Underwater Haze mit Trevor Yeung
Trevor Yeung ist ein interdisziplinär arbeitender Künstler, der lebendige Systeme – oft unter Einbeziehung von Tieren und Pflanzen – formt, um sich mit dem Prozess der zwischenmenschlichen Beziehungen auseinanderzusetzen. Die Kestner Gesellschaft in Hannover zeigt mit der Einzelausstellung Underwater Haze die bisher umfangreichste Ausstellung von Yeungs Werken in Europa. Wir sprachen mit ihm über seine künstlerische Praxis und den Arbeitsprozess des Zusammenspiels mit lebendigen Systemen.
Seit wann arbeiten Sie mit lebendigen und organischen Materialien wie Wasser und Pflanzen?
Während meines Studiums an der Academy of Visual Arts der Hong Kong Baptist University begann ich, Pflanzen und lebendige Systeme in meine künstlerische Praxis zu integrieren. Da die Kunstakademie, an der ich in Hongkong studierte, keine disziplinspezifischen Abschlüsse anbot, war meine Praxis von Anfang an sehr disziplinübergreifend. Als Künstler sehe ich mich als jemand, der gierig nach neuen Materialien sucht, und ich denke, das eröffnet mir die Möglichkeit, jedes Material zu verwenden, das ich möchte. Pflanzen, Aquarien und Fische waren schon immer mein Hobby, lange bevor ich Künstler werden wollte. Aus diesem Grund hatte ich bereits viel Wissen darüber, wie diese Systeme funktionieren.
Dies basiert weitgehend auf meinen Erfahrungen, die ich beim Aufwachsen in Hongkong gemacht habe. Da alle in kleinen Apartments wohnen, muss man sich diese Art von Systemen einrichten, um eine Verbindung zur Natur oder eine Art Garten zu haben.
Warum nutzen Sie in ihren Arbeiten diese Art von technischen Systemen – Rohre, Wasserbecken, Geräte zur Pflanzenanzucht, Gerüste – als Metapher für Fürsorge und soziale Verbindungen?
Mich fasziniert es herauszufinden, wie Systeme funktionieren, die Lebewesen wie Pflanzen oder Tieren Raum bieten. Ich glaube, wer Haustiere hat, vollzieht einen Akt der Fürsorge, was ein schönes und befriedigendes Gefühl ist. Andererseits kann es zu einem Kontrollverlust kommen, wenn unerwartete Faktoren Auswirkungen auf die Pflanze oder das Tier haben. Das kann jedoch auch positiv sein, weil dann das Subjekt die Kontrolle übernimmt. Statt dies als eine Manipulation bzw. einen Eingriff in ein Umfeld zu sehen, empfinde ich es als Akt der Fürsorge und Zuwendung. Auf dieser Vorstellung basieren meine Ästhetik und mein Stil als Künstler.
Bevor ich ein bestimmtes Thema oder Subjekt für ein Kunstprojekt auswähle, muss ich zunächst verstehen, wie das zugrunde liegende System funktioniert. Pflanzen züchte ich beispielsweise zuerst an, um herauszufinden, was sie zum Wachsen und Überleben brauchen. Ich muss mich dem Subjekt sehr nahe fühlen, um es sicher in meinen Arbeiten einsetzen zu können.
Für meine Arbeit verwende ich ausschließlich praktische, industriell gefertigte und konfektionierte Materialien. So lenke ich die Aufmerksamkeit des Publikums auf die im Kunstwerk vorhandenen Systeme. Wenn ich von Anfang an etwas ästhetisch Schönes kreiere, verlieren die Betrachtenden die Idee und die Absicht hinter dem Kunstwerk aus den Augen. Wenn man jedoch das richtige, bereits konfektionierte Material verwendet, sieht man dieses nicht nur als Träger, sondern auch, wie es mit den Pflanzen zusammenarbeitet. Ich benutze industriell vorgefertigte Materialien auch gerne, weil sie wiederverwendet oder an die Galerie zurückgegeben werden können. Besonders gern verwende ich außerdem Materialien, die es in der Umgebung und in der Nähe bereits gibt.
Ihre Arbeit steht immer im Einklang mit den ortsspezifischen Bedingungen der Ausstellungsräume sowie der Stadt, in der die Ausstellung stattfindet. Wie war es bei dieser Ausstellung? Wie hat sie sich entwickelt?
Ich glaube, dass die Ausstellung in der Kestner Gesellschaft ein wirklich gutes Beispiel dafür ist, wie ich Räumlichkeiten im Zusammenhang mit meiner Arbeit verstehe. Als ich die Einladung des Kurators Alexander Wilmschen erhielt, begann ich, mich über Hannover zu informieren, da ich bis dahin noch nie in dieser Stadt gewesen war.
Ich war sehr beeindruckt von den Ausstellungsräumen sowie von der Geschichte des Gebäudes. Ursprünglich war es ein öffentliches Schwimmbad, daher die riesigen Fenster und das viele Licht. Es erinnerte mich sofort an ein Gewächshaus. Als ich das sah, wusste ich, dass ich hier mit vielen verschiedenen Pflanzen arbeiten könnte.
Im Rahmen Ihrer Recherchen in Hannover besuchten Sie auch die Herrenhäuser Gärten. Wie hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Wenn ich auf Reisen bin, besuche ich immer botanische Gärten, um zu sehen, wie sie verwaltet werden. Ich finde Gewächshäuser mit üppig wachsenden, überwuchernden Pflanzen immer spannend und interessiere mich dafür, wie sie gestützt und stabilisiert werden. Das ist etwas, das den Kern der Ausstellung berührt.
In meiner künstlerischen Praxis beschäftige ich mich damit, wie wir als Gesellschaft mit Übersättigung umgehen. Dies ist das zentrale Thema der gesamten Ausstellung. Mein besonderes Interesse gilt dem fragilen Moment, in dem wir ein neues Gleichgewichtsgefühl entwickeln oder die Übersättigung zulassen.
Wenn ein Baum zu hoch ist, kann man ihn entweder fällen oder Stützen anbringen. In gewisser Weise ist das die Spannung, auf die ich mit dieser Ausstellung den Fokus setzen möchte. Ein Beispiel hierfür sind die Kakteen in den Gewächshäusern der Herrenhäuser Gärten, die durch Stützen stabilisiert werden. Dieses Prinzip habe ich in der Installation Underwater Haze umgesetzt.
Die Ausstellung ist in drei verschiedene „Zonen“ aufgeteilt. Warum haben Sie sich für diese Art der Aufteilung entschieden?
Die Ausstellung erstreckt sich über drei Räume, und ich habe überlegt, wie ich diese miteinander verbinden könnte. Meine Idee war, dass die Besucher:innen jeden Raum mehrfach durchlaufen. Zwei der Räume werden durch Wasserrohre verbunden, sodass man vom einen in den anderen Raum läuft und wieder zurückgeht. Auf diese Weise entsteht ein aktiver Gesamtraum.
Wie wird sich die Ausstellung im Laufe der Zeit verändern? Was glauben Sie?
Das Moos im Springbrunnen wird offensichtlich weiterwachsen. Auch die Seerose im blauen Raum wird sich verändern. Da Seerosen wärmere Temperaturen bevorzugen und es in Hannover kälter wird, wird das meiner Meinung nach ebenfalls Auswirkungen haben.
Die Kakteen und die Palmen sind 60 bis 70 Jahre alt, daher erwarte ich bei ihnen keine Veränderungen. Wir hatten wirklich Glück, dass wir diese wunderschönen Kakteen ausleihen konnten. Ich wünschte, ich könnte sie behalten. Das ist auch für die Ausstellung wichtig, denn die Kakteen existieren bereits seit 70 Jahren, während die Ausstellung gerade mal drei Monate ihres Lebens repräsentiert. Wenn man sich diese Zeitspanne vor Augen führt, könnte man meinen, die Ausstellung habe keine besondere Bedeutung für die Lebensdauer der Kakteen.
In gewisser Weise erlebt man die gesamte Ausstellung wie einen Lebenszyklus. Einer der schönsten Aspekte dieser Art von Ausstellungsarbeit ist, dass sich die Ausstellungen mit der Zeit verändern und anschließend ein anderes, ein eigenes Leben führen.
Die Kestner Gesellschaft in Hannover zeigt Trevor Yeungs Einzelausstellung noch bis zum 16. November 2025. Redundant Lovers, eine weitere Ausstellung des Künstlers, ist vom 18. Oktober bis zum 22. November 2025 in der Galerie Allen in Paris zu sehen.