Kraft, Liebe, Unerschrockenheit, Wirksamkeit: Die drei Bildhauerinnen Mancoba, Martins und Waldberg
Das Wirken dreier Bildhauerinnen auf dem internationalen Parkett ab den 1930er Jahren ist im Bucerius Kunst Forum Hamburg zu sehen: Mit IN HER HANDS – BILDHAUERINNEN DES SURREALISMUS zeigt die sehr sehenswerte Ausstellung noch bis 1. Juni 2025 vor allem plastische Arbeiten – sowie Einblicke in die bewegten und bewegenden Lebenswege – von Sonja Ferlov Mancoba, Maria Martins und Isabelle Waldberg.
Zu entdecken gibt es drei Bildhauerinnen, die in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts europaweit und international erfolgreich wirkten, mindestens in ihren Herkunftsländern bekannt waren, jedoch in Deutschland nahezu unbekannt sind.
Es lohnt sich, über sie und ihre Arbeit mehr zu erfahren – und darüber zu sprechen. Obgleich die Werke auch ohne Künstlerinnenbiografie funktionieren, weil sie die für künstlerische Prozesse unerlässliche Zutaten (Reflexion, Konsequenz, Konzentration, Methode und Präzision[1]) haben, sind die Lebenswege und Motivationen der drei Künstlerinnen äußerst spannend.
Etwa 100 Skulpturen und Plastiken, daneben Gemälde, Collagen und Zeichnungen, aus den 1930er- bis 1970er-Jahren werden auf den rund 800 m2 gezeigt.
Die organische Formensprache der Dänin Sonja Ferlov Mancoba (1911–1984) war stark von außereuropäischer Kunst, aber auch von der Künstler:innengruppe CoBrA beeinflusst. Und sie war 1948 eng eingebunden in die Diskussionen und Planungen um die Gründung von CoBrA. 1949 bemühte sich Asger Jorn intensiv, Sonja Ferlov und Ernest Mancoba in eine Ausstellung der Gruppe CoBrA aufzunehmen, aber vergeblich. Ob sexistische oder rassistische Gründe vorherrschten, ist wohl nicht eindeutig geklärt. Wie im Ausstellungsrundgang mit der Kunsthistorikerin vermittelt wird, sind es jedoch deutlich rassistische Intoleranzen, die dann 1952 dazu führen, dass das Ehepaar aus Dänemark weg und zurück nach Frankreich geht. 1940 war Sonja Ferlov nach Paris gegangen und verblieb wohl als einzige dänische Künstlerin die Kriegsjahre dort – denn im gleichen Jahr wurde Ernest Mancoba interniert und blieb es bis zum Kriegsende. 1942 heirateten die beiden im Lager La Grande Caserne. Sonja Ferlov Mancoba arbeitete in dieser schweren, sehr von Armut geprägten Zeit intensiv an ihrem bedeutenden Werk Skulptur 1940-46.
Wie es der Surrealismus wollte, schuf sie von Beginn an auf intuitive Weise ihre masken-, helm- oder naturgebundene Wesen aus Ton und Gips, später auch in Bronze.
Beides griff sie in ihren Werken immer wieder auf, am stärksten kommen diese Themen in der Skulptur L’impossible zum Ausdruck.
Isabelle Waldbergs (1911–1990) facettenreiches Œuvre reicht von filigranen linearen Strukturen aus Buchenholz über abstrakte Bronzeplastiken bis hin zu Collagen. Ihre Skulpturen finden sich in der Ausstellung auf weißen Sockeln. Die Werke sind zugunsten der leichteren Zuordnung jeweils auf andersfarbigen Sockeln gruppiert.
1911 wurde Margaretha Isabelle Maria Farner in Oberstammheim in der deutschen Schweiz geboren. 1936 ging sie von Zürich nach Paris und freundete sich mit Alberto Giacometti an. Waldberg bewegte sich im Kreis von George Batailles Geheimbund Acéphale (um 1938), wo sie auch ihren späteren Ehemann Patrick Waldberg kennenlernte. Wie viele andere flohen sie 1942 ins Exil nach New York und fanden hier regen Austausch mit aus Europa emigrierten Intellektuellen. 1945 kehrte Isabelle Waldberg nach Paris zurück und beteiligte sich 1947 an der Exposition internationale du surréalisme in der Galerie Maeght, Paris. In den folgenden Jahrzehnten überhaupt nahm sie an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland teil, schrieb und kuratierte. Nach der Trennung von ihrem Mann 1953 wurden ihre Skulpturen zunehmend kraftvoller, voluminöser, auch figürlicher, beispielsweise Suivi de … (Gefolgt von …) aus dem Jahr 1958.
1958 fertigte Waldberg das Bildnis von Marcel Duchamp. Einer der drei Bronzegüsse fand viele Jahre später in dieser außergewöhnlichen Hommage Verwendung: Auf einem alten chinesischen Schachbrett liegt der Kopf, ergänzt um zwei Bauern und zwei Bronzeskulpturen Waldbergs sowie einen Eisenträger zum Trocknen von Negativen aus dem Besitz von Man Ray! Duchamp, zunehmend leidenschaftlicher Schachspieler, hatte an insgesamt vier Schacholympiaden teilgenommen. Erst nach seinem Tod 1968 arrangierte Waldberg die einzelnen Objekte zum würdigenden Gedenkbild an den bedeutenden Künstler; das Werk wird auf 1958-78 datiert (Kunstmuseum Bern, Inv. Pl 81.008).
1973 wurde Isabelle Waldberg erste Professorin fĂĽr Kunst in Frankreich (genauer fĂĽr Bildhauerei), an der Ecole des Beaux-Arts in Paris.
Die drei Bildhauerinnen waren Teil der internationalen Avantgarde in Paris vor dem Zweiten Weltkrieg, Martins und Waldberg außerdem ab 1942 in New York aktiv. Sie gehörten zum Kreis um Marcel Duchamp, Alberto Giacometti, Piet Mondrian und Peggy Guggenheim.
Wer sich mit künstlerischen Nachlässen beschäftigt weiß, wie interessant die Frage ist: Welchen Umgang hatte die Künstlerin bzw. der Künstler selbst mit ihren bzw. seinen Werken? Umso schöner ist die hiesige Auseinandersetzung und gelungene Ausstellungsszenografie in Hamburg: Die Fenster sind frei, um das Tageslicht in die Ausstellung zu lassen – zum ersten Mal im neuen, seit 2020 bestehenden Gebäude des Bucerius Kunst Forums: Es gibt nur zwei Wände innerhalb des Rundgangs und ein sockelfundiertes, offenes Wandsystem zur Werkpräsentation, aber vielmehr fungieren Vorhänge als Raumtrenner und wie fließende Gestaltungselemente. Die Werke werden natürlich auf Sockeln präsentiert, um sie umfassend betrachten zu können.
Übrigens: Nach der Ausstellung wird es eine Sockelversteigerung geben! Flankiert wird der Ausstellungsraum mit sehr großformatigen historischen Fotos an den Wänden.
Die Arbeiten aller drei Künstlerinnen sind zwar in sich gruppiert, lassen jedoch die Möglichkeit offen, in eine dialogische Gegenüberstellung zu kommen: „intensive, sinnliche und geistige Auseinandersetzungen mit den Werkstoffen spiegeln sich in der Gestaltung von Linien, Volumina, Räumen und Ausdrucksgesten ihrer Objekte wider. Die skulpturalen Ensembles lassen die Betrachtenden unmittelbar in die Bildwelten der Künstlerinnen eintauchen.“
Gastbeitrag von Jana Noritsch [unter Zuhilfenahme des Ausstellungsbooklets, einer Führung durch die Ausstellung sowie „In Her Hands Bildhauerinnen des Surrealismus“, herausgegeben von Katharina Neuburger und Renate Wiehager für das Bucerius Kunst Forum, Hamburg 2025
Dieser Artikel wurde von Jana Noritsch auf Deutsch verfasst.
Fotos: Elisabeth Pilhofer.
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