Eine Reise an Orte italienischer Skulpturen: Ein Interview mit dem Kurator Valerio Dehò
Wir setzen unsere tiefgehende Untersuchung zu Milano Scultura und der Bildhauerszene in Italien mit einem Interview mit Valerio Dehò, dem Kurator und Gründer der Milano Scultura, fort.
Valerio Dehò lehrt Ästhetik an der Akademie Bologna. Im Laufe seines Lebens hat er an den Akademien in Ravenna, Rimini, Sassari und Carrara unterrichtet. Im Jahr 2005 war er Kommissionär für die Quadrennial in Rom, von 2001 bis 2015 war er künstlerischer Leiter des Kunsthaus Meran; außerdem ist er als Journalist für verschiedene italienische und internationale Zeitschriften und als Kurator für Ausstellungen in Italien und Europa tätig. Er rief die Bildhauermesse Milano Scultura ins Leben, die nun zum vierten Mal stattfindet.
Nicola Valentini: sculpture network hat es sich zum Ziel gesetzt, eine Plattform zu entwickeln, über die Skulpturbegeisterte und Skulpturschaffer in Europa und auf der ganzen Welt miteinander in Verbindung treten können. Eine Einrichtung zu finden, die sich entschließt, das Risiko auf sich zu nehmen und in die Nische der Bildhauerei zu investieren, die ein kleines Universum mit gewissen Eigenschaften und einzigartigen Komplexitäten darstellt, ist nicht alltäglich.
Valerio Dehò: Bildhauerei ist sehr beliebt, aber der italienische Markt hat stark unter dem Mangel öffentlicher Gelder gelitten. In Deutschland und Frankreich dagegen gibt es von Seiten der Städte und Regionen immer noch eine große Nachfrage. Die Idee war mit Milano Scultura eine allgemeine Messe (Step Art Fair) in eine spezielle Messe umzuwandeln, die sich von den Messen unterscheidet, die immer häufiger entstehen. Mit Skulptur meinen wir selbstverständlich auch Installationen und erinnern uns daran, dass Bildhauerei etwas mit Architektur und Design zu tun hat: diese Fähigkeit Wissenschaft und sehr verschiedene Sprachen zu verbinden ist es, was die heutigen Skulpturen so interessant macht.
Wo denken Sie sind in Italien die wichtigsten Zentren für Begeisterte Sammler und Künstler, die nach Vergleichen und Inspirationen suchen?
Zuerst sei erwähnt, dass wir wichtige Skulpturparks haben, aber KünstlerInnen neigen dazu, ihre Studios dort einzurichten, wo es einen Überfluss an Rohmaterialien gibt, dort wo es Labors gibt. Jeder Bildhauer braucht eine Werkstatt. Natürlich gibt es auch da Ausnahmen: es gibt einen sehr jungen italienischen Bildhauer namens Fabio Viale, der in Carrara studierte. Ihn kontaktierte ich vor zehn Jahren, weil es den Anschein hatte, als sei er der Einzige, dem es möglich war, verschiedene Dinge zusammenzufügen und so etwas Neues mit Marmorskulpturen zu machen, die ja das traditionellste Medium sind. Er hatte die Idee, Tattoos in die Kunst zu integrieren: das mag trivial erscheinen, aber es bedeutet ein Zusammenführen populärer Kultur und hoher Kunst. Viale arbeitet in Turin, weit weg von den traditionellen Orten der Bildhauerei: er ließ die Marmorblöcke aus Carrara in den Norden bringen; er ist ein Guter.
Um weiter über Orte und Bildhauerei zu sprechen: Sie haben lange in Südtirol gearbeitet.
Im Jahr 2011 kuratierte ich Tony Craggs Ausstellung in Meran [Anmerkung: gemeinsam mit John Wood und Silvio Fuso], nachdem sie im Jahr zuvor in Ca Pesaro erstmals zu sehen gewesen ist. Leider muss ich sagen, dass die Südtiroler eine Gelegenheit verpasst haben, denn wir hatten die Möglichkeit, Tony Craggs Werke für einen lächerlichen Betrag zu erwerben: 80.000 € für eine Skulptur, deren Fusion allein 40.000 € kostete. Aber die Südtiroler sind sehr konservativ, das ist Teil ihrer Kultur, und daher haben sie abgelehnt.
Der Übergang vom Handwerker zum Künstler war ein epochaler Wendepunkt für all diese Künstler (wie zum Beispiel Demetz oder Senoner) in Südtirol. Mit Stolz kann ich sagen, dass ich ihnen dabei geholfen habe. Man kann sich nicht vorstellen, wie viel Groll und Abschottung den Ladins und ihren Holzschnitten begegnete, denn sie wurden nicht als Künstler angesehen, sondern nur als Erschaffer religiöser Skulpturen. Doch eine Generation interessanter KünstlerInnen wurde geboren: Ulrich Egger und Walter Moroder sind die ältesten [Anmerkung: 1959 und 1963 geboren].
Dann gibt es diejenigen, die um das Jahr 1970 geboren wurden, unter ihnen Demetz. Sie alle gingen in St. Ulrich, dem deutschen Namen für Ortisei, in Ladin Urtijëi, zur Schule. In dieser Gegend gibt es nur eine Kunstschule und es kommen Menschen aus dem Nordwesten Italiens dorthin, um Holzschnitzerei zu erlernen. Es gibt in der gesamten Region Trentin-Alto-Adige keine Akademie. Aufstrebende KünstlerInnen gehen nach München oder Venedig oder an andere italienische Akademien wie Bologna oder Florenz, die wegen ihrer klassischen Tradition eine starke Faszination auf Bildhauer ausüben. Auch in Südtirol gibt es nur eine Galerie, aber sie kam nie zur Milano Scultura. Es handelt sich um die Doris Ghetta Galerie, die viele wichtige Ausstellungen organisiert, darunter die Biennale Gherdëina.
Es überrascht mich daran zu denken, wie wenige Gegenden Italiens bei der Milano Scultura repräsentiert werden. Es ist wirklich bedauerlich, dass Sie nicht das gesamte Land darstellen können.
Netzwerken ist nicht einfach und die Logistik ist ein großes Problem, denn da entstehen große Kosten. Selbst wenn Ausstellungen organisiert werden, müssen oft zwei Drittel des Budgets für Transport und Versicherung verwendet werden.
Um die Liste italienischer Orte, die für Skulptur-Liebhaber interessant sind, fortzusetzen, müssten wir, zusätzlich zu Carrara und Val Gardena, über Matera sprechen. Dort gibt es neben dem Museum für zeitgenössische Bildhauerei einen Bildhauer namens Antonio Paradiso, der ein Haus kaufte und uns ein Zentrum für Bildhauerei einrichtete: den Skulpturenpark La Palomba. In Bologna gibt es Davide Rivalta, einen großartigen Dozenten für Bildhauerei, der dort etwas bewegt. Wenn wir von Emilia Romagna sprechen, müssten wir über Terrakotta oder Keramik reden und dann noch über Bertozzi und Casoni. Sie sind großartige Beispiele italienischer Vorstellungskraft, denn sie belebten eine Technik des 18. Jahrhunderts neu.
Eine weitere bedeutende Station unserer imaginären Grand Tour durch die italienische Bildhauerei ist der Süden. Was können Sie mir, abgesehen von Matera, darüber sagen? Ich höre gute Dinge über das Museo Donnaregina in Neapel, dank dessen Direktor. Manche bezeichnen es als das momentan beste Museum für zeitgenössische Kunst. Wie kann man die entlegenen Orte an das Netzwerk anschließen?
Der Süden hat ein grundlegendes Problem und das ist der Markt. Die großen Galerien sind nur die zwei, drei in Neapel und eine in Palermo, für alles andere gibt es nichts. Die paar, die es außerhalb gab, sind nach Rom umgezogen. In Bari gibt es die größte Pop Art Sammlung Italiens, aber das ist ein Ausnahmefall.
Was denken Sie kann getan werden, um die Lage für Bildhauerei in Italien zu verbessern? Was wäre eine Strategie?
Eine interessante Vorgehensweise ist die Schaffung von Preisen, um den mangelnden öffentlichen Kommissionen entgegen zu wirken. Es gibt nur wenige Wettbewerbe und ein Gesetz aus dem Jahr 1949, dass dafür Sorge trägt, dass alle neuen öffentlichen Gebäude mit zwei Prozent „künstlerischer Verzierungen“ versorgt werden sollen, aber das funktioniert nicht. Skulpturen herzustellen ist kostspielig; ich habe Freunde, die von der Bildhauerei zu digitaler Kunst gewechselt sind, das ist viel günstiger. Es bedarf Anreize, Akademien sollten Gastdozenten einladen, wie zum Beispiel Stephan Balkenhol, der Holzschnitzereien legitimiert hat und der in Italien kaum bekannt ist. Auch müssen wir Dinge, die bereits da waren, wiederherstellen, wie die Carrara Biennal, die 2010 unterbrochen wurde.
Welche italienischen KünstlerInnen sollten wir von einer internationalen Perspektive aus beobachten?
Es gibt im Bereich traditioneller Bildhauerei viele interessante Künstler. Einer von ihnen ist Antonella Zazzera, der sehr gut arbeitet. Dann gibt es noch Eduard Habicher und Ulrich Egger und alle Bildhauer der Val Gardena, wie die Familie Moroder. Es gibt auch einen Künstler, der sehr gut mit Terrakotta arbeitet, sein Name ist Nando Crippa, ein sehr spezieller Charakter, er erschuf sein eigenes Universum, ein bisschen klaustrophobisch, aber interessant.
Autor: Nicola Valentini
Nicola Valentini ist Kunsthistoriker und spezialisierte sich früh auf zeitgenössische Bildhauerei und neue Technologien. Für uns erkundet er regelmäßig die Kunstszene Italiens.