ selbst; diese Strukturen der Materie sieht er als kugelförmige Gebilde, die Atome und Moleküle aus denen das Leben besteht. Diese Kugeln sind, wie im wirklichen Leben, miteinander vernetzt, stehen in Verbindung zueinander. Dennoch bilden diese Kugeln, trotz ihrer Kleinheit, die Basis für das ganze Universum. 

 Jonathan Mollner, „Evolution", 240 x 130 x 117 cm,  2019, glasierte Keramik, Eichenholz, Copyright: Jonathan Mollner

Jonathan Mollner, „Evolution", 
240 x 130 x 117 cm, 2019, glasierte Keramik,
Eichenholz, Copyright: Jonathan Mollner

Die Arbeiten von Jonathan Mollner, u. a.  die hier abgebildete Arbeit Evolution bilden mit ihrer Annäherung an den komplexen Aufbau des Lebens ein Abbild des ganzen Universums in seiner inneren Struktur ab. Die Arbeiten wirken, auch durch ihre grasgrüne Farbgebung, gewachsen und lebendig, eine organische, vielleicht pflanzliche Struktur, die aber in ihrer Abstraktion zum Einen wie etwas Fremdes und zum Anderen doch wieder wie etwas Bekanntes auf die BetrachterInnen wirkt. Verschiedene Einflüsse bestimmen bei den Skulpturen, wie auch im realen Leben, die Ausbreitung und Vernetzung organischer Strukturen, die jedesmal eine neue faszinierende Welt eröffnen.

 

 

Bei Bildhauer Thomas Welti steht neben einigen Stein- und Holzarbeiten das Material Keramik im Mittelpunkt. Für ihn ist es im Gestaltungsprozess ein wesentlicher Punkt, jederzeit Abänderungen oder Korrekturen bei der Formgebung durchführen zu können, was für ihn das Material Keramik als Idealstes für sein Arbeiten macht. Weiters fasziniert ihn die Natürlichkeit und Erdigkeit des keramischen Materials, das sich im feuchten Zustand geschmeidig präsentiert und dadurch immer wieder neu und phantasievoll geformt werden kann. In einem weiteren Schritt gestaltet der Künstler seine Arbeiten in Farbe weiter aus. Dazu benutzt Welti entweder farbige Glasuren, die aufgetragen und erneut gebrannt werden müssen, oder eine kalte Bemalung.

Das Hauptaugenmerk im Schaffen des Künstlers liegt auf dem weiblichen Körper. Die meisten Figuren von Welti wirken, trotz ihrer teilweise rubenshaften Ausarbeitung, schwerelos und leicht, tänzerisch bewegt und mit einer mädchenhaften Anmutung. Die Darstellungen der Körper in beinah übernatürlich gebogenen und hingegebenen Posen erinnern an Ballette oder Performance.

Thomas Welti, „Piercing“, 17 x 15 x 30 cm 2000, Mixed Media, Ton, Metall, Copyright: Thomas Welti
Thomas Welti, „Piercing“, 17 x 15 x 30 cm, 2000,
Mixed Media, Ton, Metall, Copyright: Thomas Welti

 

Das hier dargestellte Werk Piercing ist eine Mixed Media Arbeit. Welti kombiniert hier eine Vielzahl von dunklen Eisennägeln zur geschwungenen weißen Keramik. Die Kombination im Werk Piercing vereint einen starken Gegensatz von glatter, perfekter Oberfläche zur stark unruhig und aufgewühlt wirkenden Masse an dunklen und rauen Eisenelementen. Welti nimmt hier Bezug zur alten Tradition des Piercens von Körperteilen, das bereits eine lange Vergangenheit aufweist und in jüngerer Zeit wieder eine Renaissance erlebte. Das Abgrenzen zu Anderen wird im Tragen des Piercings sichtbar. Die spitzen Nägel „durchbohren“ den runden Keramikkörper wie ein abstraktes Piercing, der in seiner Mitte eine große Öffnung aufweist und einen Bauchnabel darstellt, und wirken in ihrer Vielzahl auf die BetrachterInnen symbolhaft wie ein organischer Strom, der durch die Öffnung hindurch bricht.

Allen hier vorgestellten Werken ist zu Eigen, dass sie alle Vorzüge des Materials Keramik für sich nutzen und der Werkstoff die Aussagen der Kunstwerke optimal unterstützt.

 

Mehr zu den Künstlern: 

Eva Oertli: http://www.evaoertli.ch

Menoush Modonpour: http://www.mehnoush.me

Jonathan Mollner: https://www.jonathan-mollner.com

Thomas Welti: https://welti-art.ch

 

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Autorin: Dr. Eva Daxl

Eva Daxl absolvierte ein Kunststudium mit plastischem Schwerpunkt. In ihrer PhD-Arbeit schrieb sie über das Thema keramische Materialien in der Kunstkritik. Sie ist daher mit dreidimensionalen Kunstwerken in Theorie und Praxis vertraut.

 

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