Papierskulpturen auf der Biennale in Lucca
Die Kunstausstellung der Lucca Biennale ändert ihren Namen und ihr Format! Mit einem reichhaltigen Ausstellungsprogramm, das sich der „Papierkunst“, dem Design und der Architektur widmet (einschließlich Debatten sowie Workshops für Kinder), erreicht sie eine internationale Dimension. Unter den Teilnehmenden ist eine der meist fotografierten Künstlerinnen, unser Mitglied Manuela Granziol, die wir für Sie interviewt haben.
Dass die Skulptur in Italien einen Moment der Lebendigkeit erlebt, haben viele ExpertInnen und KunstliebhaberInnen in den letzten Jahren bemerkt.
Das Fehlen einer prestigeträchtigen Veranstaltung wie der Carrara Biennale, die 2010 nach der denkwürdigen Ausgabe von Fabio Cavallucci abrupt unterbrochen wurde, wiegt schwer. Aber das Interesse der Öffentlichkeit wächst dank der Initiativen von Vereinen, Galeristen, Museen, WissenschaftlerInnen und SammlerInnen aus der Region.
Dies ist der Hintergrund für den qualitativen Sprung, den die in Lucca ansässige Ausstellung Cartasia mit dieser neunten Ausgabe, die am 4. August eröffnet wurde und bis zum 27. September läuft, vollzogen hat. Nach 14 Jahren (die erste Ausstellung fand 2004 statt) wurde der Name der Veranstaltung von Cartasia in Luccabiennale geändert. Und wie bei jeder Biennale wird die internationale Dimension der Veranstaltung betont.
Für diese Ausgabe unter dem Motto „Chaos und Stille“ haben die Organisatoren beschlossen, China offiziell einzuladen; eine symbolische Aktion gegenüber einer Nation, die seit über 2000 Jahren Hüter der ältesten Papiertradition der Welt ist.
Merkwürdigerweise scheint eine Biennale, die dem Papier gewidmet ist (flache Oberfläche par excellence), vor allem durch dreidimensionale Arbeiten zu glänzen. Die Bilder, die die Besucher von Cartasia (pardon, Luccabiennale) nach dem Besuch mit nach Hause nehmen werden, sind sicherlich die Bilder der großen und spektakulären monumentalen Papierskulpturen, die dank des Residenzprogramms der Organisation für eine internationale Gruppe ausgewählter KünstlerInnen entstanden sind.
Wie sicher bereits deutlich geworden ist, handelt es sich bei der Luccabiennale nicht nur um eine Sammlung „monumentaler“ Skulpturen, sondern auch um eine Design- und Architekturschau. Die Ausstellung gliedert sich in einen Außenbereich auf den Plätzen des Zentrums und einen Innenbereich im Palazzo Ducale und im Palazzo del Carmine.
Zwei der sechs KünstlerInnen, die Residenzen in der Luccabiennale gewonnen haben, sind auch sculpture network Mitglieder. Wir konnten uns die Gelegenheit eines Interviews nicht entgehen lassen und so entschieden wir uns, Manuela Granziol, die in Lucca mit einer der meist fotografierten Arbeiten anwesend ist, zu kontaktieren (Anmerkung der Redaktion: Ute Deutz, die zweite ausgewählte Künstlerin, musste aus logistischen Gründen ablehnen).
Wir haben Manuela am Telefon erreicht und ihr einige Fragen zu ihrer Teilnahme an der Outdoor-Sektion der Luccabiennale gestellt.
Manuela Granziol lebt und arbeitet zwischen London und Varese. Nach ihrer Ausbildung zur Ökonomin in Zürich widmete sie sich der zeitgenössischen Kunst, nachdem sie nach England gezogen war. Sie promovierte in zeitgenössischer Kunst und definiert sich heute als Künstlerin, aber nicht als Bildhauerin, denn ihr Tätigkeitsfeld umfasst nicht nur Skulptur und Installation, sondern auch Fotografie sowie zahlreiche Ausflüge in die verschiedensten Bereiche.
Hallo Manuela, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Arbeit auf der Luccabiennale! Liminal space, ausgestellt auf der Piazza Guidiccioni, ist eine monumentale Pappskulptur, die ein junges Mädchen darstellt, das mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden sitzt und dessen Oberfläche mit einem Mosaik von Päckchen aus Zeitschriftenseiten bedeckt ist.
Erzählen Sie uns, wie Sie hier gelandet sind. sculpture network hat die Ausschreibung für diese Biennale veröffentlicht, warum haben Sie sich für die Teilnahme entschieden?
Ich zog im September von London nach Varese, sah den Call für Lucca und schickte zwei Projekte ein, eines für Outdoor und eines für Indoor. Ich war mir sicher, dass sie mich nicht auswählen würden, weil Liminal Space kein in einem einzigen Monat umsetzbares Projekt zu sein schien. Ich dachte, ich hätte eine bessere Chance für den Innenbereich, also war ich überrascht zu sehen, dass ich unter den Halbfinalisten war. Als ich das Modell anfertigte, war ich beeindruckt, wie gut es gelang. So gut, dass es dann für Plakate und alle Werbemittel der Veranstaltung verwendet wurde.
Können Sie uns sagen, wie der Arbeitsprozess war? Viele BildhauerInnen wissen nicht viel über die Möglichkeiten, die Papier als Skulpturmaterial bietet.
Ja, auch ich war von der Stärke des Kartons überrascht. Es war das erste Mal, dass ich an einer so großen Skulptur gearbeitet habe, vor allem mit Karton. Es waren noch sechs weitere KünstlerInnen im Außenbereich, von denen einige ausschließlich mit Papier arbeiten. Sie sind wirklich sehr gut, ich habe viel von ihnen gelernt.
Haben Sie eine traditionelle Armatur benutzt? Haben Sie ein bestimmtes Finish verwendet oder war es ein von vorneherein geplanter Verfall?
Ich habe nur wenige Holzstreben als Armatur benutzt, denn die Arbeit muss allen Eventualitäten standhalten. Dann war da noch die Pappstruktur, die bedeckt war. Ich habe am Ende des Prozesses einen Lack aufgetragen, aber ich glaube nicht, dass er viel bewirken wird. Wir werden sehen, wenn es regnet. Zuvor habe ich alle kleinen Pakete, die dann die Oberfläche der Skulptur bedecken sollten, mit einem Kleber überzogen. Diese 10.000 Pakete sind alle mit Seilen verbunden; bei dem schwarzen und dem weißen Seil sprechen wir von insgesamt mehr als 16 km!
Hatten Sie eine Art Berater für dieses Projekt?
Ja, während der Residenz haben wir viel Hilfe erhalten, von IndustrieexpertInnen, BildhauerInnen und vielen Studierenden.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um unser Gespräch zu erweitern: Wie würden Sie das Panorama der zeitgenössischen Skulptur heute beschreiben? Haben Sie eine persönliche Vorstellung?
Es ist eine sehr interessante Zeit, ich sehe keinen einzigartigen, sondern einen pluralistischen Stil. Würde man heute versuchen, ein Buch über Skulptur zu schreiben, würden drei Klassen nicht ausreichen, um die verschiedenen Trends zu unterscheiden. Das Feld der Bildhauerei ist zu weit. Ich interessiere mich für fragmentarische Dinge, und da die Skulptur so fragmentarisch ist, ist es ein Feld, aus dem wirklich interessante und neue Ideen entstehen.
Ich glaube, dass unsere LeserInnen Ihre Meinung als Künstlerin über die Biennale von Lucca interessieren würde. Was waren Ihrer Meinung nach die stärksten Werke? Was hat Sie inspiriert?
Das Schönste war, die monumentalen Werke in situ und die beiden Indoor-Ausstellungen zu sehen, da wir Outdoor-KünstlerInnen nur während der Arbeit davon hörten. Das technische Niveau und die Kreativität sind beeindruckend. Trotz der Vielfalt der verschiedenen Arbeiten gibt es einen roten Faden zwischen den beiden Ausstellungen, der mich sehr fasziniert hat. Ich mochte auch Gianfranco Gentils Performance zum Thema Migranten und die zwei Tage des Gesprächs, die ich sehr interessant fand.
Was die Arbeitsprozesse betrifft, war es für mich sehr anstrengend. Neben der Entstehung der großen Pappskulptur gab es auch noch die Erschöpfungsphase während der Arbeit am Mosaik, das ich in einer Woche gemacht habe, Tag und Nacht, obwohl ich zwei Wochen Arbeitszeit eingeplant hatte.
Schwierigkeiten hatte ich auch bei der Übertragung von kleinem Model zu großer Skulptur. Die Leute, die nach Lucca gehen, sehen die kleine Skulptur nicht und merken es daher nicht. Zumindest kann man sich ein vages Bild machen, wenn man sich das Plakat der Veranstaltung ansieht, auf der sie reproduziert wurde.
Sie haben zwei zeitlose Themen angesprochen, die Klassiker: Müdigkeit in der Bildhauerei und das Problem der Übertragungen oder Erweiterungen. Normalerweise sprechen wir darüber, wenn wir über die Tradition des Marmors nachdenken: Michelangelo, Canova, Wildt. Es ist schön, bestimmte Themen mit einem Plastikgenre zu kombinieren, das so frisch wie die Papierskulptur ist. Das Problem der Übertragung ist sowohl ein Vorteil als auch ein Risiko, das der Bildhauer übernehmen muss. Das gehört zum Spiel.
In welchem Verhältnis stehen Sie als Künstlerin zum System der zeitgenössischen Kunst?
Ehrlich gesagt, als Künstlerin ärgere ich mich darüber, dass ich einen Lebenslauf vorlegen muss. Meine Arbeiten sind nicht leicht zu verkaufen, daher bin ich für eine Galerie nicht interessant. Auch weil ich immer Techniken wähle, die sehr lange dauern, sehr aufwendige Verfahren erfordern. Ich hätte eine Skulptur nur aus Karton wählen können ... und stattdessen habe ich mein Leben durch die Wahl von 10.000 Päckchen in allen möglichen Größen erschwert. Ein Prozess, der eine Ewigkeit dauert. Selbst wenn ich fotografiere, werden die Fotos zusammengestrickt, und für eine dieser Strickarbeiten brauche ich etwa sechs Monate.
Als Künstlerin wären Sie nicht daran interessiert, auf spezialisierten Kunstmessen wie Sculto in Spanien, Milano Scultura oder in Karlsruhe aufzutreten?
Ich habe nichts gegen Galerien und Messen; im Gegenteil, je mehr meine Arbeiten ausgestellt werden, desto mehr kann ich mit anderen kommunizieren. Aber meine Werke sind schwer zu verkaufen, also denke ich nicht, dass es passieren wird. Siehe zum Beispiel meine Arbeit Inferno mit schrecklichen Fotos von den Toten im Irak. Wer will so ein Werk in seiner Wohnung aufhängen? Ich will es auch nicht!
Wie kann ein Netzwerk wie unseres Ihrer Meinung nach zur Entwicklung der bildenden Kunst, insbesondere der KünstlerInnen, beitragen?
Seit ich sculpture network beigetreten bin (vor weniger als einem Jahr, ich bin ein neues Mitglied), haben viele weitere Leute meine Webseite besucht. Auch als ich mich bewarb, schrieb ich „member of sculpture network“ ... nun, meiner Meinung nach hat es geholfen. Da ich neu in Italien bin, möchte ich neue Kontakte zu BildhauerInnen knüpfen, eine Ausstellung organisieren und in Italien wiederholen, was ich in England aufgebaut habe. Ich habe immer noch meine Kontakte in Großbritannien, aber ich denke, ich werde sculpture network nutzen, um die Möglichkeiten zu erweitern, neue Leute kennen zu lernen.
Ich bin sicher, dass Sie auch in Italien die richtigen Leute für neue Projekte finden werden. Vielen Dank, dass Sie sich als sehr interessante KünstlerIn präsentiert haben.
Wir laden alle Leser ein, sich einen Tag in Lucca zu gönnen, um die Arbeit von Manuela zu sehen. Bis zum 27. September ist noch Zeit, nicht nur das Werk von Manuela, sondern auch die Werke von KünstlerInnen aus der ganzen Welt zu sehen, darunter die verschiedenen GewinnerInnen der Residenz für die monumentale Outdoor-Ausstellung. Angefangen beim Veteranen James Lake (Paperman) über den Slowaken Jakub Novak (Living Space), die französisch-peruanische Künstlerin Eugenie Taze-Bernard (Silent shell, chaotic shell), den Chinesen Wu Wai Chung (No more messages), den Inder Ankon Mitra (Images and sounds of the cosmos) bis hin zum amerikanischen Team von Dosshaus (The Path of Paradox).
Titlebild: Foto Alessandro Casalini
Autor: Nicola Valentini
Der italienische Kunsthistoriker, der sich auf zeitgenössische Bildhauerei und neue Technologien spezialisiert hat, hat kürzlich ein Praktikum bei uns in München angefangen.