Die neue Dreifaltigkeit: Virologie, Keimfreiheit und Hygiene.
Andreas Schmittens Ausstellung SESSHAFT in Berlin.
Der Wow-Effekt ist garantiert, wenn man die Nave, wie der als Kirchenschiff konzipierte Raum heute von der König Galerie genannt wird, betritt. St. Agnes wurde 1967 von Werner DĂŒttmann als Werk des Brutalismus erbaut und 2015 vom ArchitekturbĂŒro Brandlhuber sehr einfĂŒhlsam zum Ausstellungsort umgestaltet. Es handelt sich um einen Raum von 35 Metern LĂ€nge, 12 Metern Breite und einer Höhe von 20 Metern, dessen WĂ€nde aus Spritzputz bestehen. Oberlichter und vertikale LichtbĂ€nder sorgen fĂŒr indirektes Licht. FĂ€llt das Sonnenlicht direkt ein, und genau das geschah wĂ€hrend meines Besuches, dann erfolgt ein Spiel von Licht und Schatten und fĂŒgt dem Ausstellungsgeschehen ein weiteres grafisches Element hinzu.
WeiĂe Skulpturen, Solarium, ZahnbĂŒrste, Madonna, so der erste Eindruck, bespielen die StĂ€tte einem Filmset gleich. Der Bildhauer, der bereits als Kind Modelle von StĂ€dten und RĂ€umen anfertigte, spĂ€ter bei Georg Herold in DĂŒsseldorf studierte, drei Jahre in Los Angeles lebte, um sich in Hollywood die 3D-Technik anzueignen, arbeitet sowohl mit Computeranimation als auch traditionell handwerklich. In LA beeindruckte ihn, dass Bars, Restaurants und GeschĂ€fte inszeniert sind, als seien sie Kulissen, was in einer Stadt, die TrĂ€ume verfilmt, nicht weiter verwundert.
Schmittens Farbpalette besteht aus WeiĂ, Hellblau und Rosa, seine Formen sind organisch und seine Konstruktionen erinnern an die menschliche Gestalt. Da werden einerseits die 50er Jahre zitiert, die fĂŒr einen 1980 Geborenen ja bereits Geschichte sind. Andererseits denkt man an einen anderen KĂŒnstler, den Maler David Hockney, dessen anthropomorphe Formen auf den GemĂ€lden in den 90ern, ebenfalls in Los Angeles entstanden, sehr viel Ăhnlichkeit mit Schmittens Skulpturen haben. Hockney, der aus dem regenreichen Nordengland stammt, staunte sehr ĂŒber âdie Amerikaner, die immer duschenâ, was er in vielen GemĂ€lden, die MĂ€nner unter der Dusche zeigen, festhielt. Seine Poolbilder stellen einen anderen Aspekt kalifornischer Lebensart dar.
Vor noch gar nicht allzu langer Zeit waren amerikanische Hygiene-Gewohnheiten fĂŒr EuropĂ€er*innen Ausdruck US-typischer EigentĂŒmlichkeiten. Aber seit Corona stieg auch hierzulande die Bedeutung von HygienemaĂnahmen. Beim Versuch, das Virus einzudĂ€mmen, haben wir hĂ€ufig unsere HĂ€nde desinfiziert, Masken getragen und voneinander Abstand gehalten. Unter diesem Eindruck gestaltete der KĂŒnstler die bereits vor der Pandemie geplante Ausstellung in verĂ€nderter Form.
Gezeigt werden vier freistehende Skulpturen und mehrere skulptural bespielte Vitrinen. Becken, Pissoirs, Arme, Beine, FĂŒĂe, HĂ€nde tauchen auf und verschmelzen miteinander. Das lĂ€sst das berĂŒhmteste Ready-made der Kunstgeschichte, nĂ€mlich das im SanitĂ€rgeschĂ€ft erworbene Urinal mit dem Titel âFountainâ, assoziieren. Marcel Duchamp hatte es mit âR. Mutt 1917â signiert und verkehrt herum in einer Galerie aufgehĂ€ngt. Aber bei Schmitten haben wir es mit Handwerk zu tun. Es handelt sich um Bronze, die in einem höchst aufwĂ€ndigen Verfahren so lackiert und handpoliert wurde, dass ihre OberflĂ€che scheinbar dieselbe wie die einer Badewanne oder ToilettenschĂŒssel ist.
Wir beten nicht mehr zur Jungfrau Maria und die heutige Dreifaltigkeit heiĂt Virologie, Keimfreiheit und Hygiene. Diese neuen Göttinnen inszeniert Andreas Schmitten in einer ehemaligen Kirche auf spektakulĂ€re Weise.
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Titelbild: Andreas Schmitten Sesshaft (c) Roman MĂ€rz