Ein Ausflug ins GrĂĽne
Kunst in der freien Natur – wer könnte diesem Dream-Team widerstehen? Im sculpture network Online-Club zum Thema „Skulptur im Grünen“ gaben Vikki Leedham vom Hannah Peschar Sculpture Garden in Surrey, England, und Elisabeth Fiedler vom Österreichischen Skulpturenpark bei Graz, Österreich, einen Vorgeschmack davon, was ihre Outdoor-Ausstellungen alles zu bieten haben. Ein Bericht.
Mit den ersten kühlen Tagen und dem nahenden Herbst werden in Europa die Gärten, Skulpturenparks und Outdoor-Ausstellungen langsam winterfest gemacht. sculpture network wollte sich einen letzten ausgiebigen Blick auf zwei ganz besondere Skulpturenparks vor der Winterpause jedoch nicht entgehen lassen. Vikki Leedham und Elisabeth Fiedler entführten die Gäste des Online-Clubs am 19. September 2022 virtuell in ihre grünen Reiche, die mit ganz unterschiedlichen Ansätzen Kunst und Natur in Beziehung zueinander setzen.
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Im herrlichen britischen Surrey ist der Hannah Peschar Sculpture Garden zu Hause, den Vikki Leedham betreut. Ein grünes, wildes Paradies, das ungefähr so viel mit dem typischen englischen Rasen zu tun hat wie ein Luftballon mit Jeff Koons’ Balloon Dogs: irgendwie verwandt, aber keineswegs vergleichbar. „Controlled wildness“, nennt die Co-Kuratorin und Galeriemanagerin des Skulpturengartens das Konzept der Bepflanzung in ihrem enthusiastischen und bildreichen Vortrag, der die Begeisterung für ihren Arbeitsplatz auch durch den Bildschirm und über Tausende von Kilometern hinweg zu transportieren vermag.
Verantwortlich für die Gartenanlage ist Anthony Paul, Landschaftsplaner und Ehemann der namensgebenden und bedauerlicherweise 2021 verstorbenen Hannah Peschar – zusammen sind und waren sie das Herz und die Seele des Sculpture Garden. Das Paar kaufte das 4 Hektar große Grundstück mit dem idyllischen Black & White Cottage im Zentrum zu Beginn der 80er-Jahre zunächst ohne Pläne für einen Skulpturenpark. Sie verliebten sich vielmehr in die wild-romantische Umgebung in dem Gletschertal, die ungezähmte Natur, die sie zwar vor eine Sisyphus-Aufgabe stellte, jedoch einen unwiderstehlichen Zauber auf sie ausübte. Mit viel Liebe zum Detail stürzten sie sich in die Arbeit: Anthony konzipierte eine Bepflanzung mit hauptsächlich exotischen Grünpflanzen – eine Hommage an die ursprüngliche Wildheit der Umgebung, ohne viele Blühpflanzen und symmetrische Anordnung –, die er bis heute regelmäßig erweitert und erneuert.
Die Idee, den Garten als Bühne für eine Skulpturenausstellung zu verwenden, kam der niederländischstämmigen Hannah Peschar, als sie in den frühen 1990er-Jahren einer Keramikausstellung nahe Amsterdam beiwohnte. Aus Platzgründen musste die Kuratorin, eine Freundin von Hannah, einige Stücke aus den Ausstellungsräumen nach draußen ausquartieren, und der Anblick dieser Kunstobjekte im Grünen gab der kunstbegeisterten Hannah einen Geistesblitz: Was, wenn man die Werke bewusst in einen Garten integrieren würde, geschickt platziert in Interaktion mit der Natur? Skulpturenparks und -gärten waren damals noch nicht in Mode, Kunst gehörte in Museen und Galerien. Aber Hannah ließ sich nicht entmutigen: Die erste Ausstellung in ihrem Garten umfasste rund 20 Skulpturen von Studierenden einer lokalen Kunstakademie und war ein kleiner Erfolg.
Dieser Erfolg war vor allem Hannahs Auge für Platzierung geschuldet, das bis heute das Konzept der Ausstellung beeinflusst: In ihrem Garten sollen die Werke aussehen, als gehörten sie genau dorthin, ganz nach dem Motto: „Art and Nature in Perfect Harmony“. Jede einzelne Skulptur wird sorgfältig so platziert, dass sie mit ihrer Umgebung harmoniert: hängend in Bäumen, halb versteckt zwischen Gräsern, eingebettet in Buschwerk und Wiesen oder am Ufer kleiner Teiche installiert. In Interaktion mit dem Garten und der lokalen Fauna erhalten die Werke so eine weitere, grüne Dimension.
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Seit mittlerweile 39 Jahren präsentiert der Hannah Peschar Sculpture Garden in jährlich wechselnden Ausstellungen je über 100 Werke von Kunstschaffenden aus Großbritannien und Europa. Aktuell befindet sich darunter auch Yke Prins, Vorstandsmitglied von sculpture network, die uns im anschließenden Gespräch ein wenig an ihren Erfahrungen mit dem Sculpture Garden als Ausstellungsort teilhaben lässt. Zum Ende ihres Vortrags lässt Vikki uns noch augenzwinkernd wissen, dass sie stets auf der Suche nach neuer Beteiligung ist; eine Bewerbung aus den Reihen von sculpture network könnte sich also lohnen.
Voller Eindrücke aus dem üppigen Grün der südenglischen Landschaftsidylle geht die Reise an diesem Abend weiter nach Österreich, in den Österreichischen Skulpturenpark bei Graz. Hier geht es um klare Linien und durchdacht angelegte Pfade – ein geplanter Park, der im krassen Kontrast zu dem organisierten Chaos des Hannah Peschar Sculpture Garden steht. In einem ausgiebigen virtuellen Rundgang erklärt Elisabeth Fiedler, Chefkuratorin und mit Herz und Seele im Einsatz für den Skulpturenpark, das landschaftsarchitektonische und kuratorische Konzept hinter ihrer Anlage.
Der Park selbst ist bereits ein Kunstwerk in sich: Abwechslungsreich gestaltet mit Seerosenteich, Labyrinth und, besonders beeindruckend, drei imposanten begrĂĽnten Pyramiden im Zentrum, bietet er die ideale Szenerie fĂĽr eine Kunstsammlung. Die Pyramiden sind das HerzstĂĽck des Parks und intim verknĂĽpft mit der Region Steiern – sie sind eine Art kĂĽnstlerischer Ersatz fĂĽr die Berge, die man ausgerechnet von diesem Gelände aus nicht sehen kann, obwohl sie sonst in Ă–sterreich auĂźerordentlich präsent sind. In der langsam, aber stetig wachsenden Daueraustellung des Skulpturenparks sind neben groĂźen internationalen Namen wie Yoko Ono vor allem viele KĂĽnstlerinnen und KĂĽnstler aus Ă–sterreich vertreten. Die fast achtzig Skulpturen interagieren mal ganz intim mit ihrer Umgebung, mal nutzen sie den Park auch nur als imposanten Hintergrund oder als BĂĽhne. Sie alle sind den Launen der Umgebung unterworfen – dem Wetter, dem Licht, der Jahreszeit – und somit stets in einem dynamischen Prozess sich ändernder Wahrnehmung begriffen.Â
Für Elisabeth Fiedler macht diese Wandelbarkeit den Reiz des Ausstellens unter freiem Himmel aus. Egal, wie sorgfältig man eine Anlage plant – und der Österreichische Skulpturenpark ist extrem sorgfältig geplant, mit bewussten Anklängen an Renaissance und Barock und einer durchdachten räumlichen Aufteilung –, in der Natur lässt sich nicht alles planen. Ändert sich die Umgebung, ändert sich auch die Ausstrahlung eines Kunstwerks. Einige der interessantesten Werke im Park treten ganz bewusst in Interaktion mit ihrer Umgebung, ja, nutzen die Natur gar als Baumaterial. Dazu zählen etwa Mario Terzics Arche aus lebenden Bäumen (1998/2010–2011) oder Bernhard Leitners Espenkuppel (2015), die beide den Wuchs der Bäume als integralen Bestandteil des Werks voraussetzen. Die Kunst wächst hier wortwörtlich gemeinsam mit der Natur, ihre Realisation ist intrinsisch mit der Pflanzenwelt verbunden.
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Das langsame Wachstum des Parks seit seiner Gründung im Jahr 2003 (mit seiner ältesten Skulptur aus dem Jahr 1944) hat den spannenden Nebeneffekt, dass die jeweiligen Themen der Zeit künstlerisch zutage treten. Viele der ausgestellten Skulpturen haben eine gesellschaftskritische Dimension, die Betrachtenden nicht nur eine Zeitreise durch Kunstrichtungen des 20. und 21. Jahrhunderts ermöglicht, sondern auch eine Reise durch die Vielfalt der Themen, die Menschen über die Jahre hinweg bewegten. Neben Skulpturen, die ganz gezielt auf Interaktion setzen, wie etwa Werner Reiterers gesture (2003/04), bietet somit jedes einzelne Werk Anlass zur Reflexion und Auseinandersetzung. Die Vielfalt künstlerischer Ideen, die sich im Österreichischen Skulpturenpark tummeln, konnte Elisabeth Fiedler uns in ihrem ausführlichen Vortrag jedenfalls wunderbar näherbringen.
Die grünen, lebendigen Eindrücke dieses inspirierenden Kunstabends werden uns bestimmt über die kalte Jahreszeit retten können. Und eins ist sicher: Im nächsten Frühjahr blühen der Hannah Peschar Sculpture Garden und der Österreichische Skulpturenpark auf jeden Fall wieder auf.
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