The Online Club: For the Love of Trees
Bäume sind ein Symbol für das Leben – und nicht nur das, sie sind für die Menschheit auch überlebenswichtig. Sie wertzuschätzen und zu beschützen ist deshalb sowohl aus rein künstlerischer als auch besonders aus kunst-aktivistischer Sicht ein wichtiges Thema. Wie sich verschiedene Generationen mit verschiedenen strukturellen, finanziellen und kulturpolitischen Voraussetzungen diesen Inhalten annehmen, wurde hier an vier konkreten Beispielen sichtbar und aufgrund der lebendigen Vorträge regelrecht greifbar.
Anne Berk empfing die zahlreichen Teilnehmer:innen am Online Club Treffen mit dem Motto For the Love of Trees nicht nur in ihrer Funktion als stellvertretende Vorsitzende des Sculpture Network, sondern ganz konkret auch als Kuratorin der umfassenden Ausstellung Feel the Space of the Forest (05.10.2024–12.01.2025) im Kunstcentret Silkeborg Bad zu eben diesem Themenkomplex. So war die Ausgangssituation für die vier Vortragenden an diesem Abend die Bestmögliche, um die von ihnen vorgestellte Kunst in einem größeren Rahmen zu beleuchten. Berk stellte die vier Redner:innen – Martine van Kampen, Cecylia Malik, Bart Ensing und Bianca Runge – zunächst in der Reihenfolge ihrer Wortmeldungen kurz vor, um die Struktur des Treffens klar zu kommunizieren und die Gäste respektvoll willkommen zu heißen.
Den Auftakt gab nach der allgemeinen Einführung Martine van Kampen, Kuratorin der Land Art Flevoland, NL. Sie gab erst einen Überblick darüber, wo und was Land Art Flevoland genau ist. Ihr Hauptaugenmerk lag aber auf Marinus Boezems (1934, NL) Gothic Growth Project, das mittlerweile v.a. als The Green Cathedral bekannt ist. The Green Cathedral misst 150 x 75 Meter, wurde 1987 begonnen, 1996 feierlich enthüllt und befindet sich im Süden des Flevoland-Areals. Sie besteht mittlerweile aus 178 Bäumen, die den Grundriss der Kathedrale von Reims nachzeichnen und die Grundlinien der Wände in die Höhe wachsen lassen – Luft und Licht waren schon in der Gotik wichtige Gestaltungselemente. Ergänzt wird diese Land Art mittlerweile durch eine einige Jahre später entstandene Negativform desselben Grundrisses in einem kleinen, neu angelegten Waldstück schräg daneben – auch Counter-Cathedral genannt. So wird sowohl das Pflanzen und Wachsen neuer Bäume, aber auch die Aussparung derselben thematisiert – und damit sowohl Umweltschutz als auch deren Bedrohung. Bei allem ist die Natur die Inspiration und die taktangebende Religion. Nach und nach wurde diese Land Art zu einem wichtigen Ort für die Menschen der angrenzenden Gemeinde und bekam dadurch eine soziale Funktion: für öffentliche Veranstaltungen, für Familienfeiern und Vereinsausflüge oder auch einfach zum Spazierengehen durch diese oft ruhige, quasi-sakral aufgeladene Natur-Kunst.
Nach Martine van Kampen berichtete die Krakauer Kunstaktivistin Cecylia Malik (1975, Polen) von ihren Aktionen mit Bäumen, beginnend mit ihrem Kunstprojekt 365 Trees [Link: https://www.cecyliamalik.pl/en/trees/365Trees] aus dem Jahr 2009. Jeden Tag kletterte sie auf einen anderen Baum in und um Krakau, lieĂź sich dabei fotografieren und veröffentlichte diese Fotografien online in den sozialen Medien. Was als eine Art Baum-Tagebuch begann, war Dank der Sozialen Medien plötzlich öffentlich und wurde auch von den Medien beachtet. Dieses Projekt war ein wichtiger Wendepunkt im Leben und Arbeiten der KĂĽnstlerin und Aktivistin. 2017 gefährdete eine Gesetzesänderung den Baumbestand in Polen, was Malik erneut dazu veranlasste, ein kunstaktivistisches Projekt zum Schutz von Bäumen und gegen die groĂźflächige Rodung zu beginnen. Sie lieĂź sich diesmal auf einem Baumstumpf auf einer gerodeten Fläche fotografieren, während sie ihrem Baby die Brust gab. Damit zeigte sie u.a. auf, was diese Rodung fĂĽr unsere Zukunft, fĂĽr unsere Kinder bedeuten könnte. Nach und nach fand sie weitere MĂĽtter, die sich in dieser Situation mit ihr fotografieren lieĂźen. Daraus entstand das bildkräftige Fotografie-Projekt Polish Mothers on Tree Stumps (seit 2017), das auf Facebook viral ging und damit dazu beitrug, dass die ausschlaggebende Gesetzesänderung zurĂĽckgenommen wurde – ein groĂźer Erfolg fĂĽr Malik und fĂĽr die Natur.Â
Der dritte Redner des Abends war Bart Ensing (1960, NL), der seine poetischen Baum-Installationen, teilweise in Kombination mit Licht-Kunst, vorstellte. Ensing war zunächst nicht an Kunst interessiert, sondern an der Verbindung zwischen Mensch und Natur – in diesen speziellen Fällen zwischen den Betrachter:innen und den Bäumen, die in seine Installationen eingebunden sind. Die Kunst bot sich jedoch an, dieses Ziel zu erreichen. Nach und nach wurden seine Installationen erst begehbar, dann durch Fäden und Lichteffekte zu eindrucksvollen multimedialen Erfahrungsräumen. Die Form ändert sich mit der Zeit, doch das Ziel der Kommunikation zwischen Mensch und Natur bleibt bestehen.
Einen sehr anderen Ansatz, aber ein ganz ähnliches Ziel, verfolgt die Künstlerin Bianca Runge (1967, NL). Sie kreiert mit künstlichen, in Konsumgüter verpackten Baumstümpfen Objekten, Installationen oder Environments ein Kunsterlebnis, das die Betrachter:innen Nachhaltigkeit als wichtiges Werkzeug für den Naturschutz ganz unmittelbar erleben lässt. Zuerst nimmt man die Farben, den Glitzer, den Luxus wahr, bemerkt jedoch bei längerer Beschäftigung mit ihrer Kunst den warnenden Unterton. Die Bäume verschwinden unter dem ganzen Konsum, sie ersticken regelrecht daran. Durch die Möglichkeit, die Environments wie Labyrinthe in Serpentinen zu durchwandern, möchte Runge die Verbindung zwischen den Betrachter:innen und der (artifiziell inszenierten) Natur stärken. Ihre Arbeit Labyrinth of Memories (VI) von 2024 wurde zum Beispiel innerhalb einer ehemaligen Kirche präsentiert, wodurch der Eindruck einer gewissen Sakralität die Wirkung ihrer Botschaft noch verstärkte.
Die vier an diesem Abend vorgestellten Positionen unterschieden sich ebenso, wie sie sich auch sinnvoll ergänzten. Nach so viel inspirierendem Input blieben nach den Präsentationen keine Fragen mehr offen.
Text auf Deutsch geschrieben von Iris Haist.