Theo Jansen, Umerus´t Stille strand, Foto: Loek van der Klis
Magazin

Vom Winde bewegt

Bei unserem Treffen des Online Clubs im November waren zwei besondere Gäste anwesend: die Künstlerin und Kuratorin Reita Reinl vom Festival Bewegter Wind in Deutschland und der vom Wissenschaftler zum Künstler konvertierte Theo Jansen, der Vater der Strandbeesten (Strandtiere). Ein wirklich inspirierendes Zusammentreffen!

Vagaram Choudhary
Vagaram Choudhary


Das Festival Bewegter Wind

„Es wird oft gesagt, der Wind sei eine Metapher für die Seele‟, so beginnt Reita Reinl ihren Vortrag über die Organisation Bewegter Wind. Es handelt sich um ein Kunstfestival unter freiem Himmel, das 601 Künstler*innen aus 37 Ländern und 710 Exponate zusammenbrachte. In den letzten Jahren konzentrierten sich die Festivalorte auf Nordhessen und die Umgebung von Kassel in Deutschland.

 

Die im Laufe der Jahre gezeigten Werke haben die unterschiedlichsten Formate und Formen, wie zum Beispiel die Installation Sanfika (2005) des surinamischen Künstlers Marcel Pinas, die aus Hunderten von Löffeln besteht, die in der Luft baumeln und ein Geräusch erzeugen, das an ein Windspiel erinnert. Oder die Arbeit Media (2012) des chinesischen Künstlers Wang Haiyuan, der Reispapiere aus biologisch abbaubarem Material, die er mit Smileys bedruckt, über die Felder verteilte, um so zu veranschaulichen, wie der Wind diese Papierschnipsel jeden Tag auf andere Art und Weise verteilte.

 

Wesolowski Bryk Konieczky
Wesolowski Bryk Konieczky

 

Jede Austragung steht unter einem neuen Motto, zu dem die Künstlerinnen und Künstler ihre Beiträge einreichen können: „Horizontwechsel”, 2016, „Wolken‟, 2018. Die letzte Veranstaltung im Jahr 2023 hatte das Thema „beyond ... darüber hinaus‟. Die estnischen Künstlerinnen Katri Pekri und Alide Zvorovski fertigten für die Ausstellung „Horizontwechsel“ beispielsweise winzige Porzellanstühle an, die sie auf einem Feld verteilten. Die Arbeit nahm nur zwei Quadratmeter ein, die Fotografien der Arbeit Auditorium (2016) spielen jedoch mit der Illusion des Betrachters und lassen die Landschaft, in der die Stühle stehen, riesig erscheinen. Ein weiteres Beispiel, gezeigt im Jahr 2018, ist die Arbeit der deutschen Künstlerin Judith Mann Cloud-Meat/Nebel-Aue (2018). Durch eine Nebelwolke, die konstant in einem Feld hängt, wird eine geheimnisvolle Atmosphäre erschaffen, die sich je nach Lichteinfall während des Tages verändert.

 

Geraldo Zamproni
Geraldo Zamproni

 

Bei jeder Austragung des Festivals werden drei Werke ausgewählt, die mit einem Preisgeld in Höhe von insgesamt 7.000 Euro prämiert werden. Der diesjährige erste Preis ging an die deutsche Künstlerin Anne Heilmann und ihr Werk „Vor dem Wind, Atlantik, Passatwindzone“ (2023). Ihr Kunstwerk scheint ein einfaches Gitter zu sein, in das kleine Fäden geknüpft sind. In Verbindung mit den poetischen Texten, denen die Besucher*innen lauschen konnten, werden Assoziationen zu den Winden hergestellt, die vom Atlantik kommen und durch Nordhessen ziehen und so die Veränderungen in der Formation der Fäden verursachen. 

 

Anne Heilmann_ Passatwindzone. Photo Anne Heilmann.JPG

 

Das nächste Festival wird im Sommer 2025 stattfinden. Auch wenn dies noch in weiter Ferne zu liegen scheint, sind die Organisator*innen von Bewegter Wind bereits jetzt schon auf der Suche nach Künstlerinnen und Künstlern mit neuen kreativen Ideen, sei es Land Art oder auch Performance. Die Möglichkeiten, die Fantasie mit dem Wind spielen zu lassen, sind zahllos.

 

Theo Jansens Strandtiere
https://www.strandbeest.com/

 

Es weht eine frische Brise, die Möwen kreischen über Ihrem Kopf, und die Wellen umspülen ruhig das Land. Während eines Strandspaziergangs sehen Sie plötzlich riesige Kreaturen, die den Sand aufwirbeln, auf sich zukommen. Dieses fantastisch anmutende Bild ist durch die Kunstwerke des niederländischen Künstlers Theo Jansen (1948) zur Realität geworden. Während des Online-Treffens „Vom Winde bewegt“ erzählt uns Jansen alles über seine kompliziert konstruierten Strandbeesten, die er aus gelben Plastikrohren herstellt und die am Strand von Scheveningen in der Nähe von The Hague im Wind laufen.

 

Theo Jansen about construction Strandbeesten. Photo_ Leigh Voges Melbourne 2010
Theo Jansen about construction Strandbeesten. Photo_ Leigh Voges Melbourne 2010

 

Die Moderatorin des Online-Treffens, Kuratorin Anne Berk, bemerkt, wie großartig seine Konstruktionen seien. Er antwortet, dass er in seiner Kunst nicht nach Schönheit strebe, sondern dass seine Kunstwerke zu funktionieren hätten. Wenn sie sich nicht von selbst bewegen könnten, sei das Experiment für ihn gescheitert. Sein Werdegang gibt Aufschluss über seine Haltung. Er hat sieben Jahre lang an der Technischen Universität in Delft Ingenieurswissenschaften studiert und sich dann entschieden, lieber zu zeichnen und zu malen. 

 

Er berichtet, dass das Jahr 1980 einen entscheidenden Wendepunkt in seiner künstlerischen Praxis darstellte, als er beschloss, ein UFO zu bauen, bei dem es sich im Wesentlichen um eine Ellipse aus elektrischen Röhren handelte, die mit schwarzem Agrarkunststoff überzogen und mit Heliumgas gefüllt war. Er lässt es über der Stadt Delft fliegen. In einem kurzen Fernsehausschnitt sehen wir, wie Anwohner und Polizei über das, was sie gesehen haben, überaus erstaunt sind und ihren eigenen Augen nicht trauen. Das UFO verschwindet in den Wolken und wird nie wieder gesichtet. Nach vier Tagen wird die Aufregung um das UFO beendet, als der Fernsehsender VPRO enthüllt, dass es sich in Wirklichkeit um ein Kunstwerk von Jansen handelte. 

 

Theo Jansen, Umerus´t Stille strand, Foto: Loek van der Klis
Theo Jansen, Umerus´t Stille strand, Foto: Loek van der Klis

 

Von diesem Moment an ist es Jansen nicht mehr möglich, zu malen. Stattdessen will er die Fantasie der Menschen anregen und beginnt, seinen technischen Hintergrund in seine Kunstpraxis einzubringen. So baut er beispielsweise eine Malmaschine, eine Kombination aus einer Camera Obscura und einem Drucker. Die Maschine kann Objekte über einen Lichtsensor erkennen und eine Kopie davon an die Wand malen.

 

Während dieser Zeit wird er auch Kolumnist für den Wissenschaftsteil der überregionalen Zeitung De Volkskrant. In einem seiner Artikel aus dem Jahr 1990 stellt er seine Idee der Strandbeesten (Strandtiere) vor, die dazu beitragen sollen, das Niveau der niederländischen Küste durch die Aufschüttung von Sand auf die Dünen zu erhöhen. Dies steht natürlich im Zusammenhang mit einem Problem, das von Tag zu Tag an Aktualität gewinnt: der Anstieg des Meeresspiegels und die gefährdete Lage der Niederlande (d.h. der Flachländer). Jansen ist sich dieser Problematik bewusst, auch wenn sich das Konzept seiner Arbeit von der Verlagerung von Sand dahin entwickelt hat, seinen Kreaturen zu ermöglichen, eigenständig in Herden umherzulaufen, wenn die Menschheit nicht mehr existiert. 

 

Seit Jahren erschafft er seine aufwendig konstruierten Strandbeesten (Strandtiere) aus Plastikrohren, die sich im Wind bewegen. Diese riesigen Konstruktionen mit den Ausmaßen von Dinosauriern sind eine Anlehnung an Raupen, Käfer und andere kleine Insekten. Es gibt Querläufer, die sich seitwärts bewegen, wie Krabben am Strand, aber es gibt auch Windläufer, die von großen weißen Segeln gezogen werden und sich an der Küstenlinie entlang bewegen. Einige von ihnen enthalten auch gepresste Luft in Limonadenflaschen, die sie vorwärts treibt. 

 

Theo Jansen, Animaris Umeris, 2009, Foto: Loek van der Klis
Theo Jansen, Animaris Umeris, 2009, Foto: Loek van der Klis

 

Jansen entwickelte seine kinetischen Strukturen mit Hilfe von evolutionären Berechnungsverfahren. Inspiriert durch das Buch „Der blinde Uhrmacher‟ von Richard Dawkins experimentiert er mit seinen Kreaturen jetzt nur noch in der Realität des Scheveninger Strandes. Dies steht im Einklang mit Dawkins Theorie, in der er das menschliche Schaffen der natürlichen Evolution gegenüberstellt und es mit einem blinden Uhrmacher vergleicht, der eine Uhr ohne jegliches Verständnis oder ohne eine Absicht „erschafft‟. Für Jansen sind seine Besuche am Strand ein Experiment mit Versuch und Irrtum. Er erzählt, wie es ihm den ganzen Sommer über nicht gelang, seine Strandbeesten dazu zu bringen, sich selbstständig zu bewegen. Erst im September, als das Wetter und die Windverhältnisse perfekt waren, konnte er seine zuletzt geschaffenen Strandbeesten zum Laufen bringen.

 

Man muss aber nicht in Scheveningen sein, um Strandbeesten zu sehen. Während der Coronapandemie konnte Jansen über seinen Youtube-Kanal viele Menschen weltweit mit dem Virus infizieren, selbst eine Strandbeeste zu bauen. Die Videos zeigen nicht nur wunderbare Bilder, sondern auch, wie die Strandbeesten gebaut werden und wie man verhindert, dass sie in einem Sandsturm begraben werden. Laut Jansen pflanzen sich Strandbeesten so am besten fort. Im Gegensatz zum Coronavirus, bei dem Schirme zwischen Menschen verwendet werden, um das Virus in Schach zu halten, ist der Schirm hier entscheidend, um andere zu inspirieren, ihre eigenen Strandbeesten zu bauen. 

Theo Jansen, Animaris Rhinoceros Airport Valkenburg 2004, Foto: Loek vander Klis
Theo Jansen, Animaris Rhinoceros Airport Valkenburg 2004, Foto: Loek vander Klis

 

 

Seine Strandbeesten werden inzwischen weltweit ausgestellt, zum Beispiel im Chiba Prefectural Museum of Art in Japan. Im Jahr 2016 war die Strandbeeste sogar in einer Folge der Comedy-Serie „Die Simpsons‟ zu sehen. Hoffen wir, dass es nicht mehr nur vom Zufall abhängt, ob man ein Strandtier entdeckt, sondern dass diese bald in riesigen Herden an den Stränden der Welt an uns vorbeiziehen werden.

 

 




Über den Autor/ die Autorin

Sietske Roorda

Sietske Roorda (Amsterdam, NL) ist eine niederländische Kunstkritikerin, Autorin und Podcasterin, die sich auf zeitgenössische Kunst spezialisiert hat und ein besonderes Interesse an politisch engagierter und feministischer Kunst hat.

Übersetzung

Sybille Hayek

Sybille Hayek ist Lektorin und Übersetzerin. Seit 2022 unterstützt sie unser Team ehrenamtlich mit ihrem geschulten Blick fürs Detail und einer großen Liebe zur Sprache.

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