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Über Schönheit und Zerstörung

Die Arbeiten des niederländischen Künstlers und Keramikrestaurators Bouke de Vries hinterfragen unsere Vorstellungen von Perfektion und suchen stattdessen nach Schönheit in Zerbrechlichkeit und Zerstörung. Der Künstler schöpft aus seiner umfangreichen Erfahrung mit der Reparatur zerbrochener, beschädigter Gegenstände, um einzigartige ‘explodierte’ Stücke zu schaffen. Durch die Praxis der Dekonstruktion zelebriert er, wie er sagt, "traumatische Schäden als integralen Bestandteil der Geschichte des Objekts" und versieht sie mit einer ganz neuen Geschichte und einem neuen Wert.

Indem sie die Grenzen zwischen Kunst und Handwerk, Vergangenheit und Gegenwart verwischen, fordern diese ‘explodierten’ Werke auch dazu auf, über die Begriffe Eigentum und Wert nachzudenken. Ich sprach mit Bouke de Vries darüber, wie er dazu kam, diese Ideen und Techniken in seine Praxis einzubringen, über die Materialien, mit denen er arbeitet, und über den Einfluss der japanischen Keramiktradition. 

Bouke de Vries 'Fragments of Memory' in the UCL Japanese garden Copyright ©Richard Stonehouse 214kb image .jpg
Bouke de Vries 'Fragments of Memory' in the UCL Japanese garden ©Richard Stonehouse 

Sie begannen Ihre kreative Laufbahn in der Modebranche. Nachdem Sie mit John Galliano, Stephen Jones und Zandra Rhodes zusammengearbeitet hatten, entschieden Sie sich für die Konservierung von Keramik. Wie sind Sie zu diesem Wechsel gekommen? Gab es einen Zusammenhang zwischen den beiden Bereichen oder haben Sie es als radikale Veränderung erlebt?

Ich hatte wirklich das Gefühl, dass eine Karriere in der Modebranche nicht das war, was ich mir für meine Zukunft vorstellte, und mein Partner schlug mir eine Umschulung vor. Ich hatte schon immer ein Interesse an Kulturerbe und Konservierung, und obwohl es eine radikale Veränderung war, gab es Aspekte meiner Ausbildung als Textildesigner, die mir in meiner Karriere als Keramikkonservator zugutekamen, wie z. B. Fertigkeiten in Handmalerei und dem Abstimmung von Farben.

Alle Designer und Designerinnen, mit denen Sie zusammengearbeitet haben, einen ihre radikalen und einzigartigen Visionen - die Stücke, die sie geschaffen haben, sind wild und gewagt. Bei der keramischen Konservierung geht es, zumindest allgemein gesprochen, eher um Bewahrung als um Kreation, um das Einhalten von Regeln statt um deren Übertretung, um Perfektion statt um Subversion. Wie haben Sie es geschafft, Ihrer Kreativität in dieser neuen Arbeitsweise Raum zu geben?

Als ich als Keramikrestaurator anfing, suchte ich nicht nach einem kreativen Ventil. Ich wollte eine Fertigkeit beherrschen, ein Handwerk, etwas, auf das ich mich wirklich konzentrieren und in dem ich mich verlieren und versuchen konnte, wirklich gut darin zu sein. Erst 15 Jahre später war ich bereit, nach kreativen Möglichkeiten zu suchen.

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Detail of Bouke de Vries 'Fragments of Memory in the UCL Japanese garden ©Richard Stonehouse 

Glauben Sie, dass Sie ohne Ihre Erfahrung als Keramikrestaurator jemals dazu gekommen wären, Ihre ‘explodierten Skulpturen’ zu machen?

Die meisten Inspirationen für die von mir gefertigten Stücke hätte ich nicht gefunden ohne meine Erfahrung als Keramikrestaurator; sie ist die Grundlage für meine Arbeit - ich schaue mir Keramiken an, um mir Ideen zu holen. Darüber hinaus hat mir die Keramikrestaurierung viele Fähigkeiten und Materialkenntnisse vermittelt, die ich in meiner Arbeit nutzen kann.

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Portrait shot of Bouke de Vries sculpture in the UCL Japanese garden ©Richard Stonehouse

Sehen Sie Ihre Arbeit als eine Form des Dialogs zwischen dem ursprünglichen Hersteller (in den meisten Fällen ein Fabrikarbeiter, der zu Lebzeiten eher als Handwerker denn als Künstler angesehen wurde) und Ihnen selbst? Wie sieht es mit den Besitzverhältnissen bei einem solchen Werk aus?

Alles, was ich tue, kommt aus meiner Liebe zur Keramik; es geht um die Geschichte und die Menschen, die sie hergestellt haben. Ich respektiere alles, was sie getan haben, und indem ich beschädigte Stücke umarbeite, gebe ich ihnen eine neue Geschichte und ein neues Leben.

Sie sprechen von der ‘Schönheit der Zerstörung’, davon, das traumatische Ereignis zu umarmen und neue Schönheit und Wert im beschädigten Objekt zu finden. Wie sehr wurden Sie von der japanischen Kunst des Kintsugi beeinflusst?

Ich habe die Kintsugi-Technik zum ersten Mal vor über 30 Jahren gelernt, als ich meine Ausbildung zum Keramikrestaurator machte. Sie war schon immer Teil meiner Praxis, aber als ich mit der Herstellung meiner ersten Stücke begann, war sie kein bewusster Faktor; anfangs habe ich mich sogar davon ferngehalten. Meine ersten Arbeiten basierten auf der Idee von zerbrochenen Objekten, die normalerweise weggeworfen werden. Ich habe versucht, sie vor der Vergessenheit zu bewahren. Die Ideen, die hinter Kintsugi stehen, und das, was ich mache, laufen parallel und überschneiden sich auf eine, wie ich finde, sehr sympathische Weise.

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Portrait view of Bouke de Vries sculpture in the UCL Japanese garden ©Richard Stonehouse

 

Ihre Skulptur Fragments of Memory, die im Japanischen Garten des UCL steht, verweist zwar durch die Goldränder auf Kintsugi, scheint aber noch weiter zu gehen. Es gibt keine Reparaturversuche; das Trauma wird nicht nur zelebriert, sondern dem Objekt selbst zugefügt. Der Verweis auf Kintsugi und die Form eines klassischen Soja Krugs verorten die Arbeit schnell in den japanischen Kontext. Könnten Sie ein wenig über die Geschichte hinter dem Werk erzählen und was es beeinflusst hat?

Fragments of Memory ist Teil eines Kunstprogramms am UCL und steht in Verbindung mit der Geschichte der Universität und dem, was an der Universität geschieht. Ich beschloss, ein Stück für den ’Japanischen Garten’ auf dem Gelände in der Gower Street zu entwerfen, und befasste mich mit zwei verschiedenen Verbindungspunkten zwischen dem UCL und Japan. In den 1860er Jahren verließen fünf Studenten (die Auserwählten Fünf) Japan illegal, um während des turbulenten Endes des Tokugawa-Shogunats am UCL zu studieren. Einer dieser Studenten wurde der erste Premierminister der Meiji-Restauration, und auch die anderen vier spielten in dieser Zeit wichtige Rollen. Der zweite Punkt war die gemeinsame Forschung zwischen Japan und dem UCL über Erdbeben. Die Arbeit befasst sich mit Brüchen in der Gesellschaft und im Land - was die fragmentierten Aspekte meiner Arbeit widerspiegeln. Der Soja Krug bezieht sich auf meine Arbeit mit Keramik und Japans Keramiktradition.

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Portrait detail of Bouke de Vries 'Fragments of Memory' in the UCL Japanese garden ©Richard Stonehouse

Da Fragments of Memory aus Bronze gefertigt ist, unterscheidet es sich auch von Ihrem üblichen Arbeitsablauf. Wie war es, mit einem anderen Material zu arbeiten und aktiv mit anderen Künstler*innen zusammenzuarbeiten, und zwar in der Gegenwart, anstatt mit denen aus der Vergangenheit?

Der gesamte Prozess war unglaublich, wir haben mit einem wunderbaren Team bei Factum Arte in Madrid gearbeitet. Obwohl die Covid-19-Pandemie das Reisen während des Arbeitsprozesses unmöglich machte und alles durch Zoom-Meetings ersetzt werden musste, hatte ich nie irgendwelche Bedenken, mit einem so professionellen Team zu arbeiten.

In Ihren anderen Arbeiten, Memory Vessels, umschließen Sie zerbrochene Keramikstücke mit deren intakten Repliken aus Glas. Könnten Sie ein wenig über die Bedeutung des Replikationsprozesses und die Wahl von Glas als Material sprechen?

Während meiner Ausbildung zum Restaurator absolvierte ich ein Praktikum im Victoria and Albert Museum, bei dem ich unter anderem an einer römischen Bestattungsurne aus Glas arbeitete, die Asche enthalten haben soll. Jahre später hatte ich die Idee, eine gläserne Graburne für eine zerbrochene Vase herzustellen. Wenn ich eine tolle, zerbrochene, aber vollständige Vase finde, lasse ich eine exakte Nachbildung davon in Glas anfertigen (wie eine Erinnerung an die ursprüngliche Form) und arrangiere und befestige dann die Fragmente im Inneren.

Portrait view of Bouke de Vries peeping through his sculpture in the UCL Japanese garden Copyright ©Richard Stonehouse _0.jpg
Portrait view of Bouke de Vries peeping through his sculpture in the UCL Japanese garden ©Richard Stonehouse 

Sie haben Motive aus Ihrem niederländischen Erbe, aber auch aus östlichen Traditionen und Praktiken aufgegriffen und verwendet. Wie sind Sie dazu gekommen, sich dort inspirieren zu lassen - haben Sie nur die Geschichte der Keramik verfolgt oder waren Sie generell an nicht-eurozentrischen Ansätzen interessiert? Ich vermute, der Blick nach Osten bietet die Möglichkeit, die westliche, kapitalistische Vorstellung von Wert zu hinterfragen. Ist das etwas, das Sie interessiert?

Ich denke nicht in nicht-eurozentrischen Kategorien; ich war schon immer offen für alle Kulturen. Wenn mir etwas gefällt, spielt es keine Rolle, woher es kommt. Allerdings haben China, Korea und Japan eine so große Menge an Keramik hergestellt, dass man, wenn man mit Keramik arbeitet, unweigerlich einen Teil davon in sein Vokabular aufnimmt. Aus meiner Sicht als Restaurator bin ich immer wieder erstaunt, wie sehr der Markt nach Perfektion verlangt und der Wunsch danach besteht, Schäden unsichtbar zu machen - etwas, das als perfekt gilt, ist mehr wert. Dies ist nun auch in Teilen des Ostens ein Trend, so dass ich vermute, dass die westliche Ästhetik in diesem Bereich übernommen wird.

Woran arbeiten Sie im Moment?

Derzeit arbeite ich an einer Ausstellung im Legion of Honour Museum in San Francisco und an einer Installation für ein großes Londoner Museum, das ich noch nicht nennen kann.

Autorin: Ania Mokrzycka

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Ania Mokrzycka ist eine in London ansässige unabhängige Kuratorin und Künstlerin, die in den Bereichen Bewegtbild, Ton, Text, Keramik und Performance arbeitet. Sie ist die Mitbegründerin der experimentellen kuratorischen Plattform Irruptive Chora. Die 2018 ins Leben gerufene Plattform hat Künstler*innen und verschiedene Publikumsgruppen durch partizipatorische Performance-Events, Workshops, Ausstellungen, Lesegruppen und Radiosendungen in kollektives Denken und Handeln eingebunden. Bislang haben über 90 Künstler*innen, Forscher*innen, Kurator*innen und Akademiker*innen an den verschiedenen Programmen teilgenommen.

Aus dem Englischen übersetzt von Julia Weiss

Veröffentlicht im August 2022

Titelbild: Portrait of Bouke de Vries with sculpture in the UCL Japanese garden ©Richard Stonehouse 

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