Hinter der Fassade der kulturellen Ordnung
start'19 in München: am Sonntag, 27. Januar 2019, ab 11.00 Uhr öffnet auch der Künstler Peter Riss seine ganz privaten Türen. Was die BesucherInnen genau erwartet, erfahren Sie hier.
Kinderaugen beginnen zu glitzern und auch bei Erwachsenen bewirkt es durchweg positive Gefühle – ein Kettenkarussell. So weckt auch die Installation The Carousel (2017) von Peter Riss zunächst ausschließlich positive Regungen bei der BetrachterIn. Eine runde, zweistufige Plattform, mit bunten Jahrmarktmotiven verziert, trägt, verbunden über einen rotfarbigen, zweibeinigen Pfeiler, einen übergroßen Erdglobus, dessen angefügte Arme, über Ketten hinab führend, Gondeln tragen. In einer der Gondeln befinden sich sogar zwei Insassen – man könnte gar vermuten es handle sich um einen Vater mit Kind. Das Karussell ist in Komplementärfarben gehalten und wirkt damit sehr einfach und farbenfroh. Besonders dominant ist jedoch das zarte Hellblau des Karussells, das großflächig im Hintergrund zum Einsatz kommt. Dadurch werden die positiven Gefühle noch einmal durch ein Gefühl der Ruhe verstärkt … säße da nicht - mitten auf dem Erdglobus - eine übergroße Vogelgestalt, die an sich schon bedrohlich wirkt. Nein, damit nicht genug, die Bedrohung wird zusätzlich noch einmal verstärkt, indem sich uns diese Gestalt in ein schwarzes Tuch umhüllt zeigt. Ausgerechnet schwarz – eine Farbe, die wir doch überwiegend mit dem Tod, der Dunkelheit, Verderben und Krankheit in Verbindung bringen. Damit wird unsere schöne, heitere, bunte Welt mit einem Schlag zerstört und in uns bilden sich Zweifel, Unwohlsein, ja gar Angst.
Auf dem Karussell der Zeit
„Meine räumlichen Arbeiten und Installationen kommentieren die duale Natur der Menschheit. Die scheinbare natürliche Ordnung wird durch die organischen, rohen Formen der ausgestopften Tiere gestört. Das Natürliche stört die kulturell konstruierte Ordnung“, so Peter Riss. Als Vorlage für das Kettenkarussell diente dem Künstler ein in den 1960er Jahren in der BRD produziertes Blechspielzeug, das von ihm aufwendig und bis ins kleinste Detail in monumentale Ausmaße übersetzt wurde. Der über den Gondeln schwebende Globus galt damit, bereits zur Zeit seiner Herstellung, als überholt und zeigt die Kartografie eines globalen Machtgefüges in Bewegung: die eingezeichnete Sowjetunion existiert nicht mehr, kolonialistische Gewalt dominierte einen großen Teil Afrikas und wenn am südlichen Polarkreis zwischen unbeanspruchten und umstrittenen Gebieten unterschieden wird, wird deutlich, dass die Erde keineswegs nur ein Planet im Weltall, sondern ein Ort von Machtansprüchen ist. „Der Gegensatz zwischen glatt und roh, Ordnung und Chaos, Kultur und Natur ist der Menschheit inhärent. Wir alle tragen eine "dunkle Seite" in uns. Meine Skulpturen repräsentieren diese Spannung zwischen nebeneinander liegenden inneren Kräften, die sich gleichzeitig ergänzen. Diese Widersprüche versuche ich in Form eines dreidimensionalen Objekts als eine scheinbar in sich geschlossene Einheit darzustellen“, kommentiert Riss. Im globalisierten 21. Jahrhundert versprüht diese westlich zentrierte Sicht auf die Welt damit einen kontrovers-nostalgischen Charme. Zudem erinnert das Karussell an kindliche Unbeschwertheit. Doch wie die beiden Insassen sitzen wir, die Menschheit, in der sich stetig weiterbewegenden Gondel der Geschichte. Wie ein Zeichen nahenden Unglücks thront über dem sich kontinuierlich drehenden Weltgeschehen ein schwarz verhüllter, übergroßer Vogel. Der Fink, der im Englischen für „Spitzel“ oder „Informant“ steht, ist aber vielleicht auch nur ein stummer Beobachter, ein Zeuge des menschlichen Schauspiels um Macht.
start’19 mit Peter Riss in München
Der im Jahr 1962 in Kaufbeuren geborene Künstler lebt und arbeitet seit 2001 in München. Zu sculpture network pflegt er eine ganz besondere Beziehung. Wie wir bereits berichteten, fand er über die sculpture network Webseite die Ausschreibung zu YICCA 2017. Ein voller Erfolg für ihn, denn dank seiner Ausstellung in Rom ergaben sich neue Kontakte zu Kuratoren, denen sich wiederum andere Ausstellungsbeteiligungen anschlossen. Wie der Zufall es will, wiederholte sich das Geschehen gleich noch zweimal! So gewann er zum einen mit seiner Installation Persuit of Demons (2015) den Biafarin Honor Award im Zuge der Ausschreibung zu Arte Laguna 17.18. Zum anderen machte er mit seinem Werk Brutus (2017) das Rennen um den Padova Art Prize, der eine Präsentation seiner Arbeiten auf der Arta Padova beinhaltete.
Dieses Jahr freuen wir uns, ihn als einen unserer start’19-Gastgeber vorstellen zu dürfen! Am 27. Januar, ab 11.00 Uhr, lädt Peter Riss herzlich zu seiner Veranstaltung in der Wiede-Fabrik in München ein. Dabei erhalten BesucherInnen intime Einblicke in sein wahres Arbeits- und Wohnumfeld. „Schon über 20 Jahre arbeite ich in der Wiede-Fabrik und lebe hier auch mit meiner Familie. Die meisten Arbeiten sind hier entstanden. Die Freundschaften zu anderen Künstlern auf dem Gelände sind für mich essentiell“, so Riss. BesucherInnen dürfen sich also über einen weitreichenden Einblick in die Denk- und Lebensweise des Bildhauers freuen, sowie in das Für und Wider eines Lebens innerhalb einer Kunstfabrik. Das große dreidimensionale Arbeiten wird Riss, im Zuge eines Vortrages zu seiner Arbeitsweise, persönlich beleuchten. Als Highlight der Veranstaltung gilt die Präsentation der Werke The Carousel (2017) und The Hunt (2016) vor Ort. Darüber hinaus wird sich der Besitzer der Kunstfabrik, Herr Andreas Wiede-Kurz, vorstellen und eine Führung durch die Wiede-Fabrik geben. Aber auch Galeristen und Kuratoren werden anwesend sein, wie etwa Michael Heufelder oder die Rosemeyer Art Advisors, um einen Einblick in den Handel und in das Sammeln von Kunst zu geben.
start’19 - sculpt the world with us!
Wiede-Fabrik München
Rambaldistr. 27
81929 München
Sonntag 27. Januar 2019
ab 11.00 Uhr
Neben Peter Riss' Veranstaltung bieten am 27. Januar auch über 70 weitere Gastgeber tolle Events rund um die dreidimensionale Kunst an - bestimmt auch in Ihrer Nähe! Nehmen Sie teil und feiern Sie mit uns.
Authorin: Claudia Thiel
Claudia Thiel ist Kunsthistorikerin und stellt ihre Fragen an das Fachgebiet gerne im journalistischen Stil.