Zurück in die Zukunft
In Katharina Andress Skulpturen trifft uraltes Handwerk auf Menschen der Zukunft. Fragen des Post- und Transhumanismus verdichtet die Künstlerin zu zeitlosen Figuren. Ein Gespräch über historisches Fassmalen, technoide Mode, Prothesen und Hasenleim.
Katharina, du hast im vergangenen Jahr bei der Diplomausstellung in der Akademie der Bildenden Künste deine Serien Andreonauten und Fashion for Astronauts gezeigt. In die Andreonauten habe ich mich sofort schockverliebt. Du arbeitest hier mit einer besonderen Art der Fassmalerei. Kannst du uns das kurz erklären?
Das ist eine historische Technik, die aus dem Rokoko kommt. Damals wollten die Bildhauer*innen ihre Figuren verfremden oder ein wertigeres Material vortäuschen. Ich wollte daraus etwas Technoides schaffen, eine fast schon kunststoffartige Oberfläche, ohne dass es Kunststoff sein sollte.
Wie genau funktioniert der Arbeitsprozess?
Die Fassung ist nicht besonders dick, etwa drei Millimeter. Das heißt, alles was man sieht, ist geschnitzt. Die Figur muss entsprechend vorbereitet sein – ich raspele und schleife sie, sodass keine Schnitzspuren mehr zu sehen sind. Dann setze ich einen Kreidegrund nach alten Rezepturen an und vermische Bologneser und Champagner Kreide mit einem Hasenleim-Wasser-Gemisch. Der Hasenleim ist ein historischer Leim aus Hasenhäuten und Hasenknochen. Mittlerweile gibt es moderne Alternativen, aber früher war das der übliche Leim. Das Ganze hat dann eine sahnige Konsistenz. Das ist ein bisschen trickreich, weil die Masse immer warm, aber nicht zu heiß und nicht zu kalt sein darf. Dann werden ungefähr 15 Schichten mit einem Pinsel aufgetragen. Dazwischen schleife ich immer mal wieder, damit es wirklich glatt wird. Ganz zum Schluss poliere ich die Figur mit einem Achat-Stein. Dadurch verdichtet sich die Oberfläche, dass es fast wie Porzellan oder Marmor wirkt.
Man glaubt im ersten Moment tatsächlich nicht, dass die Figur einfach aus Holz ist.
Ja, deswegen ist es mir wichtig, das Gesicht deutlich noch als Holz erkennbar zu lassen. Wenn die Figur komplett weiß wäre, würde man ganz schnell an Kunststoffguss denken.
Wie lang dauert der Prozess von der Idee bis zur Fertigstellung deiner großen Figuren?
Etwa zwei Monate für eine Figur, bei filigraneren Arbeiten aber auch länger. Die Entwurfsphase beginnt immer mit einem kleinen Modell. Das ist für mich eine Art Ideensuche, aber gleichzeitig auch eine eigenständige Arbeit. Daraus entsteht meistens eine Serie von ungefähr zehn kleinen Figuren. Im Anschluss suche ich mir fünf aus und vergrößere sie. Es dauert mehrere Wochen, sie zu schnitzen und zu fassen.
Die Wände deines Ateliers sind voll mit Zeichnungen und Fotos. Neben einem Cyborg hängt ein Bild eines Altars der Spätgotik. Wie in deinen Figuren treffen auch hier wieder traditionelle und futuristische Elemente aufeinander. Was reizt dich an dieser Kombination?
Inhaltlich verhandle ich ein Zukunftsthema. Gleichzeitig bediene ich mich eines sehr traditionellen Herstellungsprozesses. Für mich ist das weniger ein Widerspruch, sondern mehr ein spannungsvoller Kontrast. Natürlich wäre es konsequent zu sagen, man nutzt dann auch ganz innovative neue Techniken zur Herstellung und lässt die Figuren über 3D-Druck herstellen. Aber würde es dann tatsächlich noch diese Spannung haben? Das weiß ich nicht.
Der handwerkliche Aspekt gibt deinem Oeuvre eine besondere Erdung. Einerseits setzt du dich mit der Zukunft auseinander, blickst weit über den Tellerrand hinaus. Andererseits holst du diese Zukunft durch die Arbeit mit den Händen und mit Techniken, die es seit Jahrhunderten gibt, zurück ins Hier und Jetzt.
Man sieht den Figuren tatsächlich diese zeitliche Verdichtung an und dass da wirklich unglaublich viel Zeit drinsteckt. Auch durch die Verdichtung des Materials, durch jede Stelle, an die ich so akribisch hinarbeite. Das ist verdichtete Zeit. Das würde einer Skulptur oder Plastik aus dem 3D-Drucker fehlen.
Apropos Zeit. Wann hast du dich entschlossen, Bildhauerin zu werden?
Nach meinem Schulabschluss. Die Basis dazu wurde aber schon in meiner Kindheit gelegt. Mein Großvater war Kunsterzieher im Ruhestand. Zuhause hatte er eine große Werkstatt, dort hat er sich unheimlich viel mit mir beschäftigt. Ich hatte meine eigene Kinderwerkbank. Ich wollte eigentlich immer nur dort sein. So habe ich früh mit Ton, Holz und allen möglichen anderen Materialien experimentiert.
Du hast dich in Garmisch-Partenkirchen zur Bildhauerin ausbilden lassen, eines der Zentren des Holzbildhauerhandwerks.
Ich habe mich dort für eine modernere Schule entschieden. Im süddeutschen Raum gibt es einige traditionsreiche Schulen, mir war es aber wichtig, nicht nur das alte Herrgottsschnitzer-Handwerk zu lernen. Wir haben viel Akt und Portrait modelliert und nach eigenen Entwürfen gearbeitet. Dort habe ich im Grunde schon die Techniken gelernt, die jetzt meine wichtigsten Ausdrucksformen sind.
Danach bist du an die Akademie in München gegangen, was hast du da gelernt?
Zu Beginn meines Studiums habe ich viel Zeit mit Kunsttheorie verbracht. Das Thema Post- und Transhumanismus war sehr virulent, ist es ja auch nach wie vor. Erstmals habe ich dann auch Keramik ausprobiert, zwei Semester, aber bin dann zurück zum Holz gekommen und habe mir die Technik des Fassmalens angeeignet.
Bist du schon einmal so richtig gescheitert?
Klar. Mein Ausflug in die Keramik war wirklich fies. Ich habe diesen Weg damals total enthusiastisch eingeschlagen, wollte die Figuren aus Porzellan herstellen. Dann habe ich gemerkt, dass ich an meine Grenzen komme, dass es mir an Zeit fehlt und dass ich mich selbst überschätzt habe. Ich dachte, wenn ich schon Holz beherrsche, kann ich doch auch einfach zu Keramik überwechseln, aber das war wirklich ein totaler Irrsinn. Da habe ich mehrere Wochen und Monate gekämpft. Ich bin grandios gescheitert.
Wie gehst du mit solchen Momenten des Scheiterns um?
Im Scheitern gibt es aber für mich oft eine Rückbesinnung. So bin ich damals wieder zurück zum Holz und zur Fassmalerei gekommen, worauf ich wieder aufbauen konnte. Das hat mich dann zurück zu einem guten Selbstvertrauen geführt.
Welche Arbeiten können wir künftig von dir erwarten?
Seit Beginn der Pandemie hat sich mein Thema etwas weiter und in eine neue Richtung entwickelt. Ich beschäftige mich mit Schutzkleidung und Maskierung. Das ist ja im Moment omnipräsent. Dazu stelle ich mir viele Fragen. Wie entwickeln wir uns in Zukunft als Menschen weiter? Welche technischen Implantate und Körpererweiterungen werden wir in Zukunft haben? Welche Schutzkleidung wird unser Gewand ersetzen? Es gibt dazu viel in der Mode zu finden, besonders bei der französischen Firma Moncler, deren Daunenkreationen gleichzeitig humorvoll und sakral wirken. Aber auch Prothesen und technische Körpererweiterungen spielen mit rein. Hier ist die koreanische Bildhauerin Lee Bul mit ihren Cyborgs eine Inspirationsquelle.
In den sculpture network Newslettern machen wir dieses Jahr eine virtuelle Reise durch Europa. Gibt es einen Lieblings-Skulpturenort in Deutschland, den du den Leser*innen empfehlen möchtest?
Letztes Jahr habe ich mir einen kleinen Traum erfüllt und eine Reise durchs Taubertal gemacht. Dort habe mir die Schnitz-Altäre von Tilman Riemenschneider angeschaut. Er ist ein Holzbildhauer aus der Spätgotik. Anfang des 16. Jahrhunderts hat er angefangen, an den Altären zu arbeiten. Riemenschneider hatte in Würzburg seine Werkstatt und viel in der Gegend gearbeitet. Das Taubertal ist landschaftlich wunderschön und es gibt einige kleine und größere Kirchen, in denen man seine Altäre findet. Die fand ich so fantastisch!
Autorin: Elisabeth Pilhofer
Elisabeth Pilhofer ist freischaffende Redakteurin und Kulturmanagerin in München. Für das Interview besuchte sie Katharina an einem noch sehr kühlen Maitag in ihrem Atelier in Dießen und sprang im Anschluss für wenige Minuten in den eiskalten Ammersee.