Thomas Moreraam, 2011, gebrandschilderd glas-in-lood en versmolten glas, 650 x 120 cm, Christoffelkathedraal Roermond. Photo: Annemiek Punt Gallery
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Die Kunst von Annemiek Punt: Zwei abstrakte Glasfenster in zwei unterschiedlichen Kirchen

Glasmalerei kam erstmals im Mittelalter in Kirchen zur Anwendung, aber auch heute spielt diese Kunstform in religiösen Räumen immer noch eine wichtige Rolle. Die niederländische Künstlerin Annemiek Punt (geb. 1959 in Hengelo) hat in ihrer fast 45-jährigen Karriere viele abstrakt-expressionistische Glasarbeiten für Kirchen und andere spirituelle Räume geschaffen. Zwei ihrer bekanntesten Glasfenster finden sich in zwei sehr unterschiedlichen Kirchen in den Niederlanden.

Die Nieuwe Kerk (1381) in Delft in der Provinz Südholland ist eine reformierte Kirche und beherbergt die Krypten des Hauses Oranien-Nassau, während die Christoffelkathedrale (1410) der Sitz der Diözese Roermond in der niederländischen Provinz Limburg ist. Diese beiden bedeutenden religiösen Stätten veranschaulichen eindrucksvoll den Ursprung der Niederlande, der durch die religiösen Auseinandersetzungen im 16. Jahrhundert zustande kam: Oberhalb des Rheins wählte der größte Teil des Landes den neuen Glauben, während die Menschen unterhalb des Rheins katholisch blieben. 

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Nieuwe Kerk Delft Annemiek Punt. Photo: Atelier Galerie Annemiek Punt

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Nieuwe Kerk Delft Annemiek Punt. Photo: Atelier Galerie Annemiek Punt

Dies zeigt sich auch in den Innenräumen der Kirchen. Die Nieuwe Kerk in Delft ist, abgesehen von dem prunkvollen Mausoleum für Wilhelm von Oranien, mit ihren weiß verputzten Wänden und Säulen und den auf den Steinböden markierten Grabplatten nüchtern gestaltet. Beim Betreten der Christoffelkathedrale in Roermond könnte der Kontrast nicht größer sein: Es duftet nach Weihrauch, gregorianische Gesänge erfüllen den Raum, und die Kirche ist reich an sakralen Schätzen, angefangen bei einem Altar aus der Renaissance bis hin zu den Reliquien. 

The Daughter of Jaïrus, 2006, stained glass windows, 750 x 350 cm, De Nieuwe Kerk Delft. Photo: Sietske Roorda
The Daughter of Jaïrus, 2006, stained glass windows, 750 x 350 cm, De Nieuwe Kerk Delft. Photo: Sietske Roorda

Abstrahierte Stille

Das Fenster, das Punt 2006 für die Nieuwe Kerk in Delft schuf, kann als ihr Meisterwerk bezeichnet werden. Dieses 3,5 mal 7,5 Meter große Fenster ist ihre Deutung der Bibelerzählung über die Auferweckung der Tochter des Jairus. Von dieser Erzählung existieren unterschiedliche Versionen, im Wesentlichen geht es jedoch darum, wie Jesus ein sterbendes Kind errettet und heilt oder eben das bereits tote Mädchen wieder zum Leben erweckt. Annemieks Entwurf wurde im Rahmen eines Wettbewerbs ausgewählt, an dem sie als einzige Frau teilnahm. Offenbar sprach etwas in ihrem Entwurf die Kirchenkommission an, auch wenn jedes einzelne Mitglied eine andere Interpretation ihres abstrakten Werks vertrat.

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Nieuwe Kerk Delft Annemiek Punt. Photo: Atelier Galerie Annemiek Punt

In Punts Fenster wirbeln die Linien umher, ein Mittel, mit dem die senkrechten Linien, die wir normalerweise mit Glasfenstern assoziieren, aufgebrochen werden sollen. In der Mitte des Fensters ist das Gesicht eines Kindes in leuchtenden gelben, grünen und roten Farben zu erkennen. Es wird von zwei riesigen gelben Händen umschlossen und von kühlen Farben wie Blau, Grün und Violett umrahmt. Inspiriert wurde Punt zu dieser Arbeit durch ein altes Foto ihres Sohnes, das auf ihrem Tisch lag, gerade in dem Moment, als ein Sonnenstrahl darauf fiel. 

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Nieuwe Kerk Delft Annemiek Punt. Photo: Atelier Galerie Annemiek Punt

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Nieuwe Kerk Delft Annemiek Punt. Photo: Atelier Galerie Annemiek Punt
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Nieuwe Kerk Delft Annemiek Punt. Photo: Atelier Galerie Annemiek Punt

Um das Werk von Annemiek Punt zu verstehen, ist es jedoch nicht notwendig, diese Hintergründe zu kennen oder gar die im Werk enthaltenen Formen und Symbole zu entschlüsseln. Die Formen, Linien und Farben sprechen für sich selbst. Punt setzt in ihrem Werk eine kreisförmige Bewegung ein, die dem Betrachtenden ein Gefühl der Geborgenheit vermittelt, ein Gefühl, wie man es aus der Zeit kennt, als man klein war und von seinen Eltern getröstet wurde. Es erinnert uns auch an die Verletzlichkeit eines kleinen Kindes, die man spürt, wenn wir es in unseren Händen halten. Diese Wärme wird durch die Lage des Fensters an der Westseite der Kirche verstärkt, die dem Kunstwerk bei Sonnenuntergang einen warmen Schein verleiht. Das Fenster bringt ein Gefühl von Einfühlungsvermögen und Menschlichkeit in die kalte, würdevolle Umgebung der fast kahlen Kirche.

Thomas Moreraam, 2011, gebrandschilderd glas-in-lood en versmolten glas, 650 x 120 cm, Christoffelkathedraal Roermond. Photo: Annemiek Punt Gallery
Thomas More Annemiek Punt. Photo: Atelier Galerie Annemiek Punt

Die Kraft der Abstraktion

Ein Jahr später wurde sie vom Architekten Piet Mertens, der von ihrer Arbeit in der Nieuwe Kerk in Delft beeindruckt war, gebeten, ein Fenster für die Christoffelkathedrale zu gestalten. In ihrem abstrakten Fenster im Baptisterium findet sich die einzige unmittelbare Bedeutung, die man ableiten kann, in der unteren linken Ecke. Neben der Signatur der Künstlerin steht der Name „Thomas More‟, ein Verweis auf den englischen Anwalt, Richter, Staatsmann, Philosophen und Humanisten. Die Motivwahl traf ein ehemaliger Richter, der als anonymer Spender die Ausführung dieses Fensters ermöglichte und die Lebensgeschichte des Schutzpatrons der Staatsmänner und Politiker als Inspiration lieferte.

Diese Darstellung entspricht nicht der üblichen Darstellung eines Heiligen, wie etwa Johannes des Täufers, Marias oder Christus. In Punts Fenster spiegelt sich das bewegte Leben von Thomas Morus. Thomas Morus (1478 bis 1535) wurde durch sein Buch „Utopia‟ (1516) berühmt, in welchem er seine Vorstellung einer idealen Gesellschaft beschreibt, in der das Allgemeinwohl über das Eigenwohl gestellt wird. Er lebte allerdings auch in einer sehr turbulenten Zeit, die von religiösen Konflikten zwischen Katholiken und Protestanten und dem Entschluss König Heinrichs VIII. geprägt war, sich von seiner Frau Katharina von Aragon scheiden zu lassen, um Anne Boleyn zu heiraten. Dies führte letztlich zur Abspaltung der anglikanischen Kirche vom römischen Katholizismus. Als der Katholik Morus sich weigerte, seinen Monarchen als das Oberhaupt der Kirche anzuerkennen, wurde er zum Tode verurteilt und enthauptet.

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Thomas More Annemiek Punt. Photo: Atelier Galerie Annemiek Punt

Lässt man seinen Blick über das Fenster gleiten, ist einem kein Moment der Ruhe vergönnt. Das Gewirr der Linien wirkt überwältigend. Die Farbe Gelb dominiert und füllt den zentralen Bereich des Fensters aus mit gelegentlichen Ausbrüchen von Rot, die das kühle Grün und Blau zu verdrängen scheinen. Die Farben lassen die religiösen Auseinandersetzungen erkennen. Rot steht natürlich für die Leidenschaft des katholischen Glaubens, symbolisiert aber auch das Blut Christi und auch das von Morus, das für den Glauben vergossen wurde. Durch die Wahl der Abstraktion schafft Annemiek Raum für die eigene Interpretation des Betrachters. Wir sehen hier keinen heroischen Heiligen, was durchaus angebracht ist, denn Morus ist eine umstrittene Persönlichkeit. In seiner idealistisch geprägten „Utopia‟ setzt er sich für Religionsfreiheit ein, als Kanzler Heinrichs des VIII. verfolgt und foltert er jedoch Protestanten wegen Ketzerei und verurteilt sie zum Scheiterhaufen.

Diese Spannung ist in Punts Fenster sichtbar, wo sich die Linien durchkreuzen und die Farben in starkem Kontrast zueinander stehen. Der einzige Halt, den die Augen bekommen, sind die kräftigen aufsteigenden diagonalen Linien, die von der linken unteren Ecke zur rechten oberen Ecke verlaufen. Erst wenn man den Blick nach oben schweifen lässt, verlaufen die Linien parallel, und die Farben werden hell und leuchtend. Punt hat einmal mehr ein Fenster geschaffen, das mit seiner prächtigen Umgebung im Einklang steht und gleichzeitig das dargestellte Heldentum in Frage stellt. 

Beide Werke korrelieren also mit ihrer Umgebung, fordern sie aber gleichzeitig auch heraus. Dabei bleibt die Künstlerin ihrem charakteristischen abstrakt-expressionistischen Stil treu, bei dem das Thema der Form und der Gestalt des Werks untergeordnet ist. Um diese Formen entwickeln zu können, ist sie eine der wenigen Künstlerinnen, die in der Lage sind, die Techniken der Glasmalerei mit der Technik der Glasfusion zu verbinden. Letztendlich sind es das Glas und das Licht, mit denen sie uns ihre Empfindungen vermittelt und diesen jahrhundertealten religiösen Stätten einen neuen Geist verleiht.

Dieser Artikel wurde für Sculpture Network angepasst und wird auszugsweise im Buch über Annemiek Punt veröffentlicht, das 2024 erscheinen wird.


Thomas Moreraam, 2011, gebrandschilderd glas-in-lood en versmolten glas, 650 x 120 cm, Christoffelkathedraal Roermond. Photo: Annemiek Punt Gallery
Thomas Moreraam, 2011, gebrandschilderd glas-in-lood en versmolten glas, 650 x 120 cm, Christoffelkathedraal Roermond. Photo: Annemiek Punt Gallery

 

Über den Autor/ die Autorin

Sietske Roorda

Sietske Roorda (Amsterdam, NL) ist eine niederländische Kunstkritikerin, Autorin und Podcasterin, die sich auf zeitgenössische Kunst spezialisiert hat und ein besonderes Interesse an politisch engagierter und feministischer Kunst hat.

Übersetzung

Sybille Hayek

Sybille Hayek ist Lektorin und Übersetzerin. Seit 2022 unterstützt sie unser Team ehrenamtlich mit ihrem geschulten Blick fürs Detail und einer großen Liebe zur Sprache.

Galerie

Thomas Moreraam, 2011, gebrandschilderd glas-in-lood en versmolten glas, 650 x 120 cm, Christoffelkathedraal Roermond. Photo: Annemiek Punt Gallery
Thomas Moreraam, 2011, gebrandschilderd glas-in-lood en versmolten glas, 650 x 120 cm, Christoffelkathedraal Roermond. Photo: Annemiek Punt Gallery

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