Stein Bruch Zeit & Skulpturensommer – ein Tagesausflug nach Pirna: Sandstein voller Leben
Zur Finissage der Jubiläumsausstellung des Berliner Bildhauersymposions SteinBruchZeit mit Kunstgespräch und einem Besuch des alljährlichen Pirnaer Skulpturensommers führt eine Dialogue-Veranstaltung von Sculpture Network, organisiert von Kulturmanagerin und SN-Koordinatorin Anemone Vostell, nach Pirna und findet „Sandstein voller Leben“ vor.
Die kolossale Verteidigungsarchitektur wird mit klassischer wie zeitgenössischer Skulptur konfrontiert und dadurch zu neuem Leben erweckt. Einem Leben, das sich mit Haltung. Haltungen der Vergangenheit, aber auch der Gegenwart stellt.
Unter diesem Titel vereint der Pirnaer Skulpturensommer 2024 figürliche Arbeiten von Christa Biederbick (DE), Laura Eckert (DE), Jakub Goll (CZ), Hermann Grüneberg (DE), Elisabeth Howey (DE), Michal Hradil (CZ), Aleš Hvízdal (CZ), Käthe Kollwitz (DE), Agnes Lammert (DE), Martin Malý (CZ), Dana Meyer (DE), Katja Neubert (DE), Sebastian Paul (DE), Tillmann Riemenschneider (DE), Julia Schleicher (DE), Siegfried Schreiber (DE) und Petr Šťastný (CZ) wie auch Installationen und Interventionen von Valentin Hertweck (DE), Michal Hradil (CZ), Juliane Jaschnow (DE), Julio Meiron (BR/DE), Irene Pätzug (DE) und Adam Velíšek (CZ).
Das Zusammenspiel historischer wie klassischer Plastiken von Käthe Kollwitz (Pieta, 1937 - 1938), Siegfried Schreiber (u. a. Mädchentorso mit gesenktem Kopf, 1980) sowie einer Replik von Tilman Riemenschneiders Maria (Original aus der Renaissance) mit zeitgenössischer Skulptur von Christa Biederblick (Mädchen auf rotem Tuch, 1971 - 1972), Agnes Lammert (Mud, 2016) oder Adam Velišek (Kinetic Sculpture Alley, 2019) überrascht und durchbricht sowohl die starre Umgebung als auch gewohnte Blickmuster.
Prof. Helmut Heinze (*1932), selbst Bildhauer und ehemals Professor für Plastik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, erinnert uns bereits vorab an die grausame Geschichte der unweit gelegenen Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein, in der in den Jahren 1940/41 unter den Nationalsozialisten nicht weniger als 13.720 vorwiegend psychisch kranke und geistig behinderte Menschen sowie mehr als tausend Häftlinge aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern ermordet wurden.
Im Vorfeld der Dialogveranstaltung zur Zeit des EU-Wahlkampfs erreichen mich sorgenvolle Rückfragen bis hin zu heftiger Kritik, warum ich im Zuge des allgemeinen Rechtsrucks vor allem in Sachsen diesen Tagesausflug überhaupt anbiete. Meine Haltung, dass gerade wegen dieser Entwicklung der Dialog von großer Bedeutung sei, bestätigt sich in vielerlei Hinsicht. Engagierte Menschen, Künstler*innen, Professor*innen und Kunstliebhaber*innen stellen Projekte wie diese vor Ort auf die Beine und eröffnen ein Narrativ der Haltung und Haltungen. Stoßen das Gespräch an, geben der Geschichte die Möglichkeit, erzählt zu werden, schaffen Verständigung mit dem Ergebnis des Erkennens.
Seit mehr als einer Dekade fährt Kuratorin Christiane Stoebe mit ihrem Wagen durch die Lande und besucht Ateliers, Museen und Sammlungen, um die Exponate zusammenzustellen. In diesem Jahr belebt sie mit Werken tschechischer Künstler*innen die kulturellen Beziehungen zum Nachbarland. Hier fallen vor allem die Arbeiten von Petr Štastny (Weight, 2019) und Michal Hradil (Construction, 2016) auf.
Kunstkritiker Marcel Fišer schreibt im Katalog zur Ausstellung: „Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die politische Situation völlig verändert, nachdem die Deutschen aus der Tschechoslowakei vertrieben worden waren und auf den Trümmern von Hitlerdeutschland gleich drei Staaten entstanden waren. Man möchte meinen, dass der Kulturaustausch am stärksten mit dem Staat hätte sein sollen, der zum sozialistischen Lager gehörte, als mit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Aber das Gegenteil ist wahr: Es existierten zwar die verschiedensten „Freundschafts-Ausstellungen“ auf der Ebene der Regionen, doch irgendeine repräsentative Schau der zeitgenössischen ostdeutschen Kunst, die etwa der Ausstellung Kunst der Bundesrepublik Deutschland im Prager Mánes im Jahr 1967 entsprochen hätte, hat es in der Tschechoslowakei nie gegeben. Ebenso konnten wir im Jahr 1988 in der Nationalgalerie in Prag eine große Ausstellung von Otto Herbert Hajek sehen, der noch in Böhmen geboren wurde und in den Jahren 1972 bis 1979 erster Vorsitzender des Deutschen Künstlerbunds war, also der offiziellen Organisation der westdeutschen bildenden Künstler, während sein Landsmann aus dem nordböhmischen Chrastava (Kratzau), Willi Sitte, der in den Jahren 1974 bis 1988 Präsident des Verbandes Bildender Künstler (VBK) der DDR war, eine derartige Ausstellung niemals erlebte. […] Dem Wesen der heutigen Situation, wo eindeutige Hierarchien und dominante Zentren verschwunden sind, entspricht jedoch eher die Metapher eines dichten Netzes von Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren des Kunstbetriebs auf den unterschiedlichsten Ebenen, in das sich auch die gegenwärtige Ausstellung einbringt.“[1]
Anlässlich des 50jährigen Jubliäums des „Berliner Bildhauersymposiums“ zeigt die Ausstellung „SteinBruchZeit“ im StadtMuseum Pirna Arbeiten von Eva Backofen, Günter Blendinger, Marguerite Blume-Cárdenas, Inka Gierden, Karin Gralki, Ursula Güttsches, Sigrid Herdam, Ulrich Jörke, Liz Kratochwil, Karl Möpert, Emerita Pansowová, Robert Schmidt-Matt, Karin Tiefensee, Annette Tucholke-Bonnet und Berndt Wilde, die über die Jahre im Steinbruch „Rheinhardtsdorf I“ geschaffen wurden. Sein feiner und gleichsam fester Elbsandstein zog Anfang der 1970er Jahre den Berliner Bildhauer Karl Möpert an, der 1974 das erste Berliner Bildhauersymposium im Steinbruch Reinhardtsdorf initiierte.
In dem von Detlef Schweiger moderierten Kunstgespräch reflektieren Bildhauerin und Organisatorin Marguerite Blume-Cárdenas (Berlin), Bildhauerin Ursula Güttsches (Dresden) sowie Robert Schmidt-Matt (Berlin) über die Entwicklung und Perspektiven des mittlerweile privatwirtschaftlichen Symposiums.
Ursprünglicher Schirmherr des „Berliner Bildhauersymposiums“ war damals der Verband Bildender Künstler der DDR mit Sitz in Berlin. An jedem Symposium nahmen sieben bis zehn Bildhauerinnen und Bildhauer aus Berlin und den Bezirken der DDR teil. Außerdem wurden Gäste aus Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Ukraine, Finnland und Österreich eingeladen. Der Kulturfond der DDR förderte das Symposium mit Stipendien, Kosten für Unterkunft, Steinmaterial, Werkzeugen und Transporten. Der VEB Elbenaturstein Dresden wurde Partner. Den Teilnehmenden stand jeweils 1/3 qm Stein zur Verfügung. Alle konnten frei ohne Vorgabe eines Themas arbeiten. Die fertigen Skulpturen blieben Eigentum der Künstlerinnen und Künstler. Einige davon befinden sich heute in Museen.
So war auch die in Bonn geborene Bildhauerin Ursula Güttsches als Studierende der Klasse Heinze in den Steinbruch gekommen, hatte sich am Elbsandstein ausprobieren können und ist dabeigeblieben. Der Stein fordert das gemeinsame Anpacken, besonders jetzt, wo es keine industriellen Brechwerkzeuge mehr gibt. Ingenieurswissen, wie das von Robert Schmidt-Matt, an welcher Stelle die einzelnen Keile gesetzt und dann der Reihe nach eingeschlagen werden, um den Block zu brechen, wird geteilt.
Später organisierten Berliner und Dresdner Bildhauerinnen gemeinsam mit dem Caritasverband für Dresden e.V. und der Gemeinde Reinhardtsdorf internationale Jugend- und generationsübergreifende Bürgerprojekte. Ein Skulpturenwanderweg verbindet heute Steinskulpturen in der Landschaft in und um Reinhardtsdorf, die während der internationalen Bildhauersymposien und anderer Projekte im Steinbruch entstanden sind.
Eine öffentliche Ausschreibung des Symposiums wird nicht angestrebt, sie hielte zu sehr von der künstlerischen Arbeit ab. Es gibt keine Website, kein Social Media, auch kein Archiv. Aber eine sehr informative Begleitpublikation zur Ausstellung.[3] Man kenne sich untereinander und sei offen für informelle Bewerbungen: Bei Interesse bitte bei Marguerite Blume-Cárdenas oder den anderen Teilnehmer*innen melden!
[1] Marcel Fišer: Zur Einführung in die Ausstellung, in: Pirnaer Skulpturensommer, KTP Pirna 2024
[2] Quelle: Dr. Teresa Ende, Eröffnungsrede „SteinBruchZeit“, Pirna 2024.
[3] SteinBruchZeit – 50 Jahre Berliner Bildhauersymposium im Steinbruch Reinhardtsdorf, Hrsg: Marguerite Blume-Cárdenas in Zusammenarbeit mit dem StadtMuseum Pirna, 2024. Zu bestellen per Mailanfrage an ursula@guettsches.de für 8,00 Euro inkl. Versand oder bis Jahresende 2024 im StadtMuseum Pirna für 6,00 Euro zu erwerben.