Magazin

Aufstrebende italienische Skulptur in Mailand

Die vierte Ausgabe der Milano Scultura, der einzigen und ersten italienischen Messe für dreidimensionale Kunst unter der Leitung von Ilaria Centola und kuratiert von Valerio Dehò, ist gerade zu Ende gegangen. Die Messe fand vom Freitag, den 26. bis Sonntag, den 28. Oktober auf der Fabbrica del Vapore in Mailand statt. Wir waren dabei und berichten, wie angekündigt, über unsere Erfahrungen vor Ort!

Milano Scultura ist wahrscheinlich die erste europäische Messe, die sich ganz der plastischen Kunst widmet. Sie ging auch der 2017 gegründeten spanischen Messe Sculto voraus, die seit ihrer Gründung auf die Medienpartnerschaft mit sculpture network setzt.

Bei der Milano Scultura stießen wir auf spannende Phänomene, die wir mit unseren europäischen und internationalen LeserInnen teilen möchten. Gleich zu Anfang fiel uns auf, dass die Messe ein sehr ausgewähltes Publikum anzieht (eine ideale Voraussetzung, um tief in die Dynamik der italienischen Skulptur einzutauchen), aber gleichzeitig auch einen konstanten und großzügigen Besucherfluss. Letzteres ist ein bemerkenswertes Ergebnis für eine Nischenmesse wie die Milano Scultura.
Wir haben die Künstler und Galerien, die in der Fabbrica del Vapore ausgestellt sind, eingehend und mit Aufmerksamkeit beobachtet und mit vielen Menschen gesprochen, darunter einfache Enthusiasten und Fachleute wie GaleristInnen, KuratorInnen und KünstlerInnen.

sn_NL 1811_ Mailand 2nd floor 2.JPG
Blick in die Messehalle

Die Mailänder Messe fand in einem Kulturviertel statt, das aus der Sanierung des Komplexes der so genannten Fabbrica del Vapore (italienisch für Dampffabrik) und der angrenzenden Bereiche stammt. Tatsächlich befinden sich die Ausstellungsräume in der Hauptfabrik dieses alten Industriekomplexes, nur wenige Schritte von den Büros des Studio Azzurro entfernt, einem bekannten italienischen Kollektiv, das auf Videokunst und Multimedia spezialisiert ist. Wir fanden es schade, dass bei der diesjährigen Ausgabe der Messe diese auf der Hand liegende Verbindung zwischen Künstlerkollektiv und Ausstellung nicht genutzt wurde. Vielleicht ja eine Anregung für die kommenden Jahre?
Der Ort ist suggestiv, aber für die dreidimensionale Kunst fast etwas beengend. Um die Werke zu umrunden und Arbeiten von offensichtlicher räumlicher Relevanz korrekt lesen zu können, sind größere Umgebungen erforderlich. Dreidimensionale Kunst braucht Raum, vor allem im Rahmen einer Ausstellung, die darauf abzielt, Barrieren zwischen Galerien und BetrachterInnen zu beseitigen und einen flüssigen visuellen Prozess von einem Werk zum anderen zu etablieren.

sn_NL 1811_2nd floor 3.JPG
Blick in die Messehalle

Im Erdgeschoss der Ausstellung haben wir uns sofort mit dem Künstler Antoh Mansueto und seinem Galeristen Guido Cozzolino angefreundet. Die beiden machten die BesucherInnen geschickt auf die an den Wänden hängenden Basreliefs aufmerksam – dank der lauten Auftritte von Mansueto, der sich zyklisch mit der Zerstörung der temporären Kunststoffkonstruktionen beschäftigte, zu deren Bau die Öffentlichkeit selbst aus recyceltem Holz eingeladen wurde.
Wir hatten das Vergnügen, die Arbeit von Studio C&C kennen und schätzen zu lernen und mit Mariagrazia Abbaldo, einem Mitglied des Studios, ein interessantes Gespräch über die wachsende Sensibilität für den Bereich der dreidimensionalen Kunst in Italien zu führen. Der Raum des Studios C&C war einer der erfolgreichsten der Messe, dank einer gelungenen Mischung aus subtiler Reflexion über die Themen Erinnerung und Natur und einer figurativen Forschung, die auf soliden Grundlagen der künstlerischen und technologischen Forschung basiert. Der Wind und der Berg lautete der Titel des Projekts und bildete zusammen mit der Installation Mobile von Lisa Borgiani (Umweltinstallation aus farbigen, dynamisch an die Umgebung angepassten Netzen) und dem von Virgilio Patarini von der Vi.P. Galerie Crossing time, crossing space, crossing arts kuratierten Projekt die Limited Serie dieser Ausstellung.

Virgilio Patarini, ein alter Hase bei der Milano Scultura, hat gerade ein privates Forschungszentrum für bildende Kunst in seinem ehemaligen Atelier im Herzen von Valcamonica (einem der größten Täler der mittelitalienischen Alpen) eröffnet. Mit Patarini sprachen wir lange über das Potenzial von Valcamonica im Bereich der Skulptur, aber wir fanden auch Zeit, uns in die komplexen Installationen von Giuseppe Orsenigo zu verlieben, die vor allem der Figur des mythischen Wissenschaftlers serbischer Herkunft gewidmet sind: Nikola Tesla.

Das Erdgeschoss wurde auch von anderen Projekten der Limited Serie genutzt. Dazu gehörten Oriella Montin (deren Vertonung das Thema Erinnerung und Familie zum Thema hatte, obwohl sie unter einer ungeeigneten Umgebung für die besetzten Räume litt), Sonia Scaccabarozzi (mit einer raffinierten Metallinstallation, die überraschend durch den Wind aktiviert werden musste) und andere Werke von Gabriello Anselmi. Weitere KünstlerInnen, die uns dort begegneten waren Albertini (Bronzetänzerinnen), Alessandra Aita (die an einem Projekt zur Definition der menschlichen Form und ihrer Reflexion durch Skulpturen aus Astbündeln beteiligt war), Daniela Barzaghi, der Keramiker Jörg Baumöller und Marillina Fortuna (mit einem unvergesslichen Werk zwischen Basrelief und Performance, dessen Produktion die meiste Zeit der Eröffnung andauerte).
Baumöller, ein Keramiker deutscher Herkunft, der seit mehreren Jahren in Barcelona tätig ist, erzielte bereits am Ende des zweiten Tages den Umsatzrekord mit mehr als zehn verkauften Werken.

sn_NL 1811_klein Lisa Borgiani und Ihr Werk.png
Lisa Borgiani und ihre Installation

Ein interessantes Detail: Seine Käufer waren alle Deutsche oder in Deutschland lebende Italiener. Diese Tatsache könnte Galeristen dazu anregen, über die Möglichkeit nachzudenken, sich im Ausland zu öffnen und dieser Art von Initiative eine internationale Ausrichtung zu geben.
Im Obergeschoss der Fabrik befanden sich die meisten Galerien: Artantide aus Verona präsentierte die Pop-Werke des Künstlers Marco Bertin, der sich mit der Beziehung zwischen Ost und West beschäftigt; an diesem Stand hatten wir das Vergnügen, mit dem künstlerischen Leiter Sandro Orlandi zu sprechen. 

Viele positive Rückmeldungen erhielt Die Mauer, eine Galerie aus Prato, derselben Stadt, die in der Welt der LiebhaberInnen zeitgenössischer Kunst für das Centro Pecci bekannt ist. Prato ist nur 30 km von Florenz entfernt, ein Besuch der Hauptstadt der Reanaissance lohnt sich also doppelt! Die gezeigten Arbeiten von Andrea Marini und Cristina Gozzini waren wohl mit die besten Installationen der Messe.

sn_NL 1811_Die Mauer.JPG
Ausstellungsansicht Galerie Die Mauer

Eine weitere Galerie, die unsere Aufmerksamkeit auf sich zog, war Spazio Lavit aus Varese (die Festungsstadt der Lega, eine Partei, die viele unserer internationalen LeserInnen wohl aus den politischen Artikeln der großen europäischen Zeitungen kennen). Lavit stellte Werke von Sandro del Pistoia, Sabina Feroci und Gerald Morder aus. Vor allem die Arbeiten von Feroci, von denen wir bereits anlässlich des Vorschauartikels ein Bild gewählt hatten, erwiesen sich vor Ort als noch beeindruckender als das, was im Katalog zu sehen war. Es überrascht uns nicht, dass der Künstler auf dem Ostmarkt so erfolgreich ist.

Die Globart Gallery in Acqui Terme (Alessandria) hingegen ist eine Galerie, die sich auf die visuelle Forschung spezialisiert hat – vom Pop der sechziger Jahre bis zum Polymeren. Ziel des Galeristen Adolfo Francesco Carozzi ist es, den wichtigen Zweig der italienischen Kunst zu stärken, der die Vorherrschaft der edlen Materialien in der Skulptur in Frage stellt und sich für Kunststoff entschieden hat – ein Material, dass das Symbol des Konsumverhaltens ist und tiefgründige Bedeutungen und unerwartet anspruchsvolle Forschungen ermöglicht. Wir stimmen mit dem Galeristen überein, wenn er sagt, dass er einen größeren Stand gebraucht hätte, um sehr unterschiedliche KünstlerInnen richtig zu präsentieren.

Rückblickend ist unser Fazit, dass die aufstrebende italienische Skulptur, auf der die Messe gebaut wurde, mehr Professionalität erfordert. 
Die Galerien, die sich für eine Investition in die Milano Scultura entschieden haben, haben eine gute Wahl getroffen und sich entschieden, in eine Nische zu investieren: die Nische der dreidimensionalen Kunst. Diese ermöglicht es ihnen, sich zu entwickeln und wiederzuerkennen, im Vergleich zu den üblichen Galerien mit zweidimensionaler Kunst, die wir auf vielen Messen zu sehen gewohnt sind. Die Investition in die Skulptur, die Jahr für Jahr mehr und mehr an Aufmerksamkeit gewinnt, ist eine gute Wahl, und steht im Einklang mit der notwendigen Segmentierung des Marktes, der in diesen Zeiten des exponentiellen Wachstums der zeitgenössischen Kunst sehr notwendig ist. Eine solche Investition von Galerien, die in einem anderen Kontext in Gefahr laufen würde, im aktuellen Meer der Kunstmessen zu ersticken, sollte mit der Verbesserung der Kommunikation, der Online-Präsenz, der Qualität der Auswahl (und damit mehr Zeit für Forschung und Entdeckung) kombiniert werden, um für immer mehr Fans der bildenden Kunst attraktiv zu sein. Vor allem die internationalen, denn in diesen Zeiten ist es nicht mehr vorstellbar, nur lokal zu denken.

Für die Milano Scultura würden wir uns wünschen, dass der Mut der Organisatoren weiter wächst – mehr Raum geschaffen wird, sowohl für Werke als auch für Diskussionen, und die Brücken in die digitale Welt (zum Beispiel durch die Bereitstellung von Internet in den Messeräumen) geschlagen wird. So könnte dieser besondere Ort auch mehr bekannte Gesichter der zeitgenössischen italienischen Skulptur anlocken – ob als AusstellerIn, BesucherIn oder Testimonial.


Im zweiten Teil unseres Berichts werden wir das italienische System der zeitgenössischen Skulptur weiter erforschen – im Gespräch mit dem Kurator der Messe Valerio Dehò.

Autor: Nicola Valentini

Nicola

Nicola Valentini ist Kunsthistoriker uns spezialisierte sich früh auf zeitgenössische Bildhauerei und neue Technologien. Für uns erkundet er regelmäßig die Kunstszene Italiens.

Galerie

Zum Anfang der Seite scrollen