Vernetzte Kreativität und kreative Vernetzung
Nach einem gelungenen Auftakt in Amsterdam war München die zweite Station der Veranstaltungsreihe Sculpture Network Lab. Im Foyer des Pop-Up Hotels The Lovelace diskutierte Ende Oktober die Journalistin Petra Herrmann vor über 70 Gästen mit KünstlerInnen, GrafikerInnen, PhilosophInnen und KulturmanagerInnen.
Schwerpunktthema des Abends war die Vernetzung von kreativen Prozessen. Im Mittelpunkt der Diskussion stand das Zusammenspiel von Intuition und Inspiration, von Perfektion und Improvisation, von Auftragskunst und Kunstauftrag. Themen also, die viele kreative Bereiche berĂĽhren, weshalb auch die Waldemar Bonsels Stiftung das Event unterstĂĽtzte.
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Alles ist gedacht, gesagt, gezeichnet, komponiert und gestaltet. Jede Geschichte ist erzählt. Das Ende einer Idee ist jedoch immer wieder auch ihr Anfang. Im Mittelpunkt vieler Kreativprozesse stehen heute oft komplexe Netzwerke; pragmatische, wie bei Jürgen Enninger, der als Leiter des Kompetenzteams Kultur- und Kreativwirtschaft der Landeshauptstadt München Kunstschaffende ganz praktisch im täglichen Leben unterstützen will, zukunftsorientierte wie bei Holger Felten, der in Nürnberg das Projekt Leonardo, eine gezielte Kooperation der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm mit der Hochschule für Musik und der Akademie der Bildenden Künste leitet, programmatische wie in den gruppendynamischen Choreografien des Tänzers Moritz Ostruschnjak, auftrags- und kundenorientierte wie bei Alexis Zurflüh, der als Art Director für seine Aufträge auf ein europaweites Netz an FotografInnen, IllustratorInnen oder GrafikerInnen zurückgreifen kann, inspirierende wie in den räumlichen Inszenierungen der Architektin und Pyrotechnikerin Judith Mann, die mit physikalischen Phänomenen Menschen verzaubern und klüger machen will, und schlussendlich wissenschaftliche wie bei Martin Gessmann, der im menschlichen Gedächtnis einen genialen Kreativ-Trigger, ein dynamisches Navigationssystem mit fließenden, sich stetig überschreibenden und neu orientierenden Erinnerungen sieht. Für Gessmann ist dieses System einer der entscheidenden Impulsgeber für gestalterische oder künstlerische Prozesse überhaupt.
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Kreative Prozesse beleuchten
Die Architektin Eva Wolf kuratierte die Veranstaltung. „Kreative Prozesse reflektieren und aus unterschiedlichen Sichtweisen betrachten“, so formulierte sie das Anliegen des Abends. In einer Zeit, in der virtuelle und physische VerknĂĽpfungen kaum noch zu ĂĽberblicken sind, in der die Informationsströme nie versiegen, die „Streams“ unablässig laufen und die „Big-Data-Berge“ stetig wachsen sind Informationen und Desinformationen kaum noch zu unterscheiden. Ursache und Wirkung sind oft nur noch unzureichend zu trennen. Ihre Wechselwirkungen sind nur noch schwer oder gar nicht mehr zu durchschauen. Hier steht der Kreative, dort der Kunde oder Auftraggeber, hier ist der Sender, dort der Empfänger, hier gibt es eine belegbare Nachricht, dort das, was eher beschönigend „fake-news“ genannt wird und doch nur eine LĂĽge ist. Einfache Zusammenhänge sind selten geworden. Die Komplexität der heutigen (Kunst-) Welt lässt sich kaum noch auf eindeutige Zusammenhänge reduzieren und vorschnelle SchlĂĽsse ĂĽber „die Welt da drauĂźen“ sind eher unangebracht. Wichtiger als die Suche nach der Kausalität, so lieĂź der Runde in MĂĽnchen erahnen, wird in Zukunft die Antwort auf die Frage sein, welche VerknĂĽpfungen haben welche Auswirkungen auf welche Phänomene und Prozesse. In MĂĽnchen ging es darum, was vernetztes Denken hervorbringen kann, was die „vernetzte Kreativität“ zu leisten vermag. Vernetzt denken heiĂźt, sich auf eine Metaebene zu begeben, mit Gelassenheit auf das Chaos zu blicken, es gleichzeitig anzunehmen und zu benennen. Es gilt andere Menschen bewusst und aktiv mit in einen (kreativen) Prozess einzubeziehen. Es geht darum, voreilige Schlussfolgerungen und Bewertungen zu vermeiden und kreativen Prozessen den Raum zu geben, den sie brauchen. Â
Im Gespräch dominierten keine extremen Meinungen oder Wertungen, moderate Statements, persönliche Schilderungen und zurĂĽckhaltende Einschätzungen ĂĽberwogen. Einigkeit herrschte darĂĽber, dass belastbares Wissen immer seltener ĂĽber längere Zeiträume zuverlässig sein wird.Â
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Zukunftsorientierte Prozesse entwickeln
Kreativität steht dabei fĂĽr Vielfalt. Kreative Prozesse befassen sich mit Dingen, die gestern noch unbekannt waren. Netzwerke werden so zum Zentrum eines zukunftsorientierten Prozesses. In diesen Netzwerken geht es dann um die Offenheit dem Unbekannten gegenĂĽber, um einen aufgeschlossenen Blick, der ohne Scheuklappen und inspiriert aus der alltäglichen Filterblase herausschaut. Ohne eine Vernetzung der Kreativität gibt es Stillstand, hieĂź es bei der Diskussion. Kreativität sollte Grenzen durchbrechen und in vernetzten Prozessen BrĂĽcken dort bauen, wo vorher keine waren. An Vielfalt und Kreativität fehlt es den Kunstschaffenden nicht. Vernetzung dagegen will gelernt und akzeptiert sein. Umso schneller sich die Welt um uns herum dreht, umso wichtiger werden ein Innehalten und das Kultivieren neuer Denkmuster und Entscheidungsprozesse. Vernetzt zu denken, bedeutet die Qualität der Prozesse zu erkennen, so eine Erkenntnis der Diskussionsrunde. Entscheidungen brauchen Zeit. Scheinbar irrationale Ideen brauchen Raum. Alles hat immer mit allem zu tun. Nur so können kreative Lösungen ihre Wirkung entfalten. Vernetzt kann Kreativität wie aus dem Nichts als ein Aha-Effekt auftauchen: Plötzlich gibt es neue Lösungen, eine neue Perspektive oder eine ungewöhnliche Verständnisebene erschlieĂźt das Big Picture neu. Vernetzung klingt gut und bringt viel. Es liegt an den Kunstschaffenden selbst, diese Möglichkeiten zu nutzen.Â
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Die Form folgt der Haltung
Die Podiumsdiskussion Vernetzte Kreativität in München war Teil der Veranstaltungsreihe Sculpture Network Lab. Die Reihe stellt unter dem Titel Form follows attitude die Haltung hinter der Form in den Mittelpunkt und will damit helfen, die Welt besser zu erkennen und sie vielleicht ein bisschen besser zu machen. Das sculpture network Lab veranschaulicht Ideen, beleuchtet die gesellschaftspolitische Relevanz und macht auf soziale Zusammenhänge aufmerksam; lebendig, mutig, innovativ – vernetzt, kreativ und unkonventionell.