Blickachsen 12 – eine bemerkenswerte Skulpturen-Biennale im Rhein-Main-Gebiet
Die Skulpturen-Biennale Blickachsen 12 bietet internationalen KünstlerInnen eine bedeutende Ausstellungs-Plattform im Rhein-Main-Gebiet. Ein Interview mit Michael Zwingmann, Bildhauer, technischer Leiter der Blickachsen und künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU Braunschweig, gewährt einen Blick hinter die Kulissen dieser interessanten und beachtlichen Ausstellung.
Anne Thulin, Double Dribble IV, 2019, Textil, Vinyl,
6 Teile D je 180 cm, insgesamt Masse variabel,
Courtesy Stiftung Blickachsen gGmbH,
Bad Homburg
Der Titel Blickachsen zieht sich durch das biennal veranstaltete Ausstellungskonzept und ist mit einer fortlaufenden Nummer versehen, aktuell Blickachsen 12. Die mit Werken internationaler Skulptur- KünstlerInnen und vielversprechender Nachwuchstalenten bestückte Ausstellung findet an mehreren räumlich voneinander getrennten Standorten statt. Neben dem Kurpark in Bad Homburg werden bei jeder Ausstellung weitere öffentliche Orte für die oftmals raumgreifenden Skulpturen gesucht und bespielt. So ist das Gesamtkonzept stets einem Wandel unterworfen und bietet den BesucherInnen immer neue Entdeckungsmöglichkeiten. Bei den aktuellen Blickachsen sind 34 Kunstwerke an den zwei Standorten in Bad Homburg, 3 Kunstwerke in Bad Vilbel, 4 Werke in Eschborn, 6 in Frankfurt a. M., 9 in Kloster Eberbach und 4 in Kronberg im Taunus ausgestellt. Die weiteste Fahrtdauer zwischen den einzelnen Orten beträgt ungefähr eine Dreiviertelstunde.
Der Begriff „Blickachsen“ geht auf den in königlichen Diensten stehenden Gartenarchitekten Peter Josef Leneé, *1789 in Bonn und + 1866 in Potsdam, zurück, der 1856 u. a. den Kurpark in Bad Homburg gestaltete. Lenneé strukturierte den Park in der Tradition englischer Landschaftsgärten, die sich im 18. Jh. in England etablierten und auch in Deutschland nachgeahmt wurden. Bei dieser Art von Parkgestaltung wird ein „naturnaher“ Garten geformt. Ein wichtiges Merkmal dieser Gärten ist, den Blick des Betrachters zu vorgegebenen Punkten/Bauwerken, oder von Aussichtspunkten herab mittels freibleibender Bahnen zu lenken.
Im englischen Landschaftsgarten von Bad Homburg stößt man als BesucherIn daher immer wieder auf überraschende Einblicke oder Ausblicke. Dies wird durch die Platzierung der Kunstwerke verstärkt, die entweder selbst an ungewöhnlicher Stelle erscheinen oder geschickt den Blick auf andere Objekte lenken. Wie ein Geflecht ziehen sich die Verbindungen zwischen den Werken durch den jeweiligen Park und machen aufeinander aufmerksam. Voller Entdeckerfreude kann man als BesucherIn zwischen den Kunstwerken wandeln und selbstvergessen die Werke von wechselnden Standorten in immer neuen Ansichten erfahren.
Unser Gesprächspartner bei den Blickachsen 12 ist Michael Zwingmann. Er hat sich bereit erklärt als technischer Leiter der Blickachsen für uns ein Interview über die Hintergründe dieser erfolgreichen Skulpturen-Biennale zu geben. Für die umfangreichen Auskünfte und interessanten Einblicke bedanken wir uns herzlich bei ihm.
Michael Zwingmann, *1964 in Hannover, ist Bildhauer. Er studierte von 1985 bis 1993 Freie Kunst an der FH Hannover und ist seit 2007 künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Braunschweig, seit 1998 Mitglied der Darmstädter Sezession sowie Gründungsmitglied und Koordinator von sculpture network.
Wie lange sind Sie schon technischer Leiter der Blickachsen?
Seit den Blickachsen 10 im Jahr 2015, bei den Blickachsen 2, 3 und 9 habe ich als Bildhauer ausgestellt.
Gab es für die Ausstellung ein bestimmtes Thema oder ist der Titel Blickachsen12 eine Vorgabe an die KünstlerInnen?
Es gibt für die Ausstellung kein festgelegtes Thema. Dennoch nahmen einige TeilnehmerInnen diesen Titel zum Anlass sich mit dem Begriff „Blickachsen“ zu beschäftigen und Kunstwerke in Anlehnung daran anzufertigen. Dies lässt sich vor allem bei den Werken von Winter/Hoerbelt mit Donnerstags ist alles gut, bei Kaarina Kaikkonen mit There Must Be a Way Out of Here oder Giant Log von Arik Levy beobachten, was daran liegt, dass die genannten Arbeiten den Blick der BetrachterInnen lenken.
Die Beziehung eines Kunstwerkes mit dem Umraum ist aber auch bei den Werken von Katarina Löfström Open Source (16:9), oder bei 1-Dimensional Mirror Mobile von Jeppe Hein gegeben: Beide Arbeiten haben reflektierende SpiegelflächenDie Arbeit von Hein ist imstande auch weiter entfernte Bereiche des Gartens nah an die BetrachterInnen zu holen, Distanzen aufzuheben und durch ein Verschwimmen des Gezeigten die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen.Ganz andere „Blickachsen“ ergeben sich wenn man die Arbeiten von Katarina Löfström und Anne Thulin betrachtet. So besteht Double Dribble IV von Thulin aus zwei tomatenroten kugelähnlichen Objekten, die weit oben im Astbereich zweier Bäume verankert sind. Bei Löfström ist der schon angesprochene „Spiegel“, aus vielen Facetten zusammengesetzt, ebenfalls hoch oben angebracht. Dieser Umstand lenkt den Blick des Betrachters von üblichen Bahnen ab und lässt den dreidimensionalen Raum erfahrbarer werden.
Von wem wurden die Kunstwerke ausgewählt?
Bis auf die erste Blickachsen-Ausstellung hatte jede einen Kooperationspartner. Dies ist in der Regel ein renommiertes Museum, bei der diesjährigen Ausstellung das Museum Wanås Konst aus Schweden. Der Gründer der Blickachsen, Galerist Christian K. Scheffel, trifft in Zusammenarbeit mit dem Team des beteiligten Museums, hier Elisabeth Millqvist und Mattias Givell, eine Auswahl der KünstlerInnen und Werke. Der Kooperationspartner bekommt den größeren Part der Ausstellung. Da KünstlerInnen bei verschiedenen Museen ausgestellt werden, können Einzelne bei mehreren Blickachsen mit unterschiedlichen Werken zu sehen sein. So waren u. a. Jaume Plensa, David Nash, Markus Lüpertz, Erwin Wurm und Jeppe Hein öfter bei den Blickachsen vertreten.
Sind in der Ausstellung nur Skulpturen zu sehen oder auch skulpturale Installationen?
Bei der aktuellen Ausstellung sind neben Skulpturen auch installative Werke vertreten. Gerade diese Werke wurden erst vor Ort aufgebaut, so z. B. das Kunstwerk von Winter/Hoerbelt. Installationen sind stärker abhängig vom vorgegebenen Raum und seiner Beschaffenheit. So entfaltet die angesprochene Arbeit einen unterschiedlichen Ausdruck je nach Aufstellungsort.
Sind begehbare/benutzbare oder interaktive Werke darunter?
Das große Werk von Arik Levy im Kurpark wird gerne als „Selfiebühne“ genutzt und auch der sich drehende Spiegel von Jeppe Hein ist als ein interaktives Element aufzufassen. Donnerstags ist alles gut von Winter/Hoerbelt kann und soll von den BesucherInnen auch betreten werden.
Zur Aufstellung der Werke: Sind die KünstlerInnen in den Aufstellungsprozess eingebunden? Wie schwierig sind die Werke aufzustellen?
Die meisten KünstlerInnen sind vor Ort bei der Aufstellung der Werke mit dabei. Die Arbeiten von Kaarina Kaikkonen, Winter/Hoerbelt und Arik Levy waren am kompliziertesten aufzustellen. Das lag daran, dass das Werk von Winter/Hoerbelt eine sehr symmetrische Struktur aufweisen muss, um optimal zur Geltung zu kommen. Einzelne Teile wurden vor Ort zusammengefügt und miteinander verbunden, 7 Personen waren dafür etwa eine Woche beschäftigt.
Das raumgreifende Werk von Kaarina Kaikkonen wurde in vormontierten Einheiten mittels zweier Hubsteigern zu den Seiten hin verankert. Die Schwierigkeit bei der Aufstellung der Arbeit von Arik Levy bestand darin, dass die Edelstahloberfläche des Werkes auf Hochglanz poliert ist und daher mit Vorsicht zu behandeln ist. Zugleich weist das Werk ungefähr 9 Tonnen Gewicht auf und ist 13 Meter hoch. Zur Verankerung mussten mehrere Betonsockel in den Boden eingelassen werden.
Bad Homburg
Wie lange hat der gesamte Aufbau gedauert?
Der Aufbau der gesamten Ausstellung begann Ende März und hat ca. zwei Monate gedauert. Im Durchschnitt waren 8 Personen daran beteiligt.
Was passiert nach dem Abbau mit den Werken? Oder verbleiben Werke als Schenkung/Dauerleihgabe im Gelände der Blickachsen?
Alle Werke werden abgebaut sowie die Verankerungen und Sockel rückgebaut. Die meisten Skulpturen kommen an den ursprünglichen Standort zurück. Das Gelände muss für die neuen Kunstwerke der nächsten Blickachsen-Ausstellung frei sein. Ein Kunstwerk wurde im Laufe der Zeit von einem Privatmann angekauft und gestiftet, mit der Bitte, dass es an seinem Standort bleibt.
Wie finanzieren sich die Blickachsen?
Die Anzahl der Exponate und die damit verbundenen Kosten sind im Laufe der Jahre erheblich gestiegen. Daher ist es wichtig, dass die Ausstellung von verschiedensten SponsorInnen aus der Region und dem Land Hessen gefördert wird.
Bei jeder Blickachsen-Ausstellung wird im September vom Freundeskreis der Blickachsen der mit 5000€ dotierte Kunstpreis an eine/n der beteiligten KünstlerInnen vergeben. 2017, bei den Blickachsen 11, wurde Alicja Kwade mit Big Be-Hide von der hochkarätig besetzten Jury mit dem Förderpreis ausgezeichnet. Die Preisvergabe findet immer im September statt. Der mit 5.000 Euro dotierte „Kunstpreis der Freunde der Blickachsen“ wird am 13. September 2019, um 18 Uhr im Bad Homburger Kurpark an die Künstlerin Katarina Löfström verliehen. Die barrierefreie und rund um die Uhr geöffnete Ausstellung endet am 6. Oktober 2019 und ist nicht nur für Freunde dreidimensionaler Kunst sehr zu empfehlen. Besuchen Sie die Blickachsen 12 und finden Sie unter den vielfältigen Skulpturen und Installationen ihren persönlichen Favoriten.
Anschauen lohnt sich!
Autorin: Dr. Eva Daxl
Eva Daxl absolvierte ein Kunststudium mit plastischem Schwerpunkt. In ihrer PhD-Arbeit schrieb sie über das Thema keramische Materialien in der Kunstkritik. Sie ist daher mit dreidimensionalen Kunstwerken in Theorie und Praxis vertraut.
Titelbild: Courtesy Stiftung Blickachsen gGmbH, Bad Homburg,Winter Hoerbelt, Donnerstags ist alles gut, 2019, 900 Getränkekisten GDB Sonderfarbe, 440x400x1125 cm