A God Complex - Sculptorvox Volume 3
Von Damien Hirst bis hin zu Donald Trump, Egoisten und Narzissten begegnen uns in allen Lebensbereichen, besonders in der Welt der Kunst. Mit beiden Personen setzt sich der neueste Band von Sculptorvox auseinander: Ein Gottkomplex. Der dritte Titel in einer Serie von acht geplanten Bänden "A God Complex", soll Antworten finden und provozieren - um tiefer in das Menschliche, unsere Schwächen, Neigungen und Grenzen einzutauchen.
Dr. Nicola Donovan, Bildhauerin und Autorin hat die neueste Ausgabe von Sculptorvox für uns gelesen:
Die aktuelle Ausgabe von Sculptorvox ist eine Sammlung von Essays, Rezensionen, Interviews, kreativen Texten, Fotoarbeiten und Bildern skulpturaler Werke, die unter dem Thema "A God Complex" zusammengeführt wurden. Definiert als "unerschütterlicher Glaube, der durch die konsequent übersteigerte Sicherheit der eigenen Fähigkeit, Vorrangstellung oder Unfehlbarkeit gekennzeichnet ist", ist der Gottkomplex ein sehr reizvoller Rahmen für das Heft; die allzu menschlichen Themen Ego, Narzissmus, Schöpfung, Transzendenz, Reiz, Verführung, Religion und Elitismus bieten kreativen Köpfen eine düstere Spielwiese ausgefallender und spannender Inhalte zum Erforschen. Zumal das Thema angesichts des beachtenswert närrischen Gebarens mehrerer gegenwärtiger Weltführer auch in der politischen und medialen Landschaft mehr als aktuell ist.
Als "expressiver Individualismus" lässt sich dieses Auftreten bezeichnen, das uns zunehmend nicht nur in der Politik begegnet. Auch das Verhalten von Prominenten, das durch die mediale Rezeption allgegenwärtig ist, hat Auswirkung auf unser soziales Selbst. Gerade in dieser Welt, in der die Verblendeten, Überprivilegierten und Ungeeigneten ihr eigenes Spiegelbild bewundern, und den Rest von uns in den Wahnsinn treiben, ist die Kunst in ihren vielen Formen und Ausprägungen notwendig - um diese ständige, hartnäckige und gefährliche Manifestation des Egos außerhalb jeglicher Kontrolle offenzulegen und zu hinterfragen. Um Nietzsche im Brief des Herausgebers zu zitieren: "Gott ist tot... welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen?" Daniel Lingham, beschreibt die Künstler auch als „ Götter der kleinen Welten", und das ist tatsächlich eine Möglichkeit uns zu beschreiben.
Deshalb liegt es vielleicht gerade in unserer Verantwortung, Wege zu finden und Perspektiven zu entwickeln um diejenigen herausfordern, die unsere Gesellschaften und Kulturen dominieren. Unter den Beiträgen zu dieser Ausgabe von Sculptorvox sind tatsächlich auch einige wichtige und scharf beobachtete Kritiken, wie im Falle von Alex Baddeleys Rezension Bust of the Collector. Baddeley setzt sich in dem Text mit Damien Hirsts epischer Museumsausstellung Treasures from the Wreck of the Unbelievable aus dem Jahr 2017 auseinander. Diese Ausstellung, ein Fake, der in zwei privaten Museen in Venedig zu sehen war, bestand aus Tausenden von Skulpturen, von denen Hirst eiskalt behauptete, er habe geholfen, sie von einem historischen Schiffswrack zu bergen.
Baddeley stellt eine Umkehrung von Hirsts charakteristischem Werk fest, bei dem die klare Ästhetik der Moderne von religiösen Motiven durchdrungen sind. Hier wird hingegen Fakt als Fiktion verkauft. Baddeley beschreibt keinen Zusammenhang zwischen dem Werk des geheimnisvollen und rätselhaften Banksy, aber jeder, der dessen Arbeit kennt und die Intervention von 2009 Banksy versus Bristol Museum gesehen hat, würde dies wohl tun. Obwohl Hirst seine philosophischen und kunsthistorischen Referenzen gekonnter zitiert, teilen er und Banksy einen Mangel an technischer und praktischer Raffinesse, wenn es darum geht, figurative, symbolische Skulpturen herzustellen.
Tatsächlich geht Baddeley so weit zu schreiben, Hirsts verschwenderisch große Ausstellung sei zwar ein Spektakel gewesen, das geradezu dazu einlud, „finde die Referenz“ zu spielen, hätte aber eigentlich keine Kunstfertigkeit gehabt. Beim Lesen dieser Rezension wird die implizit gestellte Frage „handelt es sich hier um eine Kritik an der zeitgenössischen Dekadenz oder eine Demonstration derselben?", durch Baddeleys Analyse des Werkes beantwortet, aus der seine kritische Sicht auf diese Ausstellung hervorgeht. Baddeley beschreibt sie als „grotesk“ und meint, dass Hirst sich als „Subjekt der Bewunderung“ präsentiert, „hier um angebetet zu werden". Immer bombastisch und provokant hat Hirst in seiner Zeit dennoch berührende, relevante und mitunter auch sehr zarte Kunst hervorgebracht.
Auch wenn geschickte Manipulation des Kunstmarktes nebensächlich scheint, identifiziert Baddeleys Text einen Gottkomplex bei der Arbeit und besetzt damit vielleicht das „God Shaped hole", wie es eigentlich Grayson Perry in dieser Ausgabe zugeschrieben wird. Mag Hirst auch ein leichtes Ziel für den Vorwurf eines fehlgeleiteten, messianischen Selbstbildes ein, so ist er doch ein absoluter Amateur im Vergleich zum unvergleichlichen Selbstbewusstsein Donald Trumps. Julio Orta bietet eine Reihe von Fotografien, die auf Aussagen Trumps antworten und die ihn als Motiv bzw. Modell in einer Modegeschichte im Stil Corinne Days aus den 90er Jahren vorstellen.
Trumps prahlerische O-Töne sind heute in der medialen Landschaft bekannt, und vielleicht haben wir uns akklimatisiert oder an sie gewöhnt. Ortas Isolation der Aussagen und die bildhafte Reaktion darauf ermöglicht eine Refokussierung auf die manisch-egoistische Haltung, die ein wesentliches Merkmal Trumps Verhaltens ist. Die Zeilen „I’m very highly educated. I know words; I have the best words” in Verbindung mit der Aussage „Nobody has better toys than I do" enthüllen das Ego eines Kindes und die Iteration eines potenziell tödlichen Überlegenheitskomplexes und eines unreifen Selbstbildes. Ortas Bilder zeigen einen jüngeren, schlankeren Trump (tatsächlich ein Modell in einer Latex-Trump-Maske), der nur mit einen an die US-Amerikanische Flagge angelehnten Slip gekleidet auf einem schäbigen, zerkratzten Sofa liegt.
Die schuldige Katze steht unter einem gläsernen Couchtisch, auf dem weißes Pulver zu großzügigen Linien geformt wurde; daneben liegt eine gerollte Banknote. Autoschlüssel und eine Flasche Bier befinden sich ebenfalls auf den Tisch und Ortas Trump kuschelt mit einem Stofftier das er unter den Kopf geklemmt hat. Die zwielichtige orangene Beleuchtung unterstreicht diese Szene der Einsamkeit. In einem zweiten Bild posiert Trump auf einem Balkon. Ein Bein auf der Brüstung aufgestellt, präsentiert er die Beule in seinem Slip.
Das unter den Arm geklemmte Stofftier macht ihn lächerlich, gibt ihm aber auch etwas Verletzliches. Man stellt sich unwillkürlich die Grage: „Was um alles in der Welt hat ihn so gemacht?“ Vielleicht ist diese Frage nebensächlich, sie rechtfertigt sicherlich keine seiner charakterlichen Entgleisungen. Trump so zu sehen, wie Orta ihn in seinem Werk vorstellt, bedeutet allerdings auch, über die Verurteilung dieses gefährlichen Gottkomplex` hinaus die Möglichkeit der Existenz hinter der Maske liegender Beweggründe einzuräumen. Hier könnten Menschlichkeit und eine realistische Selbsteinschätzung zu finden sein, oder eben nicht.
Zu den weiteren kritischen Texten gehören zwei herausragende Werke von Gabriella Sonabend, das erste über die Bildhauerin Patricia Piccinini und das zweite über die Serie A Brain in a Vat von Harrison Pearce. Beides sind sensible, nachdenkliche und intelligente Antworten auf die Arbeitswelten der vorgestellten Künstler.
Sonabend setzt insbesondere Piccininis Arbeiten in Beziehung mit anderen Künstlern der zeitgenössischen figurativen Skulptur. Unter dem Titel Not Playing God - In Response to Patricia Piccinini zeigt Sonabend die Geschichte von Künstlern, deren Werk das Ziel hat, ihr Publikum zu schockieren, zu verunsichern und zu ekeln. Sie zitiert unter anderem Goya, Hieronymous Bosch, die Chapman Brothers, Paul McCarthy, Sarah Lucas, Tracey Emin, Chris Burden und Santiago Sierra. Allerdings liest Sonabend die Werke der zeitgenössischen Künstler als laute, aufmerksamkeitsorientierte Bemühungen, die nicht in die Komplexität der von ihnen präsentierten Inhalte einzudringen vermögen und die darin versteckten, schwierigen Fragen nicht verstehen.
Sonabend scheint die Werke dieser Künstler als chaotische Dokumente oder „einen Spiegel der unentzifferbaren Fiktion der Politik" zu betrachten und stellt fest, dass sie keine Gegennarrative bieten, die einen Diskurs über die anfängliche Provokation hinausführt.
Von Piccininis beunruhigender und unheimlicher Arbeit spricht Sonabend hingegen von einem Flüstern statt Schreien, von einem Fragen stellen statt Aussagen machen. Davon, einer überlieferten und ewigen Erzählung nahezukomme, wo andere nur an der Oberfläche bleiben. Obwohl es bei Piccinini, wie Sonabend schreibt, darum geht, wie die Technologie die Beziehung zu unseren Mitmenschen verändert, ist ihr Werk eine leise Sicht auf Verletzlichkeit, Mitgefühl, Akzeptanz und Liebe.
Für Sonabend gibt es kein großes Ego in Piccininis sensibler Darstellung von Menschen, die sich gegenseitig pflegen und beschützen, die Künstlerin verweist schlicht auf die uns angeborene Menschlichkeit. Mit Blick auf eine Zukunft, in der eine neue Generation von Babys zu übermenschlichen Wesen mutiert, zeigt Piccinini auf berührende Weise die Hingabe einer "normalen" Mutter an ihr wehrloses Kind.
Sonabend's Rezension von A Brain in a Vat stellt Harrison Pearces spirituell-esoterischer Erziehung, vorneweg, da diese zum wissenschaftlichen und rationalen Ansatz des Bildhauers in seiner Kunst führte. Als Pearce die Diagnose Hirnatrophie erhielt, reagierte er darauf mit einer von der Bildsprache der Medizinwissenschaft geprägten Skulpturenserie, in der sich die Werke als funktionierende, aber fiktive medizinische Geräte ausgaben. Diese technische Arbeit etwas von einem zeitgenössischen Frankenstein-Labor, das mit einer medizinischen Intensivstation verschmolzen ist. Für Sonabend ist diese Serie Symptom einer tiefen und universellen Fragestellung, insbesondere vor dem Hintergrund Pearces‘ Diagnose, die das bevorstehende Ende seines kurzen Lebens bedeutet. Sonabend's Antwort auf Pearces Werk ist scharfsinnig, sensibel ohne rührselig zu sein, und aufschlussreich. Ihr Fazit ist, dass Pearces Werk dem Betrachter komplexe, schöne Rätsel aufgibt, die zum Nachdenken anregen.
Neben diesen kritischen Texten enthält das Heft eine Reihe von kurzen fiktiven Texten, von denen besonders der von Isabella Eyre lesenswert ist. The Proposal wird mit einer Reihe von Fotos illustriert, die sowohl Portraits als auch exzentrische Modefotografien sein könnten. Die Bilder von Janieta Eyre sind stark von marianischer Ikonographie durchzogen. Obwohl in ihrem eigenständigen künstlerischen Ausdruck interessant, werden sie von der Geschichte selbst nicht benötigt. The Proposal ist eine fesselnde, dystopische Geschichte mit einem reichen, deskriptiven Narrativ. Die Erzählung ist intensiv visuell und frei von den mühsam-illustrativen Details, unter denen viele Texte leiden. Stattdessen schafft es Eyre, das Sehen, Fühlen und Denken der Charaktere sehen nachvollziehbar zu machen, zum Beispiel wenn der Protagonist bei einem psychologischen Test sagt dass „seine Augen in ihren Höhlen wie gefangene Stubenfliegen summten".
Graham Keddies In a Superposition ist weniger unterhaltsam als eher ein Essay über die Konzeptualisierung der Kunstpraxis aus der Ich-Perspektive. Der Text ist eine gute Lektüre und Keddies „Fluidphänomenologie" ist ein guter analytischer Ansatz, die vielkanalige und zersplinterte Wahrnehmung im 21. Jahrhundert von der des 20. Jahrhunderts abzugrenzen. Er beschreibt seine Praxis, während des Schreibens Musik zu hören, den Fernseher und ein bis zwei Bildschirme für eingehenden Nachrichten einzuschalten, während früher selbst Walkmans in der Schule untersagt waren, lenkten sie doch vom eigentlichen Fokus ab. Bilder Keddies Kunstwerke, Interventionen in der Landschaft, illustrieren den Text, doch in diesem Fall ist der Text stärker und wird zur Unterstützung des visuellen Werks benötigt.
Allein stehen Hannah Honeywells Fotografien ihrer Outdoor- Skulpturen mit dem Titel Funambulist. Ihre Houdini-esque Arbeit, die dem Blau des Himmels und dem Grün der Vegetation einheitlich die Farbkombination Rot-Schwarz entgegenstellt, erzeugt beim Betrachter Schmunzeln und Anspannung zugleich. Ein Stuhl baumelt gefährlich von einem hängenden Drahtseil und unter einem anderen Drahtseil hängt ein Schirm, der an alte Filmaufnahmen von mutigen und verrückten Drahtseilkünstlern erinnern, die es geschafft haben, über dem Grand Canyon oder zwischen Wolkenkratzern zu balancieren.
Vasily Kononov-Gredins The Golden Calf ist ein Werk, das, obwohl es im Druck gut funktioniert, vor Ort ein besonderer Genuss sein dürfte. Zwei riesige vergoldete Hörner stehen in der Mitte einer hohen Galerie und treten aus einem flüssig wirkenden, blutrot-reflektierenden Boden hervor. In der einfachsten Interpretation ist die Darstellung eines dreidimensionalen grafischen Bildes. Als Kombination aus tatsächlich-stofflichem Material mit Gewicht, Geruch und Viskosität, wird diese Installation monumental, symbolisch und viszeral. Wie viele der in diesem Band vorgestellten Künstler bietet Kononov-Gredins Beitrag eine Einführung in seine künstlerische Praxis für diejenigen, die sie noch nicht kennen.
Es werden noch weitere Künstler in Sculptorvox 03 'A God Complex' vorgestellt, die es wert sind, im Heft selbst entdeckt zu werden. Es handelt sich um eine sorgfältig kuratierte und redigierte Publikation, die hochwertig hergestellt wurde. Die Texte haben einen hohen qualitativen Anspruch und im Gegensatz zu vielen anderen Publikationen dieser Art handelt es sich hier um ein Heft, das man immer wieder in die Hand nehmen wird.
Autorin: Dr. Nicola Donovan
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