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So vergnügt, wie es geht

Christiane Möbus‘ erste Arbeiten stammen aus einer Zeit, in der Galerien meinten mit einer einzigen Künstlerin im Programm ihre Frauenquote erfüllt zu haben. Dass ihre Werke keinesfalls an Aktualität verloren haben, zeigte diesen Sommer die eindrückliche Retrospektive Seitwärts über den Nordpol in Hannover. Mit uns sprach Christiane Möbus über Ideen, die sich über Jahre entwickeln, über den Faktor Glück, und darüber, wie man an eine Giraffe kommt.

Frau Möbus, zu Ihrem 75sten Geburtstag zeigten dieses Jahr sowohl das Sprengel Museum als auch der Kunstverein Hannover Ihre Werke. Wenn wir zurück an den Anfang blicken: Wo liegen Ihre künstlerischen Wurzeln?

Ich denke, das fängt in der Kindheit an. Mit den Möglichkeiten und auch mit den Nicht-Möglichkeiten, die man in dieser Zeit hat. Vor allen Dingen Wege zu finden, sich mit etwas zu beschäftigen, die Welt zu beobachten und dann auch Schlüsse daraus zu ziehen ... Später habe ich mich sehr für Architektur interessiert, wollte schlicht und einfach Häuser bauen und hatte mir natürlich Träume zurechtgelegt. Ich wollte zu Gropius, zur Harvard University! Man sucht sich ja immer die großen Vorbilder aus. Dann starb er aber und ich dachte: Zu wem geh ich jetzt?

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Christiane Möbus, Installationsansicht Kunstverein Hannover (2022); © Christiane Möbus/VG Bild-Kunst Bonn 2022. Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf

 

Zu wem sind Sie gegangen?

Meine zweite Wahl wäre Le Corbusier gewesen, aber er war schon vor Gropius verstorben. Also habe ich mich in Braunschweig um einen Studienplatz beworben und sowohl die Aufnahmeprüfung für Architektur an der Technischen Universität als auch für Bildende Kunst an der Kunsthochschule gemacht – und beide bestanden. Das war natürlich eine kleine Katastrophe: Was mache ich denn nun? Ich entschied mich wegen der schlechten finanziellen Situation meiner Eltern für das kürzere Studium. So kam ich zur Kunst. Obwohl das gar nicht mein Ziel war.

Wie ging es nach dem Studium weiter?

Die Art wie ich gearbeitet habe und die daraus entstandenen Werke waren auf dem damaligen Kunstmarkt nicht so einfach zu verkaufen, sodass auch für mich klar war, dass ich davon nicht leben könnte. Deswegen habe ich hauptberuflich am Gymnasium gearbeitet und später  das große Glück gehabt, dass ich an einer Hochschule unterrichten konnte. Hier hatte ich mehr zeitliche Freiheiten für meine künstlerische Arbeit. 

Warum war es nicht so einfach, was waren denn konkrete Schwierigkeiten?

Als ich gerade mit der Hochschule fertig war, habe ich mich zum Beispiel beim Künstlerbund beworben, mit Das unnötige Verlöbnis der Frau Holle mit dem Schamanen – oder – a new life. Das war eine Performance im öffentlichen Raum, damals ohne Einladung von Publikum. Die zufällig anwesenden Zuschauer waren natürlich völlig unvorbereitet, aber es war für mich auch ein Vergnügen. Die Fotos und die Flügel dieser Performance habe ich dann für die Künstlerbund-Ausstellung eingereicht. Nachdem meine Arbeit abgelehnt worden war, traf ich ein Jurymitglied und habe nach einer Begründung gefragt. Die Antwort war: „Wir wussten ja nicht, was wir damit machen sollten!“ Können Sie sich das vorstellen?

Ein andermal habe ich meine Arbeiten bei einer Galerie vorgestellt. Sie haben zu mir gesagt: Wir haben schon eine Frau im Programm. Also mit solchen Dingen musste man leben. Oder: In der Hochschule in Braunschweig wollte ich mir mal Equipment für einen Film ausleihen. Ich wurde ins Kolloquium gebeten, um mein Projekt vorzustellen. Um den großen Tisch herum saßen lauter Studenten (nur Männer) so in meinem Alter und der Professor für Film sagte dann zu mir, wörtlich, sowas merkt man sich ja, ist ja auch ein Hammer-Satz: „Wieso willst du als Frau einen Film machen?“ Das war es.

Das ist wirklich bitter.

Das ist bitter, aber ich habe mich nicht weiter davon beeinflussen lassen. Und diesen Film kann ich auch heute noch machen. Der ist immer noch aktuell.

Was passiert denn mit solchen unrealisierten Projekten, die Sie so lange mit sich herumtragen?

Ich mache mir Notizen davon, zeichnerisch und mit Materialangaben. Oft ist das auch mit dem Titel verbunden. Der darf nicht verloren gehen. Er ist oft wie ein zündender Funke, der im nächsten Moment schon wieder vergessen sein könnte. Aber die Notizen in Büchern oder auf einzelnen Blättern finde ich schon wieder. So habe ich kein Problem, für die Zukunft zu planen. Das ist das Beruhigende.

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Christiane Möbus, Hurrikan Harvey, 2022 (Konzeption 1992), Installationsansicht Kunstverein Hannover (2022); © Christiane Möbus/VG Bild-Kunst Bonn 2022. Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf

 

Bei der Installation Hurrikan Harvey, die dieses Jahr erstmalig im Kunstverein verwirklicht wurde, hatten Sie die Idee bereits 1992 – also vor 30 Jahren.

Naja, zu dieser Arbeit gehören Räumlichkeiten von besonderen Dimensionen und unter konservatorisch unkomplizierten Bedingungen. Es gab die Möglichkeit, die Arbeit in einem Museum mit einem sehr hohen Raum umzusetzen, aber die Leiterin ging nach Rom und dann wurde das nichts. So habe ich mich um die Beschaffung des Materials erst mal gar nicht gekümmert. Aber solche außergewöhnlichen Naturereignisse auf der Welt verbunden mit unseren verschiedenen Klimaexzessen – das sind Themen, die mich immer stark beschäftigen und nie losgelassen haben.

In Hannover konnte die Arbeit dann umgesetzt werden?

Ja, die Räume im Kunstverein sind hoch genug. Es war aber dann nicht so einfach diese besonderen zweiflügligen Scheunentüren und Austritte zu finden. Irgendwo bestellen geht nicht, das ist unmöglich. Und dann, das gehört zu meiner Arbeit auch dazu, dann habe ich großes Glück gehabt.

Sie haben das Material bekommen?

An einer großen, alten Scheune, die Bekannten von mir gehörte und die für zeitgemäße Nutzung verändert werden musste, fand ich die gesuchten Türen mitsamt Austritten. Das kam wie gerufen! Sonst hätte ich die Arbeit noch nicht machen können.

Vielleicht sollte es aber auch so sein – das Thema Klimawandel ist ja heute fast noch aktueller, als es 1992 gewesen wäre.

Sehen Sie. Und wissen Sie, was mir dann an meinen Arbeiten gefällt? Dass sie noch so frisch sind, wie sie waren, als ich sie mir ausgedacht habe. Dass sie noch so viel zu sagen haben, oder vielleicht sogar noch mehr vermitteln können als am Anfang der Idee. Dass sich die Aussagekraft zum Teil auch verstärkt, der Inhalt wichtiger, oder sogar noch aktueller wird. So hatte ich nach dreißig Jahren zufällig die Chance, diese gewaltige Arbeit doch noch zu zeigen.

Christiane Möbus, Küsse vom König, 2001/2007, präparierte Giraffe, Metallpodest, Drahtseile, 580 x 315 x 250 cm; © Christiane Möbus/VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Herling/Herling/Werner, Sprengel Museum Hannover
Christiane Möbus, Küsse vom König,
2001/2007, präparierte Giraffe, Metallpodest,
Drahtseile, 580 x 315 x 250 cm;
© Christiane Möbus/VG Bild-Kunst, Bonn
2022, Foto: Herling/Herling/
Werner, Sprengel Museum Hannover

Und wie sind Sie für die Arbeit Küsse vom König an eine Giraffe gekommen?

 

Ich habe im Laufe der Zeit mit verschiedenen Präparatoren zusammengearbeitet. Einen, den ich besonders schätze und der auch für naturhistorische Museen gearbeitet hat, habe ich gefragt, ob er die Möglichkeit sieht, für mich eine Giraffe zu präparieren. Er hat mir die Situation geschildert in der diese Tiere in Afrika leben und wie ihre natürlichen Lebensumstände sind. Nur in sehr seltenen Fällen, wenn die Population zu groß wird und ihre Überlebenschancen durch Nahrungsmangel zu gering werden, kann ein einzelnes Tier entnommen werden. Und dann habe ich einige Jahre gewartet, bis es soweit war. Für diese Dinge braucht man viel Geduld. Bei den Eisbären für die Arbeit tödlich, habe ich damals in Zoos nachgefragt, aber aus einem Zoo darf kein verendetes Tier verkauft werden. Da gibt es Schutzmechanismen. Es gibt immer Trophäensammler für die Afrika oder die Arktis ein Ziel ist und die Tiere jagen und erlegen. Geht man den offiziellen, legalen Weg mit den behördlichen Genehmigungen, dauert es, aber illegale Wege sind für mich kein Weg. Ich würde ja auch nicht beim Nachbarn klauen gehen. 

Aber der Nachbar hat ja auch keine Giraffe. Das heißt, die Gefahr ist nicht so groß.

Nein, aber der hätte vielleicht etwas, was ich brauchen könnte!

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Ich habe bei Ihrer Arbeit Schneewittchen entdeckt, dass es in den dunklen Scheiben sieben kleine Flecken oder Löcher gibt. Können Sie mir darüber mehr verraten?

Naja, also wenn man jetzt ganz praktisch gesehen im Fahrerhaus säße und das Objekt wird geschoben, müsste man ja irgendwie sehen können, wo es lang geht. Das haben Sie aber gut beobachtet!

Sie können mir nicht sagen, dass das zufällig ist, dass es genau sieben Löcher sind – bei Schneewittchen!

Sie haben sieben gezählt? Da kann man ja etwas draus machen! Die sieben Zwerge! Die haben an der Scheibe gekratzt! Nein, aber das ist dann manchmal so. Dann kommt es genau so. Das ist ja ein Ding! Also Sie sind die Entdeckerin von den sieben Zwergen in dem Schneewittchen. Ach, das gefällt mir ja.

Ich hoffe sehr, dass ich mich nicht verzählt habe.

Naja, wenn‘s zu viele sind, müssen wir eins streichen!

Letzte Frage: Welche Rolle spielt Kunst heute für Sie?

Das ist mein Leben. Die Ideenfülle, die ich habe – mir fällt dauernd etwas ein, es gibt nie Leerlauf, das hat etwas sehr Positives. Natürlich bringt die Kunst auch Schwierigkeiten mit sich. Aber ich mach‘s mir so vergnügt, wie es geht!

Christiane Möbus im KV H kurz vor Pressegespräch.jpeg

 

Autorin: Elisabeth Pilhofer

Elisabeth Pilhofer ist freischaffende Redakteurin und Kulturmanagerin in München. 2012 war sie zufällig bei einem Besuch in Magdeburg in einer Einzelausstellung von Christiane Möbus – und begeistert von ihren Arbeiten. Zehn Jahre später telefonierte sie für uns mit der Künstlerin, um dieses Interview zu schreiben.

Veröffentlicht: September 2022

Titelbild: Christiane Möbus, der Kuckuck: vom Werden und vom Vergehen, 2016, Gänsefedern, Cellan, zwei Tafeln (C-Print auf Pappwabenplatte kaschiert), Installationsansicht Kunstverein Hannover (2022); © Christiane Möbus/VG Bild-Kunst Bonn 2022. Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf

Über den Autor/ die Autorin

Elisabeth Pilhofer

Elisabeth Pilhofer ist freischaffende Redakteurin und Kulturmanagerin in München.

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