Andreas MĂĽhe in der Galerie Bastian und im Kunstraum Dahlem
„Wie war’s in Berlin?“ Meine Tochter verband mit dieser Frage ein gewisses Unverständnis darüber, für nur wenige Stunden von München aus in die „große Stadt“ zu fahren. „Heraus-fordernd“, war meine Antwort. Zwei Ausstellungen des Fotografen Andreas Mühe standen im Mittelpunkt eines Sculpture-Network-Dialogues.
Anemone Vostell, Sculpture-Network-Koordinatorin in Berlin moderierte kenntnisreich, unterhaltsam und ohne Unwissende ausschlieĂźendes Kunst-Kauderwelsch.
In der „Galerie Bastian“ zeigt Andreas Mühe in seiner Ausstellung „Freitag – den 13.“ noch bis zum 16. November 2024 Szenerien in westdeutschen Gefängniszellen und in einem ostdeutschen Jugendclub. Mühe konfrontiert die Betrachter*innen in seinen Bildern mit den Ausgangs- und Endpunkten von politischen Gewalttäter*innen; Mörder – wie er es formuliert. In seinen Fotografien zeigt er die Gefängniszellen von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl-Raspe in Stuttgart-Stammheim sowie den Jugendclub in Jena, im dem sich Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt, und Uwe Mundlos angeblich kennenlernten.
Der erste Eindruck täuscht. Weder die Szenerien in den Gefängniszellen der RAF-Terroristen noch die Bilder aus dem Jugendclub sind Abbilder tatsächlicher Situationen. Mühe fotografiert im Studio. Er zeigt nicht wie es war, er inszeniert, wie es hätte gewesen sein können. Die schauspielenden Akteure versteckt er hinter Masken; den Totenmasken der RAF-Terroristen – ein perfides Spiel. Gudrun Ensslins Vater hatte 1977 um diese Masken gebeten. 45 Jahre später wurden sie Andreas Mühe angeboten. Heute lagern sie in seinem Panzerschrank.Mühe zeigt in seinen an Historienmalerei erinnernden Nahaufnahmen nicht eine Sicht auf die, sondern eine inszenierte Ansicht der Akteure. Er stellt sie zur Schau. Er zeigt eine Möglichkeit.
Vielleicht hätte es andere gegeben. „Niemand“, so Mühe, „wird als Mörder geboren“. Es gibt immer ein zweites Gesicht – eine andere Geschichte. Welche? Das muss jeder für sich entscheiden.
Mühes eindringliche Fotos sind in der hoch ästhetischen Umgebung der „Galerie Bastian“ eine Herausforderung. Diese Galerie ist ein cleaner, von dem britischen Architekten John Pawson entworfener Pavillon. Sie ist ein Gefäß für Kunst; eine klare Grundform, der nichts fehlt, der aber auch nichts mehr hinzuzufügen ist. Weniger geht nicht.
Vom Boden bis zum Dach reichen die schmalen Fenster. Hier lenkt nichts von der Kunst ab – das normale Leben ist weit weg. Das Draußen ist zwar sicht-, erlebbar ist es nicht. Der Ansatz ist eindeutig: Dieser Raum tritt niemals vor die dort gezeigte Kunst. Kunst ist hier Kunst – alles andere ist in diesen wohl proportionierten Räumen etwas anderes. Die Architektur ist aufgeladen mit der offensichtlichen Wertigkeit der verwendeten Materialien – Naturstein, Edelstahl und Glas. Die präzisen Bildkompositionen von Andreas Mühe stellen sich perfekt der Herausforderung dieses Raumes. Was ist wirklich, was Inszenierung, was Erwartung?
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Bunker als reale Räume der Geschichte
Ähnlich und doch ganz anders ist die Ausstellung im „Kunsthaus Dahlem“. Noch bis zum 06. Oktober 2024 ist dort Andreas Mühes Ausstellung „Bunker – Realer Raum der Geschichte“ zu sehen. Im ehemaligen Staatsatelier des Bildhauers Arno Breker; repräsentativ in bester Lage am Rande des Grunewalds im ehemaligen und heutigen „Eliteviertel“ Dahlem gelegen. Brekers Skulpturen für die Monumentalbauten der neuen Reichshauptstadt Germania sollten dort entstehen. Nach dem Zeiten Weltkrieg arbeiteten Emilio Vedova, Bernhard Heiliger und Wolf Vostell in diesen Räumen. Bis 2014 hatten hier Stipendiat*innen des DAAD ihre Ateliers.
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Im ersten Raum stehen die Besucher*innen vor einer Art Bühnenbild aus 6.000 Plüsch-Bunkern. Elf Typen historischer Bunkerbauten hat Andreas Mühe bei der „Spielzeugmanufaktur“ in Bad Kösen, in einem, für Kinderhände geeigneten Maßstab herstellen lassen. Mitten in der grauen Plüsch-Landschaft stehen farbenfrohe, originalgetreue Abgüsse von DDR-Spielplatzelementen. Die zylinder-förmigen Gebilde erinnern an die sogenannten Einmannbunker, die während des Zweiten Kriegs zu zehntausenden im Deutschen Reich aufgestellt wurden und den Menschen vermitteln sollten, hier Schutz zu finden. Ein trügerisches Versprechen. Bunker in Kinderhände oder Bunkerbad statt Bällebad, Mühe fordert die Besucher*innen heraus.
In nächsten Raum rückt dann der kulturphilosophische und kunsthistorische Kontext in den Vordergrund. An die Wände stehen Zitate des französischen Philosophen Paul Virilio aus dessen 1975 erschienenen Buch „Bunkerarchäologie“. Daneben sind Bilder unterschiedlicher Künstler*innen zu sehen. Die Annahme, Bunker seien sichere Schutzräume, erscheint Mühe angesichts heutiger Kriegs- und Waffentechnik obsolet. Bunker belegen für ihn die destruktive Kraft der Waffen, die jedes noch so sicher scheinendes Leben zerstören.
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Diesen Artikel verfasste Willy Hafner auf Deutsch.
Fotos von Willy Hafner und Anemone Vostell.
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