Der Online-Club: Grüße aus Prag
Welchen Einfluss haben Kurator:innen auf nachfolgende Generationen von Künstlern und Künstlerinnen? In dieser Ausgabe des Online-Clubs stellt Veronika Čechová das Vermächtnis von Jindřich Chalupecký und seinen anhaltenden Einfluss auf die zeitgenössische tschechische Kunst vor. Sie wird begleitet von der preisgekrönten Künstlerin Pavla Sceranková und dem ebenfalls preisgekrönten Künstler Kryštof Brůha.
Am 31. März 2025 würdigt die Kuratorin Veronika Čechová das Vermächtnis von Jindřich Chalupecký (1910 - 1990), einem einflussreichen Kurator und Schriftsteller, und dessen langjährige Unterstützung der experimentellen zeitgenössischen Kunst in der Tschechischen Republik. Seit dem Beginn seiner Karriere in den 1930er Jahren bis in unsere Gegenwart förderte Jindřich Chalupecký die Entwicklung avantgardistischer Künstler:innen in der Tschechischen Republik. Dieses Engagement wird nun durch den jährlich verliehenen Jindřich-Chalupecký-Preis für Nachwuchskünstler:innen manifestiert. Es ist die renommierteste Auszeichnung für Nachwuchskünstler:innen im Bereich der bildenden Kunst des Landes. Mit dieser Auszeichnung werden innovative künstlerische Praktiken gewürdigt. Neben professioneller und finanzieller Unterstützung erhalten die Preisträger:innen die Möglichkeit, ihre Werke auszustellen und an internationalen Residenzprogrammen teilzunehmen.
Pavla Sceranková und Kryštof Brůha sind beide Preisträger und Finalisten des Preises. Zusammen mit Veronika Čechová sprachen sie über ihre künstlerische Praxis. In ihren Arbeiten finden sich die Dynamik und der Wandel der zeitgenössischen tschechischen Bildhauerei wieder.
Die Kuratorin und neue Koordinatorin von Sculpture Network, Veronika Čechová, begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung Online Club: Grüße aus Prag. Veronika ist Kuratorin der Jindřich-Chalupecký-Society (JCHS) und Co-Direktorin der Entrance Gallery. Darüber hinaus arbeitet sie als unabhängige Kuratorin für ausgewählte Projekte. In all diesen Funktionen engagiert sie sich aktiv in der zeitgenössischen Kunstszene der Tschechischen Republik. Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit steht die Vermittlung zwischen Künstler:innen, künstlerischen Ideen und Publikum.
Seit 2017 arbeitet sie als Kuratorin im Team der Jindřich-Chalupecký-Society (JCHS) – einer Plattform für tschechische postrevolutionäre und zeitgenössische Kunst im internationalen Kontext. Das JCHS organisiert in Zusammenarbeit mit einer Reihe von Partnerinstitutionen innerhalb der Tschechischen Republik und auch auf internationaler Ebene Ausstellungen, öffentliche Programme, Residenzen für Künstler:innen und Kurator:innen sowie Bildungs- und publikationsbezogene Projekte.
Um die künstlerische Landschaft der Region verstehen zu können, erläutert Veronika die Bedeutung, die Jindřich Chalupecký für die tschechische Kunstszene nach der Revolution hatte. Jindřich Chalupecký war ein einflussreicher Theoretiker, Kritiker und Kurator der Tschechoslowakei, der die vielen Veränderungen, die das 20. Jahrhundert mit sich brachte, durchlebte. Chalupecký wurde als Verfechter der Künste beschrieben, während der verschiedenen Regierungsregimes, unter denen die Werke von Künstler:innen häufig zensiert wurden. Er war maßgeblich daran beteiligt, avantgardistische Kunst nach Prag zu bringen, und setzte sich für neue Entwicklungen in der Moderne ein. Im Mittelpunkt seines Engagements stand die Frage nach der Rolle der Kunst in der Gesellschaft. Er setzte sich wiederholt dafür ein, Kunst und künstlerische Ideen genauso kritisch zu hinterfragen und ebenso zu respektieren wie religiöse Überzeugungen.
Sein Vermächtnis lebt heute durch den Jindřich-Chalupecký-Preis weiter. Der Preis wurde 1990 kurz nach seinem Tod ins Leben gerufen, womit die aktuelle Vergabe 2025 bereits die 36. Ausgabe dieser mit Spannung erwarteten jährlichen Veranstaltung.
Nach Veronika Čechová sprach die 1980 in Košice (Slowakische Republik) geborene Künstlerin Pavla Sceranková über ihre Erfahrungen als Finalistin des Jindřich-Chalupecký-Preises in den Jahren 2007 und 2015 und über den Einfluss, den dieser Preis auf ihre bisherige künstlerische Praxis hatte.
Im Jahr 2007 wurde sie mit dem Jindřich-Chalupecký-Preis prämiert. In ihrer Arbeit befasste sie sich zu dieser Zeit mit Erinnerung. Insbesondere ging es ihr um die Frage, wie die Erinnerung die physische Form von Objekten in unserem Gedächtnis verändert. Ein Beispiel dafür ist ihre Arbeit Either Or. Eine Teekanne wird zerbrochen und dann mit Hilfe von Radioantennen wieder zusammengesetzt, wobei sie sich ausdehnt und wieder zusammenzieht, bis sie ihre ursprüngliche Form annimmt.
In letzter Zeit beschäftigt sie sich in ihrer Arbeit mit Studien zum Thema Empathie. Sie untersucht, inwiefern Kunst die vielfältigen Krisen, die wir derzeit erleben, reflektiert. Ausgehend von der Grundidee, Erfahrungen mit den Besucher:innen zu teilen, erforscht sie dieses Thema anhand ihrer Skulpturen, die aus einfachen Köpfen aus Modelliermasse gefertigt sind. Der Titel jedes Werks verrät ein wesentliches Merkmal oder eine wichtige Funktion des jeweiligen Kopfes, die oft einzigartig und ganz alltäglich ist. Diese Skulpturen brechen aus dem Lärm des geschäftigen Alltags des 21. Jahrhunderts aus und regen uns dazu an, nachzudenken und mehr miteinander zu teilen.
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(Von links nach rechts) Pavla Sceranková, a head that wakes up at 4 a.m. (ein Kopf, der um 4 Uhr morgens aufwacht), gerahmte Farbfotografie, 2023. a head that thinks of all the possibilities (ein Kopf, der alle Möglichkeiten durchdenkt), Modelliermasse, Stecknadeln, 20 cm, 2023. head that knows everything (Kopf, der alles weiß), Plastilin, gefundenes Porzellan, 80 cm, 2023.
Nach Pavla Sceranková wurde Kryštof Brůha 2023 mit dem Jindřich-Chalupecký-Preis ausgezeichnet. Kryštof erklärt, dass seine Kunstwerke darauf abzielen, die unsichtbare Welt um uns herum sichtbar zu machen. Er schafft kinetische Skulpturen und Maschinen, die in Zusammenarbeit mit der Umwelt funktionieren.
Seine kinetische Skulptur Inter Solaris steht in Wechselwirkung mit der Sonne, um Zeit auf der Erde zu markieren. Die Skulptur vollzieht eine sich wiederholende Performance, geprägt von Zeit, Sonne und Erde. Um diese Performance zu ermöglichen, sucht Kryštof sorgfältig einen Ort aus, der ausreichend Licht bietet, um seine Skulptur zu aktivieren. Die Skulptur nutzt die Strahlen der Sonne, um umliegende Gesteinsbrocken zu schmelzen und zu markieren. Inter Solaris will den Moment festhalten, der durch das Schmelzen in den Stein eingeschrieben wird. Der Stein ist nicht nur Medium, sondern auch Beweis für den Ort des Geschehens.
Seine neueste Skulptur, Audire Fluctus, verbindet die physische Welt mit den unsichtbaren elektromagnetischen Feldern, die uns permanent umgeben. Das Werk registriert die technologischen Aktivitäten in der Umgebung und macht elektromagnetische Strahlung sichtbar, die von elektrischen Netzen, Kommunikationsmitteln und Geräten erzeugt wird, die mit elektrischem Strom betrieben werden. Elektromagnetische Felder, die wir unter normalen Umständen nicht wahrnehmen können, werden durch Audire Fluctus in Licht- und Farbmuster umgewandelt. Die Skulptur wirft damit die Frage auf, wie wir eine Realität wahrnehmen und interpretieren, die teilweise unsichtbar, aber dennoch allgegenwärtig ist.
Beide, Künstler und Künstlerin, so unterschiedlich sie auch sein mögen, nutzen die Skulptur, um unsichtbare Welten sichtbar zu machen.
Myfanwy Halton hat diesen Text in Englisch verfasst.