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Kunst ist auch nur ein Ort

Wer hat Recht? Die Kunst, der Ort, die Macher, die Menschen? Timian Hopf hat einen Film über ein Kunstprojekt im Südtiroler Gadertal gedreht. Im Mittelpunkt stehen weniger die Kunstwerke, sondern die dort lebenden Menschen und wie sie umgehen müssen mit zeitgenössischen Plastiken, Skulpturen und Installationen, die sie (vielleicht) gar nicht brauchen.

Sankt Martin in Thurn liegt in der Mitte des Tals. Vorne liegt der Kronplatz. Dort stehen die Seilbahnen, sind die Attraktionen und blüht das Geschäft. Der Kronplatz ist einer der Hotspots im Südtiroler Wintertourismuszirkus. Overtourism? Ja – aber: jährlich 1,8 Millionen Nächtigungen und über 250 Millionen Euro Umsatz. Wer will da meckern. Der Kronplatz dient der ganzen Region als Werbetrommel, heißt das im Tourismusdeutsch. Der ganzen Region? Nicht wirklich. Weiter hinten in Sankt Martin ist es ruhig. Zu ruhig! Hat sich Michael Moling, Chef einer örtlichen Marketing- und Kommunikationsagentur gedacht. Er ist der Initiator der SMACH – das Kürzel für „San Martin Art Culture & History“; eine Kunstbiennale, die seit 2012 im Gadertal zwischen Badia und St. Vigil in Enneberg stattfindet. Zeitgenössische Kunst, eingebettet in die Landschaft der Südtiroler Dolomiten, das war die Idee dieser nicht wirklich barrierefreien Ausstellung. Wer wandert schon 65 Kilometer und mindestens 500 Höhenmeter bergauf, um Kunst zu sehen?

Poster Elevated Art

Der im Allgäu (einer Region, in der es hohe Berge gibt) geborene Timian Hopf hat im Sommer 2023 gemeinsam mit dem Kameramann Toni Bihler die alle zwei Jahre von einer Jury ausgewählten Künstler im Gadertal bei ihrer nicht immer leichten Arbeit begleitet. Unter dem Titel „Elevated Art – Wer Kunst auf die Berge stellt“ ist seit Juli 2025 sein 74 Minuten langer Dokumentarfilm deutschlandweit im Kino zu sehen. Der Titel ist bewusst gewählt. Er spielt mit der Mehrdeutigkeit des Wortes „elevated“: Ist Kunst „erhaben“ oder „erhebend“? In Hopfs Film spielt jedoch die von den Machern von SMACH angestrebte Symbiose zwischen Kunst und Landschaft eher eine Nebenrolle. Eine Hauptrolle spielen die Menschen, die mit der Kunst leben sollen. Einige sehen sich ihres Mitspracherechts beraubt sind eher gegen als für mehr Tourismus oder klagen über verschwendete Gelder („Die Kunst von Michelangelo, da Vinci und van Gogh kann man wenigstens verstehen“). Andere sprechen von einer „Verschandelung der Landschaft“. Wieder andere – allen voran die Macher – engagieren sich für das Projekt und widersprechen. Beide Seiten kommen in dem Film gleichberechtigt zu Wort. Der Film wertet nicht. Timian Hopf und sein Kameramann Toni Bihler setzen die Meinungen beider Seiten reportagenartig ins Bild.

Elevated Art, Anuar Portugal auf dem Weg zur Installation seines Kunstwerks
Elevated Art, Anuar Portugal auf dem Weg zur Installation seines Kunstwerks

Der Film zeigt die Künstler bei ihrer nicht immer leichten Arbeit, ihre erdachte Kunst in der freien und hin und wieder widerwilligen Natur zu verwirklichen. Einige scheitern an ihren eigenen Ideen („Luft ist billiger als Helium“) andere an ihrer Ausdauer („Wir müssen uns jetzt ausruhen.“) Der Film zeigt die Menschen, die ihre Schwierigkeiten haben mit diesem (Kunst-)Projekt und er zeigt die Macher, die – allen voran Michael Moling – alles daransetzen (hier repariert der Chef den nicht gefüllten Wasserschlauch persönlich), dass die Ideen der Künstler dort zum Stehen kommen, wo sie stehen sollen. Ein, das geht nicht, darf es nicht geben. Die Südtiroler (Bergsteiger-)Legende Reinhold Messner versucht als eine Art Kunsterklärer Klarheit zu schaffen: „Jeder Künstler ist ernst zu nehmen, auch wenn er Müll hinterlässt“. 

Elevated Art, Installation des Kunstwerks Disintegration von Anthony Ko
Elevated Art, Installation des Kunstwerks Disintegration von Anthony Ko

Die Arbeiten stehen in keinem „White Cube“ und es muss auch nicht jeder verstehen, warum aus einem ‚Schtadl‘ mit viel Aufwand, Seilen und Gestängen ein Ballon werden soll. Sind die Werke gut gemacht, dann lösen sie in den Menschen etwas aus. Wenn nicht? Dann sind sie nicht gut gemacht.

Timian Hopf hat einen Film gedreht, der nicht wertet, der unparteiisch zeigt, wie die Situation ist, wenn neue Ideen auf tradierte Strukturen und seit langem gelebte Gewohnheiten treffen. Im Juli startete der Film im Rahmen eines „Sculpture-Networks-dialogs“ in die deutschen Kinos.

Unter dem Titel „Experience Dolomiten: Kunst in den Bergen“ findet vom 11. bis 14. September eine von Timian Hopf für sculpture network organisierte Reise nach Brixen/Bressanone und St. Martin in Thurn statt. Die Reise ist ausgebucht. Es gibt allerdings eine Warteliste.  

 

 

 

Über den Autor/ die Autorin

Willy Hafner

Willy Hafner ist Münchner Kunsthistoriker und organisierte 2019 zusammen mit Eva Wolf und Angelika Hein das erste und zweite Sculpture Network Lab. Seitdem berichtet er für uns von spannenden Skulptur-Projekten in Deutschland und darüber hinaus. Er ist Mitglied des Patronatskomitees des Centro Internazionale di Scultura und hilft, die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung des Projektes zu unterstreichen.

Übersetzung

Elka Parveva-Kern

Elka Parveva-Kern unterstützt Sculpture Network seit 2024 als Übersetzerin - eine wunderbare Gelegenheit, ihr langjähriges Interesse an Sprachen und Kunst zu verbinden.

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