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Verbier 3-D – Skulpturenparkresidenz

Im Herzen der Schweizer Alpen findet sich die Stiftung Verbier 3-D. Diese kulturelle Non-Profit-Organisation widmet sich der Förderung von zeitgenössischer Kunst, Umweltbewusstsein und Bildung mithilfe ihrer Künstlerresidenz und ihrem Skulpturenpark.

Gegründet wurde diese Vorreiterorganisation im Jahr 2010 von den Künstlerinnen Madeleine Paternot (New York) und Kiki Thompson (Verbier). In 2.300 Meter Höhe erschuf die Stiftung in der atemberaubenden alpinen Landschaft von Verbier (Schweiz) einen Skulpturenpark und organisiert seitdem eine experimentelle und lehrreiche Künstlerresidenz.

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Stiftungsleiterin Kiki Thompson und Kuratorin Alexa Jeanne Kusber mit Künstler Olaf Breuning während seiner Residenz 2017

 

In den vergangenen zehn Jahren unterstützte die Stiftung bereits 32 internationale und Schweizer Kunstschaffende. Der forschungsorientierte Aufenthalt drängt Künstler:innen aus ihrer Komfortzone und ermöglicht damit Entwicklungen und neue Werke, die die Arbeit im Studio vielleicht nie zugelassen hätte. Kerngedanke der Residenz ist es, das Studio zu verlassen, in die Natur zu gehen, zu forschen, zusammenzuarbeiten, zu denken, handeln, schaffen und zu kommunizieren.

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Chloe Dewe Mathews vor Ort während ihrer Residenz 2016

Das Residenzprogramm ist inzwischen zu einem unvergleichlichen Kunstzentrum für Forschung zu zeitgenössischen Kunstpraxen und Umwelt ausgewachsen. Es formt eine interdisziplinäre Plattform für kreativen Dialog zwischen Experten verschiedenster Gebiete: von Ingenieur:innen, Gletscherforscher:innen, Geolog:innen und Historiker:innen zu (Wünschel-)Rutengänger:innen, Bergführer:innen, Musiker:innen, Gurus und der breiten Öffentlichkeit. Das Programm strebt danach, das kollektive Denken zu stärken, nach ergebnisoffener Forschung, nach Theorie als Praxis, nach kreativem Wissenserwerb, nach grenzüberschreitendem Zugang zur Öffentlichkeit und der Entwicklung neuer Werke außerhalb institutioneller Bande.

Co-kurariert wird die Residenz von Alexa Jeanne Kusber und Paul Goodwin. Sie bieten den Künstler:innen während ihres Aufenthalts persönliche, kuratorische Unterstützung, sowohl aus akademischer Sicht als aus praktischer Perspektive. Die beiden eigenständigen aber unterstützenden Positionen dienen dem kritischen Denken und dem weiteren Ausbau der Arbeit der Künstler:innen.

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The Forever Museum Archive: Dome and Double Nymph_An Architectural Template for Spiritual Worship (zu Deutsch etwa: Das ewige Museumsarchiv: Kuppel und doppelte Nymphe_Ein architektonisches Modell für spirituelle Verehrung) von Onyedika Chuke im Skulpturenpark

 

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Olaf Breuning, Save the Climate!, 2017

Den teilnehmenden Künstler:innen wird als Startpunkt ihrer Forschung ein Thema zugeteilt. Thematiken wie das Anthropozän, Migration, Wasser inspirieren und bieten Impuls für neue Werke. Highlights der vergangenen Jahre waren unter anderem ‚Auf der Suche nach Frankenstein‘ – eine Exkursion in unterirdische Bunker zusammen mit Fotografin Chloe Dewe Mathews; ‚Save The Climate!‘, in dessen Rahmen mit Surrealist Olaf Breuning die Veränderungen der Alpen untersucht wurden; und ‚Listen to a Changing Environment‘ – ein öko-akkustischer Versuch zusammen mit Klangkünstler Philip Samartzis, die Veränderungen der Umwelt wahrzunehmen.

Während der Residenz entstehen jedes Jahr wieder neue Werke auf dem Gebiet der ‚Climate Research Art‘, Kunst also, die sich den klimabedingten Veränderungen der Umwelt widmet, diese dokumentiert und zum Nachdenken darüber anregt. Die Werke werden im Skulpturenpark der Verbier 3-D Stiftung für minimal zwei Jahre ausgestellt.

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In Search of Frankenstein (zu Deutsch etwa: Auf der Suche nach Frankenstein), Fotoserie von Chloe Dewe Mathews während ihrer Residenz 2016

 

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AERO CAB-Testlauf in Verbier mit Künstler James Capper

Der Skulpturenpark ist das ganze Jahr über geöffnet und umfasst einen drei Kilometer langen Fußmarsch durch die Berge entlang einer sich stets entwickelnden Ausstellung von Multimediawerken. Alle ausgestellten Werke entstanden in Verbier von Künstler:innen wie James Capper, Onyedika Chuke, Gregory Coates, Karsten Födinger, Tarik Hayward, Yak Ové, Will Ryman, Josette Taramarcaz und vielen anderen. Zusammenarbeit gab es bereits mit Kunstschaffenden wie Natalie Ball, Sanford Biggers und Gramazio Kohler. 

Besucher:innen jedweden Alters sind herzlich willkommen, die Forschungsergebnisse der Künstler:innen zu begutachten und selbst mehr zu lernen über die Vernetzungen von Klima, Wissen und Kunst in derselben alpinen Umgebung, die auch die Kunstwerke inspirierte.

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In Search of Frankenstein von Fotografin Chloe Dewe Mathews während ihrer Residenz 2016

Bildung als Weg zur Einbeziehung örtlicher Gemeinschaften und der Öffentlichkeit formt seit ihrer Gründung das Herzstück der Stiftung. Sowohl online als offline wird jährlich ein diverses Kursprogramm auf die Beine gestellt, womit Zugang zu einem erweiterten Verständnis für gegenwärtige Kunst, unser sich stetig verändernden Umwelt und Dialog zwischen Kunstschaffenden und Gemeinden geschaffen wird. Als Teil der Kunstresidenz gibt jede/r teilnehmende Künstler:in an den örtlichen Schulen einen Einblick in ihre/seine Arbeit. Dazu gibt es Vorträge, Kunstführungen auf E-Bikes, Klangführungen, online Masterklassen, Bastelanleitungen für Kinder zu Hause, künstlerische Inspiration, Brotbacken und öko-akkustische Playlisten.

Ganz im Sinne ‚Wir können alle noch etwas voneinander lernen‘ unterstützt die Stiftung so viele vernetzende Bildungsinitiativen wie nur möglich für einen größtmöglichen Effekt.

Für das Jahr 2022 hat die Stiftung das Künstler:innenkollektiv Fragmentin als Artists in Residence eingeladen. Während des Aufenthalts soll der Schwerpunkt auf der Arbeit an einem Skulpturwerk liegen, das sich mit dem globalen Thema von Wasser und Klimawandel auseinandersetzt und Inspiration aus den Materialien, Technologien und dem ökologischen Wissen über und in der umliegenden Landschaft von Verbier zieht.

Die Künstler:innen beginnen ihre Forschung im Rahmen der Obsologie – eine Neuschöpfung aus den Wörtern Obsoleszenz und Archäologie. Fokus der Untersuchung ist die post-digitale Archäologie der Gletscherlandschaft.

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Interference Cube (zu Deutsch etwa: Einwirkungswürfel) von Gramazio Kohler im Skulpturenpark

 

Wie werden künftige Archäolog:innen unsere Kultur studieren? Werden unsere Bemühungen in Hinblick auf Digitalisierung und Klimawandel von bleibendem Effekt sein? Welche Spuren werden wir für künftige Generationen hinterlassen, um uns zu erinnern? Und welche Form werden diese Spuren annehmen?

Fragmentin ist ein Künstler:innenkollektiv aus Lausanne (CH) aus dem Jahr 2014 und besteht aus den Künstler:innen Laura Perrenoud, David Colombini and Marc Dubois. Die Arbeit von Fragmentin befindet sich an der Schnittstelle zwischen Kunst und Ingenieurwesen und untersucht den Einfluss des Digitalen aufs alltägliche Leben durch Technologie in Fragen von Kontrolle und (In)Transparenz zu durchleuchten. Inspiration fand das Kollektiv u.a. bei Alain Damasio, Eric Sadin und James Bridle. Die Ergebniss von Fragmentins Arbeit wird oft umschrieben als Orte für Diskussion zu aktuellen Schlüsselthemen wie z.B. Klimawandel. Mithilfe von Installationen, Video, Austausch und Performance entmystifizieren die Kunstwerke aus dem Studio komplexe Systeme und decken Spannungsfelder zwischen aufkommenden Technologien, der Gesellschaft und der Umwelt auf.

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FRAGMENTIN im Jahr 2021 neben ihrem Werk Paraboles ulx-56834

 

Die Arbeiten von Fragmentin waren bereits vielerorts zu sehen, darunter in der Schweiz im Haus der elektronischen Künste HeK (Basel, CH), in der Kunsthalle Zürich (CH), beim Mapping Festival (Genf, CH), bei der Landart Biennale Art Safiental (Tenna, CH), in der NOV gallery (Genf, CH) und bei la Becque (La Tour-de-Peilz, CH). Die Installationen des Trios reisten des weiteren zum ZKM (Karlsruhe, DE), ins Jeu de Paume (Paris, FR), zum Kunstraum (Wien, AU), zum Centre Culturel Suisse (Paris, FR), zur Prager Quadrennial of Performance Art and Space (Prag, CZ), zum Mirage Festival (Lyon, FR) und zum Getxophoto festival in Bilbao (E), zur Cairotronica (Ägypten), zum Shenzhen media art festival (China), zur Cello Factory Gallery (London, UK), zum National Theatre (London, UK) und zur York Art Gallery (York, UK).

Die Künstlerresidenz mit Fragmentin ist geplant für den Monat April; die Präsentation der neuen Werke findet am 2. Juli 2022 statt.

Autorin: Alexa Kusber

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Alexa Jeanne Kusber ist eine amerikanische freischaffende Kuratorin und Kunstschaffende. Sie arbeitet zur Zeit in Zürich in der Schweiz. Im Laufe ihrer Karriere blieb ihr Fokus stets bei Fragen rund um die Idee des Kuratierens und deren steter Erweiterung. Sie arbeitet als kuratorische Leiterin bei der Verbier 3-D Stiftung und daneben auch an freistehenden Projekten, die sie begeistern.

Übersetzung: Sophie Kulik

Veröffentlicht im März 2022

Titelbild: N1-Observatory (zu Deutsch etwa: Observatorium) von FRAGMENTIN, 2000, Art Safiental

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