Zum Wesen des Österreichischen Skulpturenparks
Wenn Skulptur und Natur in Verbindung treten, reagieren sie aufeinander. Es entwickelt sich eine Wechselbeziehung, die im Laufe der Zeit eine sich permanent ändernde Geschichte erzählt. Im Garten als vom Menschen gestaltete Natur sind wir im Österreichischen Skulpturenpark speziell dazu eingeladen, mit in die Landschaft eingefügten Skulpturen in Dialog zu treten. Wir treffen auf zeitgenössische Skulptur, von abstrakter Bildhauerei bis zu gefundenen oder verdichteten Objekten. Manche Arbeiten integrieren Licht, Schatten, Wasser oder Luft, entwickeln sich im Wachsen oder interagieren mit uns.
Zwei ineinander übergehende Teile des Parks
Im Berggarten befinden wir uns in einem Schotterabbaugebiet, aus dem Badeteiche entstanden sind und eine groß angelegte Freizeitanlage realisiert wurde. Der Landschaftsarchitekt Dieter Kienast umrahmte den Park mit einem vier Meter hohen Rasenwall, der diesen schutzgebend einfasst. Wir betreten außergewöhnliches und einmaliges Terrain, in dem wir Graspyramiden, die die Landschaft konturieren, einen geometrisch angelegten Seerosenteich mit Lilienbewuchs und ein punktuell bespielbares Café, Kirschbäume, Lavendelbeete oder durch Bambus strukturierte Rasenstücke finden. Neue Blickachsen werden ebenso eröffnet wie das Spiel zwischen Erweiterung und Zurückgezogenheit. Besondere Pflanzen wie Frauenmantel, Hyazinthen, Narzissen, Tulpen oder eine Linde erweitern duftend und in ständigem Farbwechsel unsere Umgebungswahrnehmung.
Im Fasangarten zitiert Kienast die Geschichte der Gartenbaukunst seit der Antike und inszeniert bei gleichzeitiger Reflexion auf den Minimalismus der 1960er-Jahre spezielle Gartenräume. So öffnet sich, umgeben von hohen Buchenhecken, ein in sich ruhender, einzigartiger Lotosblütenteich mit kontemplativem Inselmittelpunkt als Referenz auf die altägyptische Gartenanlagenkunst. In deren Zentrum können wir auf der einen Baum umschließenden Möbelskulptur von Peter Kogler verweilen und in Kontakt mit Kunst und Natur treten.
Diesem Teil folgt eine sich verjüngend ansteigende Treppenkonstruktion, die Himmelstreppe, als Verweis auf unsere Verbindung zu Zonen außerhalb der Erde und die Wirkkraft der Erfindung der Zentralperspektive in der Renaissance. Hier finden wir Skulpturen, die in der Auseinandersetzung mit dem Körper, körperlichen Veränderlichkeiten, Verschiebungen und Perspektivenwechseln entstanden. Anschließend sehen wir eine geheimnisvoll verborgene Rasenneigung, in der antike Waldgottheiten vorstellbar wohnen. Hier reflektiert ein Spiegel das uns umgebende Himmelsbild und weist uns als Wesen im Pluriversum aus. In den beschnittenen Eiben-Figuren, die den Barock zitieren, sind Wolkenformationen zu lesen. In deren Mitte präsentiert sich die älteste im Park befindliche Skulptur, Atlantis von Herbert Boeckl aus den Jahren 1940/44.
Im auf den französischen Garten referierenden Rosen- und Stauden-Garten versetzt uns ein bronzener Wasserfall von Brian Hunt gleichermaßen in Stillstand und Dynamik, während eine überdimensionale Metallrosenblüte von Rudi Molacek Transformation in und zwischen Natur und Technologie thematisiert. Einer groß angelegten Rasenlandschaft mit außergewöhnlichen Magnolien folgt abschließend ein Irrgarten als eines der ältesten kulturgeschichtlichen Motive.
Die Vielfalt der Formen
Punktuell wird im Park mit mehr als 75 permanenten und jährlich temporären Arbeiten die Geschichte der Skulptur seit der klassischen Moderne gezeigt, verhandelt und weiterentwickelt. Klassische Materialien wie Stein, Bronze oder Marmor finden hier ebenso Verwendung wie Beton, Glas, Kunststoff, Styropor, Spiegel, Stahl, Schrottteile oder Watte. Von der anthropomorphen Plastik über die Erweiterung zur Möbelskulptur und damit Eingliederung in die Arbeitswelt bis zu konzeptuellen und computergenerierten oder sprachlichen Arbeiten reicht die Palette.
Gleich an der ersten Rasenpyramide im Park positioniert Heimo Zobernig eine weithin sichtbare Skulptur. Industriell gefertigte, turmartig übereinander gereihte Betonbauringe befragen als klare Setzung das Verhältnis von Kunst, Mensch und Umgebung.
Öffnet und erweitert Fritz Wotruba die menschliche Figur in räumlich-abstrakte Dimensionen, bildet Thomas Stimms Terranian Platform einen Sammelpunkt der Erde. Franz Wests und Otto Zitkos Who is Who zeigt eine imaginäre und offene Dialogebene. Dass auch Sprache und Schrift Skulptur sein können, belegen Arbeiten von Heinz Gappmayr, Ingeborg Strobl oder Plamen Dejanoff.
Fat House und Fat Car von Erwin Wurm befragen nicht nur unsere Gesellschaft, sie deuten ihre Umgebung auch um. So wird die Wiese zum privaten Garten oder zur Straße. Nancy Rubins schafft durch ihre Skulptur aus Flugzeugteilen die Assoziation zu einem Flugfeld, Michael Schusters Betonboot wandelt den Boden in Wasserwellen und Hans Holleins Goldenes Kalb widmet Sockelblöcke zu Gleisen um. Yoko Onos Kreuze erinnern an Golgotha und Tobias Rehbergers Asoziale Tochter befragt ihre Umgebung als ein soziales Netzwerk. Peter Weibel wiederum relativiert und verdeutlicht mit der Erdkugel als Koffer unser Verhältnis zur Welt als globales sowie analog-digitales Problem.
Unsere Erfahrung und die Skulptur in ihrem Selbstverständnis der Transformation von Zeit und Raum wird in unterschiedlichen Materialien, Strategien und sich selbst verändernden oder interagierenden Exponaten ebenso ausgelotet und thematisiert wie soziale, wissenschaftliche oder wirtschaftliche Fragen. So heben die Tanzenden Bäume von Timm Ulrichs unsere Vorstellung von der Unverrückbarkeit bestehender Natur aus den Angeln, lässt Mario Terzic eine Arche aus lebenden Bäumen wachsen oder öffnen kreisförmig gesetzte Espen von Bernhard Leitner die starre Struktur des Konzertsaales. Werner Reiterer destabilisiert das Prinzip angenommener Unveränderlichkeit der Skulptur in der spielerischen und hintergründigen Form eines riesigen magentafarbenen Ballons, der sich wie eine Sisyphosarbeit verrichtend immer wieder aufbläst, um stets unter lautem Pfeifen in sich selbst zusammenzufallen.
Dass Wasser, Wind, Schatten oder Licht ebenso skulpturale Elemente darstellen, zeigen eine interaktive Fontäne von Jeppe Hein mit dem selbstironischen Titel Did I miss something?, Oswald Oberhubers Korb oder Giuseppe Uncinis Unità Cellulare.
Mit Zellen, deren Strukturen und Wachstum setzt sich Fritz Hartlauer, mit der Entdeckung des Genoms Jörg Schlick, mit der Struktur unserer Welt Hartmut Skerbisch und mit Bedingungen des Zufalls Hans Kupelwieser auseinander. Wolfgang Becksteiner reflektiert wirtschaftliche Mechanismen, Matt Mullican architektonisch-logistische und symbolische.
Ein dynamischer Dialog zwischen Kunst und Natur
Jährlich werden in Projekten von Artists in Residence auch performative, sich selbst auflösende, in die Natur einschreibende oder vernetzende Strategien und Erweiterungen des Skulpturenbegriffs temporär sicht- und erlebbar.
Inhaltliche Überlegungen gelten dem Interesse an der Entwicklung von Kunst als Skulptur, ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen, demokratiepolitischen Überlegungen und deren Bedeutung. Der Dialog zwischen Standort, Betrachter*in und Skulptur soll all diese Überlegungen auf vielfältige Weise sichtbar machen sowie Aussagen über Kunst, aber auch über uns selbst und die Gesellschaft, ihre Konflikte und Träume treffen und Begegnungsräume schaffen.
So wird der Österreichische Skulpturenpark als Plattform genutzt, um den Dialogprozess zwischen Kunst, Mensch und Natur sowie den Kommunikationshorizont zeitgenössischer Skulptur zu erweitern, um deren Sprache besser verstehen zu können.
Autorin: Dr. Elisabeth Fiedler
Die Kunsthistorikerin Elisabeth Fiedler ist Leiterin und Chefkuratorin des Österreichischen Skulpturenparks und des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark am Universalmuseum Joanneum. Neben ihrer Kuratorentätigkeit bilden Projektentwicklung und –umsetzung sowie Forschung, Vorträge und Publikationstätigkeit im Bereich der zeitgenössischen Kunst Schwerpunkte ihrer Arbeit.
Veröffentlicht im November 2021