Ideen online austauschen: Bericht über The Online Club
Für die 6. Ausgabe des Online Club präsentierten zwei sculpture network Mitglieder Gemeinschaftsprojekte, die sich um Naturkunst und unkonventionelle Herangehensweisen an Zeit, Landschaft und Verbundensein drehen.
Als Reaktion auf die Einschränkungen während des Covid-Lockdowns rief sculpture network den Online Club ins Leben. Dieser erlaubte es Teilnehmenden auf der ganzen Welt sich zu treffen, Ideen auszutauschen und sich ihre Begeisterung für Kunst gegenseitig zu vermitteln.
Naturkunst: Schichten von Landschaften und Zeit
Patricia McKenna, eine Multimedia- und Installationskünstlerin aus Irland, stellte Projekte des Karum-Creevagh Experimental Heritage Collective vor, einer Gruppe von Archäolog*innen und Künstler*innen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, interdisziplinäre und interlokale Verfahren von Experimental Heritage (d.h. experimentelles Kulturerbe) in einem schwedisch-irischen Kontext zu etablieren. Da sich die Mitglieder für Archäologie, Kulturerbe und Themen rund um die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft interessieren, entwickeln sie einen interkulturellen und interdisziplinären Austausch.
Interessanterweise ähneln sich die Landschaftsbilder des Burren (Irland) und der Insel Öland (Schweden) in vielen Merkmalen – Karstlandschaft und Grundwasser –, aber gleichzeitig bleiben sie höchst unterschiedlich. Mit Hilfe kombinierter künstlerischer und archäologischer Verfahren erforscht das Kollektiv Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Landschaften.
Interdisziplinärer Austausch
Ausgangspunkte für ihre Erforschungen und Experimente sind Stein und Wasser, Bewegung und Zeit, sowie materielle und immaterielle Aspekte der Landschaftserfahrung. Demzufolge wird eine phänomenologische Landschaftsperspektive mit Verfahren, die auf Bewegung beruhen, kombiniert. Ihre Methoden werden mit anderen künstlerischen und archäologischen Ausdrücken gepaart, z.B. Gedichte, Musik, Performance, bildende Kunst, Prospektion, Kartographieren und Ausgrabungen.
Die Stärke des Experimental Heritage Collective liegt in seiner Diversität und seinen unkonventionellen Herangehensweisen an die natürliche Umgebung. Während die schwedische Gruppe aus Künstler*innen, Archäolog*innen und einer Umweltberaterin besteht, umfasst die irische drei Archäologen, die an Landschaft aus verschiedenen Perspektiven interessiert sind, und fünf Künstler*innen mit einer Reihe von kreativen Disziplinen, u.a. zeitgenössischem Tanz und somatische Bewegungsverfahren, bildende Kunst, Dichtung, Grafikdesign, Fotografie und Kuratieren.
Landschaft intensiv wahrnehmen: Deep Listening
Wie können Archäolog*innen und Künstler*innen – also Expert*innen aus unterschiedlichen Disziplinen – zusammenarbeiten? Die Antwort liegt in der Methode des Deep Listening. Um mit Kulturerbe zu experimentieren, hat die Gruppe die Arenen der konventionellen Kunst und archäologischen Forschung, der Kommunikation und Präsentationen verlassen. Die Zwänge der Konvention werden bewusst ersetzt durch alternative Settings in der Landschaft. Die Projektarbeit umfasst ebenfalls Kooperationen mit Menschen aus den örtlichen Gemeinden. So tragen Letztere schlussendlich zu den Erforschungen mit ihren Perspektiven, Erfahrungen und Geschichten bei.
Die immateriellen Aspekte der Landschaft werden in Form einer Vorführung transportiert – durch Skulpturen, Tanz, Lesungen und Musik. Die Kollektive hat bereits Ausstellungen in Schweden und Irland mit großen Projektionen, kurzen Musikvideos, Fotografien und Gedichten organisiert. Vor der Pandemie besuchten sie jedes Land zweimal pro Jahr: Schweden im Herbst und Irland im Frühling. Seit 2020 ist die Kollektive online gegangen und hat die Gemeinschaft digital weiterentwickelt. Alle warten sehnlich auf den Augenblick, physische Interaktionen wieder fortzusetzen.
Ideen online austauschen
Karin van der Molen aus den Niederlanden hat sich immer stärker auf die umwelt- und ortsspezifische Kunst konzentriert. Ihre Verfahren drehen sich um die menschliche Beziehung zur Natur, was in den natürlichen Materialien zu sehen ist, die sie für ihre Arbeit auswählt. Ihr kreativer Prozess beinhaltet extensive Forschung und sensorische Erforschungen von Orten, an denen ihre Kunstwerke entstehen. Viele Jahre lang hat sie an Skulptur-Symposien auf der ganzen Welt teilgenommen, auf denen sie andere Bildhauer*innen kennengelernt hat, die eine Leidenschaft für Naturkunst hegen. Seit 2020 befinden sich Künstler*innen jedoch in einer besonders schwierigen Situation, da so viele Ausstellungen und Kooperationen abgesagt oder verschoben werden.
Austausch in der Gruppe: die crit group
Um bereits etablierte Beziehungen mit anderen gleichgesinnten Künstler*innen zu pflegen, gründete Karin eine wöchentlich stattfindende crit group mit dem Ziel, sich in diesen so ungewöhnlichen Zeiten gegenseitig zu unterstützen. Als erstes zeigten die Teilnehmenden kurze Videos, um zu zeigen, woran sie gerade arbeiteten. Da es kein Bedürfnis gab, ein fertiges Produkt zu haben, und es keine wirklichen Ausstellungstermine gab, hatten die Künstler*innen genug Zeit, zu experimentieren und ihren Kolleg*innen ihre Vorhaben zu zeigen. Doch wurde das gegenseitige Zeigen von Videos schnell zu einem Austausch von Ideen, Konzepten und Inspirationen.
Für Menschen, die an den sozialen Aspekten von Kunst interessiert sind, ist es zentral, den weiteren Kontext und die Frage, wie Kunstwerke bei anderen Menschen einen Nachhall finden, zu diskutieren. Die Gruppe hat daher verschiedene Texte als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen verwendet. Obwohl die Teilnehmenden rein körperlich gesehen auf verschiedene Orte beschränkt sind (die Gruppe ist wirklich international), haben sie es geschafft, sich in dieser ungewöhnlichen Zeit gegenseitig zu unterstützen. Nach zahlreichen Treffen erschuf Karin Wireless, eine 18 Minuten lange Dokumentation über ihre Kooperation mit sechs internationalen Umweltkünstler*innen während der Covid-Pandemie. Das Video ist hochgradig inspirierend und gibt eine intime Einsicht in den laufenden Lernprozess und in die anregenden Gespräche.
Schon über ein Jahr seit der Gründung der Gruppe trifft sie sich regelmäßig. Seit Kurzem diskutiert die Gruppe das Buch „Staying with the Trouble (Experimental Futures)“ von Donna Haraway, einer artenübergreifenden, feministischen Theoretikerin und einer der wagemutigsten und originellsten Denkerinnen unserer Zeit. Das Buch bietet provokative Wege an, unsere Beziehungen zur Erde und all ihren Bewohnern innerhalb des Kontexts der herausfordernden Realität des 21. Jahrhunderts neu zu denken. Die Gruppe nutzt es als Ausgangspunkt zur Studie von Verbindungen mit der Natur und zum Überdenken neuer Narrative für unser ernsthaft in Not geratenes Ökosystem.
Unschätzbare Interaktionen
Während das Experimental Heritage Collective Brücken zwischen den Methoden von Archäolog*innen und Künstler*innen gebaut hat, hat die Unterstützungsgruppe, die Karin van der Molen gegründet hat, die Beziehungen zwischen Künstler*innen gepflegt, deren nomadisches Dasein abrupt durch die Covid-Pandemie unterbrochen wurde.
Diese beiden Initiativen zeigen deutlich, wie positiv unkonventionelle und direkte Interaktionen sind. Während die Pandemie uns in unserem Alltag vor zahlreiche Probleme stellt, ist es unverzichtbar für sowohl die persönliche als auch für die professionelle Entwicklung, in Kontakt zu bleiben. Um Frucht bringende Zusammenarbeiten und Austausche zu unterstützen, fördert sculpture network Interaktionen und begrüßt weitere Ideen zu Diskussionen, die sich um dreidimensionale Kunst drehen.
karinvandermolen.nl
Film: Karin van der Molen, Wireless, 2021, 18.20 min.
www.youtube.com/watch?v=MIdDYbvJ5mI
Patricia McKenna: http://patriciamckenna.ie/
emperimentalheritage.com
Films:
Experimental Heritage Collective - Moving the Ship, Konzept: Bodil Petersson von Hans Gurstard-Nilsson mit Bodil Petersson and Maria Kerin, 2019, 6 min.
https://play.lnu.se/media/t/0_cpxu3dbk
About Experimental Heritage Collective, 23 min. https://youtu.be/VEgRXkjYEnE
Experimental Heritage Collective, Dowsing for Eels, Maria Kerins, Danny Burke, The Burren Co Clare, Ireland 9.42 min. https://play.lnu.se/media/t/0_dzhe5spr
Autor: Marek Wolynski (Polen, lebt und arbeitet in London, UK) kuratiert, leitet immersive Kunstprojekte und schreibt Kritiken für internationale Kunstmagazine wie Contemporary Lynx und Studio International.
Titelbild: Experimental Heritage - Moving the Ship von Hans Gurstard - Nilsson mit Bodil Petersson und Maria Kerin