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Die Macht der Erinnerung: Denkmäler als Thema im Online-Club

Denkmäler sind im öffentlichen Raum allgegenwärtig. Sie sind ein wichtiger Identitätsbaustein, bewahren Erinnerungen und können gewaltige Symbolkraft entfalten. In unserer aktuellen Ausgabe des Online-Clubs haben wir mit den Kunstschaffenden Linda Verkaaik (NL), Michael Zwingmann (DE) und Elo Liiv (EE) darüber gesprochen, welche Botschaften hinter ihren Denkmälern stecken. Dabei wurden auch ernste Töne angeschlagen.

Sculpting Society – das aktuelle Jahresthema von sculpture network lässt viel Interpretationsspielraum und kann auf ganz unterschiedliche Konzepte und Kunstrichtungen übertragen werden. Es gibt jedoch eine Kunstform, die ganz besonders aktiv daran beteiligt ist, die Gesellschaft zu formen: das Denkmal. Ihm haben wir daher einen ganzen Abend gewidmet.
Denkmäler und nationale Identität sind intrinsisch miteinander verbunden. Denkmäler können eine gemeinsame Geschichte enthüllen und am Leben halten, sie können etwas erzählen und Bildung vermitteln, und sie können nicht zuletzt Menschen zusammenbringen. Drei Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen europäischen Ländern teilten in der neuesten Ausgabe des Online-Clubs von sculpture network vom 7. März 2022 ihre Perspektiven auf die Funktion und Aussagekraft von Denkmälern mit einem überaus interessierten Publikum von über dreißig Personen aus der ganzen Welt. Dabei kamen ganz unterschiedliche Verständnisse von Nationalität und Identität zum Tragen, aber auch ganz unterschiedliche künstlerische Ansätze, die dennoch alle eines gemeinsam haben: Diese Skulpturen sollen alle Menschen erreichen. Die aktuelle weltpolitische Lage schwang in den Gesprächen deutlich mit, sodass es ein emotionaler und bewegender Abend wurde.

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Linda Verkaaik, National Monument for the victims of the flooding of the island of Marken, NL, 2016


Auf den Wellen der Erinnerung

Den Anfang machte Linda Verkaaik aus den Niederlanden mit ihrem Het Nationale Watersnood Monument, das 2016 enthüllt wurde, als sich die Flutkatastrophe der Insel (heute Halbinsel) Marken von 1916 zum hundertsten Mal jährte. Die Sturmflut kostete sechzehn Menschen das Leben und ist eine von vielen Flutkatastrophen, mit denen die Niederlande in ihrer langen Geschichte zu kämpfen hatten und aufgrund des Klimawandels mehr und mehr werden kämpfen müssen. Lindas wellenförmig angeordnetes Menschenschiff mit seinen bunten Segeln beeindruckt durch seine Komplexität und Vielschichtigkeit, wobei die nautischen und marinen Bezüge in jedem Detail durchschimmern. Jedem Element des Denkmals wohnt eine gewaltige Symbolkraft inne: Die ausgestreckten Arme der Menschen erinnern zugleich an Ertrinkende und an helfend entgegengereckte Hände. Gemeinsam formen sie die Welle, die ihren Untergang bedeutete, aber zugleich ihre Einheit symbolisiert, gemeinsam formen sie das rettende Schiff, die Arche.

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Es wird durch den Sturm getragen von Segeln aus farbig bedrucktem Acryl, mit Mustern, die den traditionellen Trachten der Gegend entsprechen. Im Zuge von Globalisierung und stetig wachsendem Tourismus verschwinden diese Eckpfeiler einer regionalen Identität mehr und mehr, bleiben hier jedoch bewahrt als ein Symbol der Hoffnung, das bei Nacht als Leuchtturm aufs Meer hinausstrahlt. Eine Bank am Fuße des Denkmals lädt zur Interaktion mit dem Kunstwerk ein und macht es möglich, Geschichte und Erinnerung in den Alltag der Menschen zu integrieren. Aber nicht nur die Lebendigkeit und Vielschichtigkeit des Monuments, seine Interaktion mit Umwelt und Betrachtenden hinterließen einen bleibenden Eindruck beim Publikum, sondern ganz besonders auch seine aufwendige technische Umsetzung. Das angeregte Fachsimpeln in der anschließenden Diskussion brachte einige Interessierte zusammen, die ihre Unterhaltung sicher auch nach dem Online-Club fortsetzen werden.

Michael Zwingmann, Hannah Arendt Gymnasium, Barsinghausen, DE 3
Michael Zwingmann, Wo sind wir, wenn wir denken, Hannah Arendt Gymnasium, Barsinghausen, DE


Abstraktion eines Gedanken

Im zweiten Teil des Abends verschob sich der Fokus weiter gen Westen, Richtung Hannover (DE), wo Michael Zwingmann im Auftrag der Dr. Elke Reimers Stiftung ein Denkmal für die große deutsche Philosophin Hannah Arendt schuf. Wo sind wir, wenn wir denken ist ein ganz aktuelles Werk des Hannoveraner Künstlers und wurde erst 2021 vor dem Hannah-Arendt-Gymnasium Barsinghausen enthüllt. Es trägt den Fähigkeiten und Ideen der ebenfalls in Hannover geborenen Denkerin Rechnung, die vor allem als Beobachterin der Eichmann-Prozesse und aufgrund ihrer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich internationale Bekanntheit erlangte. Im Zuge dieser Tätigkeit prägte sie den einflussreichen Begriff der „Banalität des Bösen“ für das nationalsozialistische Regime in Deutschland, dessen Opfer sie aufgrund ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit selbst war. Ihre überragenden intellektuellen Fähigkeit in Kombination mit ihrer jüdischen Identität nahm Michael zum Ausgangspunkt für seine Skulptur: Er ließ sich von der Form des menschlichen Gehirns und seinem neuronalen Netz leiten und kombinierte diese Idee mit der Konstruktion eines geodätischen Doms, in dessen Struktur sich je nach Perspektive ein Davidstern erkennen lässt. Sein Denkmal ist als Durchgang im öffentlichen Raum konzipiert, als interaktiv und dadurch integriert in die Lebensrealität der Generationen nach Hannah Arendt. Ihre Ideen bleiben so ein lebendiger Teil der Gesellschaft.

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Dazu passt es hervorragend, dass ergänzend zu der Skulptur an zehn Orten auf dem Schulgelände QR-Codes angebracht sind, die weitere Informationen zu ihrer Person und zum Denkmal enthalten. Sie laden zur Auseinandersetzung mit dieser wichtigen Figur der deutschen Geschichte ein und können stetig aktualisiert werden.
Die Aktualität der Auswirkungen eines totalitären Regimes wie dem, dessen Aufarbeitung sich Hannah Arendt ihr Leben lang widmete, wurde uns an diesem Abend durch den Einwurf einer Teilnehmerin schmerzlich bewusst, die den Blick auf die Situation in Russland lenkte, insbesondere auf die dort lebenden Künstlerinnen und Künstler. Vielen von ihnen drohen Repressionen, weil sie sich gegen den Krieg in der Ukraine aussprechen.

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Elo Livv, II MS Memorial to the fallen Hiiumaa in Kärdla, Estonia, 2012


Der weite Weg zur Unabhängigkeit

An diese tragische Aktualität knüpfte die estnische Künstlerin Elo Liiv nahezu nahtlos an, indem sie die Geschichte der Unabhängigkeit Estlands schilderte, das sich erst 1991 von der Sowjetunion lossagen konnte. Ausschlaggebend dafür war vor allem der friedliche Protest der Estinnen und Esten, die zwischen 1987 und 1991 jede Woche singend für die Freiheit demonstrierten.

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Elo Liiv, Monument Kaliu Lepik, 2020

Mit ihrer Schilderung dieser sogenannten Singing Revolution sendete die Künstlerin eine Botschaft der Hoffnung in die Ukraine und nach Russland: Ihr flammendes Plädoyer für ein friedliches, vereintes Aufbegehren des Volkes war zutiefst bewegend. Dieselbe Botschaft trägt sie auch mit ihren Skulpturen weiter. Ein Land, dessen Denkmäler, die Symbole seiner Geschichte, von der sowjetischen Besatzungsmacht nahezu komplett ausradiert wurden, sucht eine neue Identität, eine Repräsentation dessen, was es ausmacht – und findet sie in der Kunst. Elo gestaltet realistische Denkmäler von Persönlichkeiten, die den estnischen Unabhängigkeitsbestrebungen maßgeblich zum Erfolg verholfen haben – eine ganz andere Stilrichtung als bei vielen anderen ihrer Werke.

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Sie sieht ihre Arbeit als Beitrag zu einer neuen Repräsentation estnischer nationaler Identität, die sich die Bevölkerung mühsam erkämpfen musste und die sich im öffentlichen Raum nach und nach erst neu formen muss. Dabei würdigt sie Akteure verschiedener Epochen: Jaan Poska, der nach dem Ersten Weltkrieg die Friedensverhandlungen mit Russland leitete, ebenso wie Kalju Lepik, einen Dichter und Freiheitskämpfer des späteren 20. Jahrhunderts, und nicht zuletzt die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten. Im Vordergrund steht für sie das Menschliche dieser Personen, die Möglichkeit für die Betrachtenden, Nähe zu diesen historischen Figuren und Geschehnissen aufzubauen. Ihre Denkmäler sollen eine positive Botschaft in die Welt hinaussenden, eine Botschaft der Hoffnung und des Friedens.

Am Ende dieses bereichernden und doch ernsten Abends blieb dies als wichtigste Botschaft zurück: Für den Frieden lohnt es sich zu kämpfen. Und es lohnt sich, Erinnerung lebendig zu halten. Denkmäler können dafür ein wichtiges Werkzeug sein.

 

Autorin: Sophie Fendel, März 2022

Coverbild: Elo Liiv, Monument of Jaan Poska at park of Tallinn, 2016

 

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