Auto-Fieber (1973) von Wolf Vostell. Foto: Armando Méndez
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Es ist das Hand anlegen, das mir an der Skulptur gefällt

Im Dezember sprach unsere Autorin Ursula Karpowitsch mit der Kuratorin und Kulturmanagerin Anemone Vostell über besondere Begegnungen bei ihren Veranstaltungen, goldene Kälber und winkende Bären. Dieses Interview ist der Startschuss einer Reihe von Gesprächen mit den Koordinator:innen von Sculpture Network, die einen Kern unseres Netzwerks in neun verschiedenen Ländern bilden.

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Anemone Vostell beim Interview

Sculpture Network feiert 20-jähriges Bestehen. Was ist der schönste Moment, den du persönlich mit dem Netzwerk verbindest?

Das ist jede einzelne Dialogue-Veranstaltung, die die Sculpture-Network-Koordinator:innen – wie ich in Berlin und Umgebung – angeboten haben, und dabei vor allem das Treffen mit den Mitgliedern und Interessierten. Ein Dialogue war ganz besonders, und zwar der Besuch des Skulpturen-Sommers in Pirna im vergangenen Jahr, bei dem der über 90-jährige Mentor des Projekts und ehemalige Professor für Plastik an der Hochschule der Bildenden Künste Dresden, Dr. Helmut Heinze, persönlich durch die Ausstellung zeitgenössischer figurativer Skulptur aus Deutschland und Tschechien führte. 

Was ist deine Lieblingsskulptur?

Auch da möchte ich mehr als eine nennen: Zum einen die Ereignisskulptur am Rathenauplatz, 2 Beton-Cadillacs in Form der Nackten Maja, die Wolf Vostell 1987 zur 750-Jahr-Feier Berlins dort aufgestellt und einbetoniert hat. Wolf Vostells Intention war die Entlarvung des „24-stündigen Tanzes der Autofahrer ums Goldene Kalb”, worauf er mit dem nach einem berühmten Goya-Gemälde benanten Werk anspielt. Die beiden Cadillacs nehmen die Körperpositionen der "Nackten Maya" auf dem Divan ein. 

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2 Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja (1987) von Wolf Vostell. Foto: Raimund Müller

Die Skulptur Berlin auf dem Mittelstreifen der Tauentzienstraße wurde von Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff ebenfalls als Beitrag zum Skulpturenboulevard geschaffen. Ihre Röhren aus Chromnickelstahl mit den ineinander verschlungenen, aber getrennt aufgestellten beiden „Toren“ symbolisieren die Situation des damals noch geteilten Berlins großartig.

Der Berliner Bär, den die prominente Tierbildhauerin Renée Sintensis 1957 entwarf und dem ich bei der Fahrt nach und weg von Berlin stets zuwinke; den kennen wir auch als Siegestrophäe der Internationalen Filmfestspiele der Berlinale.

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Berliner Bär von Renée Sintensis (1957) an der A 115. Foto: Bodo Kubrak

Du planst für dieses Jahr eine Kunstreise in die Extremadura. Gibt es da etwas, was du heute bereits verraten kannst?

Oh ja, sie findet im Frühling vom 6. bis 9. März statt. Die Planungen sind bereits abgeschlossen und ich freue mich, Mitgliedern wie Freund:innen der Skulptur einen exklusiven Besuch der internationalen Messe ARCOmadrid während der Professional Preview mit Fokus auf zeitgenössischer Skulptur anbieten zu können.

Von Madrid aus geht es weiter mit dem Bus nach Cáceres, der Mittelalterstadt im Herzen der Extremadura, wo wir uns sowohl die zum UNESCO-Welterbe gehörende Altstadt als auch das supermoderne Museum der spanischen Galeristin Helga de Alvear anschauen werden. Das Museum beherbergt über 3.000 Werke ihrer Sammlung, unter anderen von Louise Bourgeois, Richard Long und Thomas Hirschhorn.

Museo Vostell Malpartida - Foto Jorge Armestar
Museo Vostell Malpartida. Foto: Jorge Armestar

Höhepunkt der Reise wird sicherlich der Besuch des Museo Vostell Malpartida in der einzigartigen Landschaft plutonischen Magmagesteins, den Los Barruecos, sein. Hier kommen Natur, Kunst und Menschen zusammen. Das Museum beherbergt eine der größten Sammlungen für Fluxus und Konzeptkunst in Europa, die Donación Gino di Maggio, eines italienischen Sammlers und Mäzens, den Wolf Vostell mit dem besonderen Konzept des Museums in die Extremadura holen konnte: Das Museo Vostell Malpartida ist nicht nur Ausstellungs-, sondern auch partizipativer Begegnungsort.

Wolf Vostell - VOAEX (1976) Photo ©Armando Méndez
VOAEX (1976) von Wolf Vostell. Foto Armando Méndez

Dieses Konzept manifestiert sich auch in der Ereignisskulptur VOAEX (Viaje de (H)ormigón por la Alta Extremadura), Betonreise durch die Obere Extremadura, die Wolf Vostell 1976 zusammen mit den Handwerker:innen der Gemeinde Malpartida de Cáceres, 10 km von Cáceres entfernt, einbetoniert hat. Es handelt sich um den „Grundstein“ des Museo Vostell Malpartida, welches neben den Sammlungen Wolf & Mercedes Vostell, der Fluxus-Sammlung und den portugiesischen Konzeptualisten auch temporäre Wechselausstellungen zeitgenössischer Kunst zeigt.

Dort sehen wir aktuell die von mir kuratierte Ausstellung BAR DELUXE – The Reversal of the Readymade des Berliner Konzeptkünstlers und Bildhauers MK Kaehne.

Wie hat sich dein Interesse für die dreidimensionale Kunst entwickelt und wie hat sich das manifestiert?

Mein Studium der Publizistik hat mich von Anfang an mit der – oftmals installativen – „Medienkunst“ in Verbindung gebracht. Werke von Rebecca Horn, Nam June Paik und auch Wolf Vostell haben mich von Anfang an fasziniert. Wichtig dabei war für mich der partizipative Ansatz, die Möglichkeit der direkten Kommunikation. Dieser Ansatz findet sich insbesondere bei den Dadaisten und Fluxisten, aber auch bei den Konstruktivisten, mit ihrem Auftrag, Kunst für den Alltag bzw. die Arbeitenden zu machen.

Während meiner Tätigkeit als Leiterin des Berliner Galerienverbandes hatte ich sehr viel mit dem Kunstmarkt zu tun, auf dem die „Flachware“ die leichtere Disziplin ist. Aber Objekte, Skulpturen und Licht-, Klang- oder einfache Installationen haben mich nicht losgelassen.

So habe ich zum Beispiel in einer Gemeinschaftspräsentation von Berliner Galerien im Rahmen der ART FROM BERLIN und in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Ausstellungsleiter des Georg Kolbe Museums und Sculpture Network Mitglied Marc Wellmann die Berlin Lounge mit zeitgenössischer Skulptur aus Berlin bespielt. Ich werde nie vergessen, wie viel Freude es gemacht hat, die filigrane Figur Weitere galante Szene (Inga) der Künstlerin Pia Stadtbäumer auf dem Messestand zu installieren.

Ja, es ist das Hand anlegen, das mir an der Skulptur gefällt.

Dieser Artikel wurde von Ursula Karpowitsch auf Deutsch verfasst.

Über den Autor/ die Autorin

Ursula Karpowitsch

Ursula Karpowitsch interessierte sich anfangs nur für "Flachware", bis sie schimmernde Bronzen entdeckte. Für Sculpture Network schreibt sie Berichte von unseren Veranstaltungen und spannenden Ausstellungen und übersetzt Texte.

Übersetzung

Sybille Hayek

Sybille Hayek ist Lektorin und Übersetzerin. Seit 2022 unterstützt sie unser Team ehrenamtlich mit ihrem geschulten Blick fürs Detail und einer großen Liebe zur Sprache.

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